Blast from the Past: Archon
Auf den ersten Blick sieht Archon wie krude gepixeltes Schach aus. Tatsächlich ist es aber ein (fast) zufallsloses, rundenbasiertes Strategiespiel mit asymmetrischen Parteien sowie mehreren Siegbedingungen und spannende Duell-Action mit Deckung, verschiedenen Angriffen und Geländevorteil. Und nein, diesmal hab ich nicht aus Versehen zwei Programme zusammengewurschtelt.
In Archon: The Light and the Dark, wie es mit vollem Namen heißt, streiten die Armeen des Lichts und der Dunkelheit darum, sich entweder gegenseitig zu vernichten oder fünf magische Punkte auf dem schachähnlichen Spielbrett einzunehmen. 1983 brauchte noch nicht jedes Spiel eine Hintergrundgeschichte. Beide Seiten haben acht verschiedene Einheiten, die sich in Reichweite, Stärke, Lebensenergie, Geschwindigkeit, Schussgeschwindigkeit, Feuerrate, Blutgruppe und Sternzeichen unterscheiden. Abwechselnd ziehen Licht und Schatten eine Figur, sobald zwei verfeindete Einheiten auf dem gleichen Feld stehen, wird in einen Action-Bildschirm umgeblendet, in dem man seine Einheit direkt steuert und versucht, den Kontrahenten zu vernichten. Stellt Euch das vor wie Battle Chess, nur steuerbar, und die Animationen sind nicht so gut.
Die Lauf- und Schusssounds der einzelnen Einheiten sowie das reduzierte, aber eindeutige Design, das aufzeigt, dass man mit Pixeln so viel mehr machen konnte und kann als knubbelige RPG-Helden, hinterließen einen so dauerhaften Eindruck, dass ich sie mir auch 15 Jahre nach meiner letzten Partie noch ohne Aufwand präsent machen kann.
Wrpwrpwrp! (<- das ist der Basilisk)
Für ein Spiel, das dir in einer Partie alles zeigt, was es beinhaltet, hat Archon eine Menge interessanter Details: Die Farbe des Feldes, auf dem der Kampf stattfindet, bestimmt, wie viel Lebensenergie die Kämpfer haben – je heller das Feld, desto besser für die Seite des Lichts. Ein Großteil der Felder ändert beständig die Farbe, was Pattsituationen umgeht. Kreaturen heilen nicht nach jedem Kampf, so können starke Einheiten durch mehrere schwache besiegt werden. Der Magier und die Zauberin können Zauber sprechen, die Einheiten bewegen, fesseln, heilen oder wiederbeleben können, die magischen Felder schützen vor derlei Beeinflussung. Im Action-Part verändert sich das Schlachtfeld stetig, Deckungen erscheinen und verschwinden, und so unspektakulär es aus heutiger bullethellerfahrener Sicht erscheint, Kämpfe zwischen nur zwei Einheiten zu erleben, die nur alle paar Sekunden schießen können (clever kommuniziert per hellem bzw. tiefen Audiosignal), erzeugt gerade dieses Element Spannung: Jeder Schuss ist wichtig, Dauerfeuer unmöglich und wenige Treffer führen zum Tod. Der innere Jubel, mit einer schwächeren Einheit zu gewinnen, gar mit dem Nahkampf-Ritter den Drachen zu schlagen, ist großartig und wird im direkten Duell mit einem menschlichen Gegner nur glorreicher.
Archon war für mich in vielen Bereichen etwas komplett Neues. Das erste Mal, dass ich in einem Spiel auch die Bösen spielen konnte; das erste Mal, dass ich das Gefühl hatte, ein Spiel wirklich gut zu können; meine erste Begegnung mit mehreren Siegbedingungen und asymmetrischen spielbaren Seiten. Und vielleicht nicht das erste Spiel, das ich falsch aussprach, aber zumindest das, was ich am längsten falsch artikulierte: Archon reimt sich nämlich gar nicht auf Latschen, sondern auf…äh…Arkon.
Was Archon zu so einem wichtigen Teil meiner eigenen Spielvergangenheit macht, ist die Tatsache, dass es in seiner Dualität die zwei Aspekte dieses Hobbies repräsentiert, die mich am meisten begeistern. Auf der einen Seite die strategische Komponente: Ein klar sichtbares Spielfeld, keine Geheimnisse, alle Fähigkeiten der eigenen und gegnerischen Einheiten sind offensichtlich; die Siegbedingungen sind klar definiert. In der anderen Ecke: Die Action. Simple Steuerung ohne auswendig zu lernende Combos oder “Perk Management”, Gegner und Schüsse, die stets sichtbar sind. Was ich an Archon mag, ist das gleiche, was mich an Geometry Wars, Paradroid oder Samurai Gunn begeistert.
Für mich persönlich war Archon in seiner Beschränktheit im positivsten Sinne des Wortes der Höhepunkt, den all die Remakes und Nachfolger nicht mehr erreichen konnten. Es gab eine komplexere Fortsetzung, für die ich damals noch zu doof war; einen höchst inoffiziellen und miserablen dritten Teil (quasi die Asylumvariante eines Spiels); ein PC-Remake, das jeder Figur zwei Aktionen gab und die Grafik aufhübschte, und ein Reboot mit Kampagne und auflevelnden Figuren. Das ist nicht mehr mein Archon.
Paul Reiche III, einer der nur drei Menschen hinter dem Entwicklerteam Free Fall Associates, war vom Konzept der vielen sich unterschiedlich spielenden Figuren offensichtlich äußerst angetan, betrachtet man sein weiteres Schaffen. Abgesehen von The Unholy War, das mit Archon die Aufteilung in Strategie- und Action-Part teilt, ist er auch verantwortlich für Star Control und Star Control II, die zu den besten Spielen aller Zeiten gehören, und Skylanders, die Spielreihe um die Idee, In-Game-Figuren als Plastikminiaturen zu verkaufen, die seit 2011 Elterngeld frisst wie Erdnussflips und Disney und Nintendo zu Nachahmern degradierte.
Jon Freeman / Paul Reiche III / Anne Westfall
In einer Branche, in der viele der alten großen Namen entweder in der Versenkung der ernsthaften Softwareentwicklung oder, schlagersängergleich, heute lediglich ihren alten Erfolgen hinterhertrauern, freut es mich enorm, dass Reiche ganz ohne Nostalgiebonus weiterhin erfolgreich ist.
Das Ehepaar Anne Westfall und Jon Freeman, die anderen beiden Entwickler, hatten, wenn man denn Menschen ein Hauptthema zuordnen möchte, die vorherrschende Idee, klassische Spiele zu verbessern. Nach Archon, ihrem Schach, versuchten sie sich 20 Jahre später an einer kompletten Überarbeitung der Spielkarte. Da in den letzten 12 Jahren auf deren Seite nichts mehr passiert ist, war das vermutlich nicht ganz so erfolgreich, aber dieses Out-of-the-box-Denken, nein, dieses We-need-a-new-box-Denken, machte Archon ja erst zu dem, was es war.