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Ich habe unzählige handschriftliche Notizen gefunden, jedoch keinen einzigen Kugelschreiber. Einige Tage, nachdem ich Prey (2017) beendet habe, schwirrt mir diese Nebensächlichkeit noch immer als erstes durch den Kopf, wenn ich auf meine Zeit an Bord der Raumstation Talos I zurückblicke. Eine Zeit, in der mich zahlreiche dieser kleinen Fragezeichen begleiteten und die großen in den Hintergrund rückten. Prey (2017) ist eine inkonsistente Masse an Hintergrundgeschichte, Charakteren und Spielmechaniken, die sich an einer Checkliste populärer und einst wegweisender Titel abarbeitet, ohne deren individuellen Qualitäten und Kontexte zu begreifen. Eine Vorgehensweise, die sich bereits bei der Namensgebung des Spiels andeutet.
System Shock, Bioshock, Deus Ex, Portal, Dishonored, Alien: Isolation, Thief, Half Life, Doom, Minecraft, die Liste der Spiele, deren Merkmale mir im Laufe des Spiels begegnen, ist lang. Nur eines kann ich trotz intensiver Suche nicht finden: Prey. Zwar würde man vermutlich erwarten, bei einem Reboot Anknüpfungspunkte an das namensgebende Original aus dem Jahr 2006 wiederzufinden, wahrscheinlicher ist in dem Fall jedoch, dass man Spuren von Nüssen an der Spieldisk entdeckt. Sieht man über diese leicht fragwürdige Marketingentscheidung einmal hinweg, ist Prey (0815) eine durchaus gelungene Mischung aus Shooter, Horror und Entdeckungsdrang. Zumindest, solange man sich darüber nicht allzu viele Gedanken macht.
Das muss man bei der recht uninspirierten Geschichte dieses Spiels auch nicht wirklich. Man befindet sich auf einer verlassenen Raumstation, auf der zuvor an Außerirdischen herumexperimentiert wurde, um sich deren Superkräfte anzueignen. Natürlich ging dabei letztlich etwas schief und natürlich zieht man anschließend mutterseelenallein gegen diese Kreaturen in den Kampf, die allesamt aussehen wie die vergilbten Raucherorgane auf den Warnhinweisen bei Zigarettenpackungen. Dem Spiel gelingt es dennoch, bereits in den ersten Minuten eine dichte, in Paranoia und Hektik getränkte Atmosphäre zu kreieren. Wenn sich einem ein harmloser Kaffeebecher plötzlich zu dissonanten Quietschgeräuschen an den Hals wirft und man nur mit einer Rohrzange bewaffnet diesen Mimic genannten Verwandlungs-ALF abzuschütteln versucht, ist Panik in jedem Fall eine angemessene Reaktion.
Nicht nur eine mächtige Waffe im Spiel, sondern auch in der Spielentwicklung: Der Recycler
Dieses Gefühl der Schwerfälligkeit und Unbeholfenheit in den Kämpfen zieht sich durch den gesamten Spielverlauf, ganz unabhängig davon, dass natürlich neue Waffen und neue Fähigkeiten hinzukommen. Allgemein fühlt sich der Shooter-Part des Spiels merkwürdig unausgegoren an. Es gibt nur eine Handvoll Waffen, wenig Munition und kaum visuelles und akustisches Feedback über die Auswirkungen der Gewalteinwirkung. Einzig die GLOO-Kanone und die Recycler-Granate bringen von Zeit zu Zeit etwas Unterhaltung in die ansonsten äußerst umständlichen Gefechte. Die direkte Konfrontation gerät so für mich eher zu einer Art Notlösung, was durchaus gewollt sein kann, doch hier ist es aufgrund der Gegnerplatzierung und bestimmter Missionsziele oftmals das einzig sinnvoll erscheinende Vorgehen. So habe ich am Ende mehrere Stunden ausschließlich mit dem Neuladen suboptimal verlaufener Kämpfe verbracht und das vom Gefühl her größtenteils ohne erkennbare Fehler begangen zu haben. Dafür ist meine spielerische Kompetenz schlichtweg zu tight, Brudis.
In diesem Zuge ist es zumindest erfreulich, dass sich durch das Erlernen bestimmter Fähigkeiten immer wieder Abkürzungen auftun, die so manch zähe Auseinandersetzung obsolet machen. Indem ich mir Neuromods ins Auge pieke, erlerne ich in Sekundenschnelle komplexe Systeme zu reparieren, mehrere Tonnen Gewicht zu heben oder Sicherheitssysteme zu überbrücken. Letzteres funktioniert über ein Hacking-Minispiel, das wohl als eines der inspirationslosesten und hirnlosesten seiner Art in die Spielehistorie eingehen wird. Und das, wo doch die Referenz-Messlatte mit dem heiteren Wörterraten in Fallout schon so unverschämt niedrig hängt. Diese vermeintliche Kleinigkeit ist symptomatisch für sämtliche Spielmechaniken, die populären Vorbildern entlehnt, jedoch nur äußerst halbherzig und ohne jedwede zeitgemäße Auffrischung implementiert wurden. Beim Schleichen vermisse ich eine Deckungsfunktion und werde oftmals sowieso direkt beim Laden eines Raumes entdeckt. Die anfängliche Angst vor getarnten Mimics nimmt rapide ab, da nicht nur der Überraschungseffekt durch die übermäßige Nutzung verloren geht, sondern auch die freie Speicher- und Ladefunktion jedweden Schrecken mit einem einfachen Tastendruck konsequenzlos verpuffen lässt. Gesichtslose Überlebende wollen von mir gerettet werden, deren Bezug zu meiner Spielfigur sich einmal mehr nur über in der Gegend rumfliegende Audiologs oder durch das Hacken unzähliger E-Mailkonten rudimentär aufklären lässt. Ja, tatsächlich, die E-Mail ist auch auf einer alienverseuchten Raumstation im Jahr 2035 noch immer das dominierende Kommunikationswerkzeug, was den Horroraspekt des Titels zusätzlich unterstreicht. Auch in dieser alternativen Realität hatte Hillary Clinton also niemals eine echte Chance auf das Weiße Haus gehabt.
WOMIT WURDE DAS GESCHRIEBEN???
Ich könnte diese Reihe an Halbgarheiten weiter ausführen, aber dies würde meiner Aussage nichts Wesentliches mehr hinzufügen. Prey (‘54, ‘74, ‘90 2017) ist ein konservatives Spiel ohne jedweden Modernisierungsanspruch. Wie ein Mimic imitiert es Spielmechaniken und Design-Entscheidungen, die möglichst vielen bekannt und einladend vorkommen sollen, doch setzt man sich mit ihnen näher auseinander, bricht die Illusion in sich zusammen und das Fehlen einer eigenen Idee springt einem an den Hals. Es ist ein kaltes Spiel geworden. Eines, das sich einen Haken für jedes Kästchen seiner Featureliste setzen darf und am Ende doch ohne besondere Merkmale aus dem Gedächtnis verschwinden wird. Aber wie sollte es auch jemals eine eigene Handschrift entwickeln, wenn man im gesamten Spielverlauf keinen einzigen Kugelschreiber finden kann?