Der junge Geralt von Riva nimmt ein Bad mit dämonischen Säuglingen. Und auch sonst ist alles, wie es sein sollte.
Oh Nioh, mein Nioh! Selten benötigte wahre Liebe so viele Stunden und so viel harte Arbeit, bis sie sich mir offenbarte. Denn dieses actionlastige Rollenspiel macht zunächst einmal alles verkehrt, was es verkehrt machen kann. Zwar seit 2004 in Entwicklung, wirkt das Spiel dennoch wie ein zusammengeklaubtes Ragout aus Gamingtrends der vergangenen fünf Jahre. Ein extrem fordernder Schwierigkeitsgrad, herzinfarktauslösende Bosskämpfe, labyrinthisches Leveldesign mit allerlei versteckten Abkürzungen und Geheimnissen… ich starte sogar nackig in einem Gefängnis, aus dem ich ausbrechen muss, während mir die grundlegende Steuerung erklärt wird. Irgendwo habe ich all das schon einmal fast genauso erlebt. Ich wittere also einen billigen Abklatsch und bin ziemlich déjà-wütend darüber.
Ein Gefühl, das mich nicht so schnell wieder verlässt. Der prinzipiell recht interessante erzählerische Rahmen des kriegserschütternden Japans im Jahr 1600 wird direkt dadurch ins Lächerliche gezogen, dass ich ungeachtet dessen tatsächlich einen blondschöpfigen Iren spielen muss, der scheinbar in allen vorstellbaren japanischen Kampfkünsten trainiert ist und inmitten der Clankriege nach seinem ebenfalls irischen Widersacher sucht. Gemischt wird dieser fernöstliche St. Gamepadtrick’s Day mit allerlei Okkultismus, Schutzgeistern und mystischen Zwischenwelten, sodass ich bereits ab der dritten Zwischensequenz irritiert und ratlos wie bekloppt auf den Überspringen-Knopf hämmere. Das klingt für mich einfach alles zu sehr nach einem nacherzählten feuchten Traum von M. Night Shyamalan.
Macht aber nichts, denn die Spielwelt selbst ist so leer wie ein Molyneux-Versprechen und zwingt mich nicht dazu, mich mit den verworrenen Hintergründen Niohs weiter auseinandersetzen zu müssen. Viel wichtiger ist mir da schon, das äußerst komplexe und vielseitige Kampfsystem zu verinnerlichen. Das ist so etwas wie das eigentliche Herzstück des Spiels und braucht seine Zeit, auch weil es eher dürftig erklärt wird, aber als es schließlich klickt, hauche ich ein zärtliches „Domo arigato“ in meinen Controller, während ich sanft über dessen Touchpad streiche. In höchster Konzentration wechsele ich fließend von Angriff auf Verteidigung, ändere die Waffe und die Körperhaltung meines Protagonisten dabei so regelmäßig wie Sony den Veröffentlichungstermin von The Last Guardian und habe stets ein Auge auf meine Ausdaueranzeige.
Ausdauer nennt sich in Nioh “Ki” und muss mit viel Bedacht verbraucht und regeneriert werden, denn ist das Ki einmal leer, wartet mein fescher Ire regungslos auf seinen Todesstoß. Glücklicherweise kann ich per Tastendruck im richtigen Moment einen Teil der Ausdauer nach einem eigenen Angriff sofort wiederherstellen, was eine offensive Spielweise fördert und insbesondere gegen die Ki-saugenden dämonischen Widersacher unerlässlich ist. Da ich in diesem Moment jedoch weder blocken noch ausweichen kann, muss auch dieser Trumpf mit größtmöglicher Umsicht gezogen werden.
Nioh mag sich viel von anderen Genreikonen abgeschaut haben, doch letztlich steht die eigene Essenz über allem. Statt vordefinierter Ausrüstungsgegenstände werden deren Werte zufallsgeneriert, man kann gegen die computergesteuerten Avatare anderer Spieler die eigenen Fähigkeiten testen und die Charakterentwicklung erfordert ein ständiges Abschätzen von Risiko und Belohnung. Zudem ist die Spielwelt nicht offen, sondern in vorgefertigte Abschnitte unterteilt, die jeweils eine eigene Mission darstellen. All diese Mechaniken führen zu einem ständigen Ausprobieren, Taktieren und Verbessern, was auf mich eine fast schon beängstigende Sogwirkung entfaltet. Dass diese alsbald nachlässt, ist derzeit nicht abzusehen.
Wäre Liebe rational, Nioh wäre bereits nach kürzester Zeit eiskalt bei mir abgeblitzt. Doch manchmal ist es eben wie in einem Film mit Meg Ryan und Tom Hanks: Aus der ursprünglichen Ablehnung werden plötzlich starke Gefühle füreinander und die Fehler werden einfach mit geliebt. Und während der finalen Kussszene steigen plötzlich Dämonen aus der Unterwelt und speien den beiden Turteltäubchen ätzende Säure in ihre vor Leidenschaft glühenden Augen, bis M. Night Shyamalan schließlich erwacht und sich eine frische Unterhose anzieht. Was für ein großartiges Spiel!