South Park: Der Stab der Wahrheit

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Der Abspann läuft und ich sinke in meinen Stuhl. Erschöpft, aber glücklich. South Park: Der Stab der Wahrheit war in den letzten Monaten ein Spiel, das mich stets im Unklaren darüber ließ, was ich von ihm zu erwarten habe. Nach einem Wechselbad aus Vorfreude und Vorenttäuschung musste ich mich deshalb zunächst mit dem Handtuch der Unbefangenheit kräftig trocken rubbeln, bevor ich den Controller in die Hand nahm und ihn fortan nicht mehr loslassen wollte. Während die Credits an meinen blutunterlaufenen, aber freudestrahlenden Augen vorbeiziehen, sehe ich ein, dass mit jeglicher Erwartungshaltung eh gebrochen worden wäre. Eine Eigenschaft, die auch schon der Serie seit mittlerweile siebzehn Jahren ihren Reiz verleiht und die Schwächen eines Titels erfolgreich verschleiert, der sich am Ende vielleicht zu sehr als Fanservice und zu wenig als eigenständiges Spiel versteht.

Dabei ist das optische und spielerische Fundament dieses erfrischend unepischen Rollenspiels mehr als solide. Grafisch ist das Spiel von dem typischen Look der Serie nicht zu unterscheiden, so dass mich in der Tat das gewünschte Gefühl beschleicht, aktiv an einer überlangen Folge teilzuhaben. Sämtliche bekannten Schauplätze sind detailgetreu nachempfunden und zum ersten Mal bekommt man überhaupt einen Eindruck davon, wie die einzelnen Stadtflecken miteinander verwoben sind. Dass South Park dabei nicht die Größe und Weite Tamriels oder Faerûns bietet, kann man ihm kaum zum Vorwurf machen. Zumindest entfällt auf diese Weise jeglicher Leerlauf, der zusätzlich durch ein komfortables Schnellreisesystem unterbunden wird.

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In dieser wunderbar nachgezeichneten Welt schlüpfe ich in die Rolle eines zugezogenen, zunächst namenlosen Kindes, mit dem ich mich auf meiner Suche nach neuen Freunden einem Live Action Rollenspiel der Nachbarskinder anschließe. Nachdem ich mich für die traditionelle Klasse des Diebes entschieden habe und somit der extraordinären Möglichkeit einen Juden zu spielen vorerst entsagte, erfahre von der brennenden Rivalität zwischen der menschlichen Gruppe um den großen Furzmagus Cartman und der Elfentruppe von Stan und Kyle. Diese liefern sich einen erbitterten Kampf um den namensgebenden Stab der Wahrheit, einem gewöhnlichen Stock mit vermeintlich mächtigem Weltbeherrschungspotenzial. Cartman bringt mir schließlich auch das rundenbasierte Kampfsystem näher, bei dem sich die RPG-Veteranen von Obsidian recht offensichtlich von Final Fantasy inspirieren ließen. In Ruhe kann man hier seinen nächsten Schachzug planen, jedoch erfordern Angriffs- und Abwehraktionen zusätzlich das richtige Timing bei der anschließenden Ausführung, um ihre volle Wirkung zu erzielen. Das alles wirkt zwar auf die Dauer ein wenig bieder und monoton, wird aber durch wechselnde Begleiter (von denen man leider nur einen aktiv haben kann) und dank stets neuer Gegnertypen ganz gut aufgelockert.

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Auch die äußerst skurrilen Ausrüstungsgegenstände sorgen für einige fröhliche Farbtupfer auf dem ansonsten so klassischen Rollenspielgewand. Hier werden handelsübliche Bettlaken zu Zaubermänteln und Küchensiebe zu Ritterhelmen umfunktioniert, Spielzeugbögen verschießen Pfeile mit Saugnäpfen und einem Golfschläger wird magischer Bonusschaden zugesprochen. Und als wenig subtiler Seitenhieb auf Skyrim erlernt man im Spiel sogar den „Drachenschrei“, der anders als bei seinem großen Vorbild nicht mit dem Mund, sondern mit dem Allerwertesten ausgestoßen wird. So wird selbst ein kleiner Pups zu einer mächtigen magischen Attacke hochstilisiert.

Diese permanente Verquickung von Realität und der unerschöpflichen Fantasie der Kinder macht für mich am Ende den besonderen Charme von South Park aus. Weil das Spiel zwar stets die Diskrepanz von kleinstädtischem Alltag und der kindlichen Parallelwelt aufzeigt, indem es zu keinem Zeitpunkt zwischen beiden differenziert, es jedoch gleichzeitig nie den Eindruck von Häme darüber vermittelt. Vielmehr zelebriert der Titel diese unbefangene Vorstellungskraft und verzichtet dafür auf viele rollenspieltypische Gameplayelemente, welche die Stringenz der erzählten Geschichte womöglich verwässert hätten. So gibt es praktisch keine beeinflussbaren Dialoge, abseits der Optik wenig Charakterindividualisierungsmöglichkeiten und Nebenquests sind innerhalb weniger Minuten erledigt. Das Questdesign orientiert sich dabei allgemein leider zu oft an bekannten Genrekonventionen. Erledigungen wie das Überbringen von Nachrichten, das Sammeln von Unterhosen und das Besiegen einer wütenden mongolischen Armee gehören zu den spielerisch weniger originellen Kernaufgaben dieses ansonsten eher untraditionellen Rollenspiels, dessen einzigartige Charaktere und Kulissen jedoch über manch dröge Arbeitsbeschaffungsmaßnahme hinwegtrösten können.

Jene Charaktere und Kulissen sind allerdings dem langjährigen Serienfreund durchaus bekannt. Nahezu das gesamte Spiel besteht aus Selbstzitaten, die zwar in der Regel gut in die absurde Rahmenhandlung eingebettet sind, jedoch durch ihre schiere Vielzahl auf die Dauer etwas krampfhaft implementiert wirken. Siebzehn Jahre South Park sind eine lange Zeit und es ist unbestritten großartig, viele liebgewonnene oder sogar verhasste Figuren wiederzusehen, jedoch versperrt dieser Umstand auch den einfachen Zugang für Spieler, die sich bisher weniger mit der Reihe befasst haben. Bezüge und Hintergründe erschließen sich oft nur im Kontext zu bestimmten Folgen der Serie, so dass ein großer Teil des Humors verloren geht, wenn man nicht wirklich aufmerksam die Entwicklung der Kleinstadtknirpse aus Colorado über die Jahre hinweg verfolgt hat. Und wer wiederum ein treuer Beobachter der Serie ist, vermisst womöglich die den Eigenbezügen zum Opfer gefallenen gesellschaftssatirischen Seitenhiebe der späteren Staffeln. Diese leben natürlich auch von ihrer Aktualität und sind bei einer mehrjährigen Entwicklungsphase schwer im Spiel umzusetzen, dennoch hätte ich mich über den ein oder anderen realpolitischen Bezug gefreut.

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Dass mir all die angeführten Kritikpunkte am Ende allerdings völlig egal sind und sich South Park: Der Stab der Wahrheit für etliche Stunden wie das beste Spiel der Welt anfühlt, ist wahrscheinlich auch meiner Gewogenheit für das Unperfekte geschuldet. Das Spiel zeigt nach den unzähligen Videospiel-Bezügen der Serie einmal mehr die große Liebe der South Park-Schöpfer Trey Parker und Matt Stone für das Medium und führt die Seele der Marke in jeder Spielminute mit sich. In einer Geschichte, die an ihrer Oberfläche aus Fürzen, Flüchen und Ficken besteht, aber darunter den tiefsitzenden Drang nach Anerkennung und Akzeptanz durch seine Mitmenschen versteckt. Aber vielleicht deute ich an dieser Stelle dann doch etwas zu viel hinein und der Stab der Wahrheit ist tatsächlich nichts weiter als ein ganz gewöhnlicher Stock.


In Deutschland erscheint South Park: Der Stab der Wahrheit leider nicht gänzlich ungeschnitten. Neben der verständlichen Ausblendung nationalsozialistischer Symbole gibt es auch eine Handvoll Spielszenen, die Ubisoft höchstpersönlich aus Marketinggründen entfernt hat. Diese inhaltlichen Kürzungen betreffen allerdings lediglich die Konsolen-Versionen des Spiels. Warum auch immer.