Spiele müssen keine aufwändige Handlung haben, um Geschichten zu erzählen.
Noch viel weniger, wenn ein kleiner Junge auf der Suche nach Ninjas ist.
Ich bin immer noch der Meinung, dass sich Coolness am besten durch relative Nähe zu Ninjas bemessen lässt. Kurzärmelige Hemden verhindern beispielsweise die Vermummung des Körpers. Ninjas würden so etwas niemals tragen. Also sind die Hemden uncool. Herd-Espressokocher erfüllen eine überlebenswichtige Funktion mit maximaler Schlichtheit und minimalem Materialaufwand. Und sie tun weh, wenn man sie über den Kopf gezogen bekommt. Wie die Waffen eines Ninjas. Also sind sie cool. Der schwarze Typ aus Dynablaster war die maximale visuelle Annäherung an einen Ninja, auf die ich in meinen frühen Computerspiel-Jahren gestoßen bin. Und dass Dynablaster für alle anderen Bomberman hieß, habe ich lange nicht akzeptieren können.
Wie viele Kinder meiner Generation wurden meine ersten Erfahrungen mit digitalen Spielen durch einen PC am väterlichen Schreibtisch möglich gemacht, in einer Zeit, in der dieses neue Gerät für die ganze Familie genauso wunderlich und geheimnisvoll war, wie für mich, den Kleinsten im Haushalt. Woher die Diskettenboxen voller Spiele und anderer, größtenteils noch recht plumper Programme gekommen sind, weiß ich nicht. Sie waren da und von ein paar Interventionen meines Vaters einmal abgesehen, lag es an meinem älteren Bruder und mir, die Dinger mit unserem spärlichen Wissen über MS-Dos irgendwie zum Laufen zu bekommen. Mir war damals, im mittleren Volksschulalter, weder bewusst, dass diese Spiele auch legal erworben werden konnten, noch, wo ich mich über sie hätte schlau machen können. Existent war, was wir in den Diskettenboxen fanden, ohne Verpackung und Booklet, nur der Spieltitel, mit Bleistift auf den Sticker der Diskette geschrieben.
Dynablaster war einer dieser Titel und in mehrerlei Hinsicht mein Einstieg in die Logik der Videospiele. Es war nicht das erste Spiel, das ich gespielt habe, aber es war das erste mit einer für mich klar ersichtlichen Level-Struktur: 8 Welten mit je 8 Levels, in jedem Level ist ein Item versteckt und am Ende jeder Welt muss ein Boss besiegt werden. Immer ging es darum, Bomben zu legen und mit ihnen alle Gegner zu töten. Jedes Level bestand aus sprengbaren und unzerstörbaren Blöcken und unter einem der zerstörten Blöcke war immer das Portal ins nächste Level zu finden. Und das aktivierte sich mit dem Tod des letzten Gegners.
Die Struktur war so einfach, dass der Dreikäsehoch, der ich damals war, schon über Risiko-Management sinnierte. Manche Power-Ups, wie die Fernzündung für Bomben, verschwand mit dem nächsten Lebensverlust. Da wurde dann mit mehr Bedacht gespielt, um sich diese Fähigkeit nur ja bis zum nächsten Boss zu behalten. Gleichzeitig war es auch das erste Spiel, in dem ich bewusst Fehler gemacht habe, um zusätzliche Herausforderung zu bekommen: Wenn das Portal von einer Bombe getroffen wurde, erschien eine ganze Horde von Gegnern. Vor allem im damals sehr wahrscheinlichen Fall, dass mir jemand über die Schulter beim Spielen zusah, waren diese Gegnerhorden eine willkommene Möglichkeit meinen Skill unter Beweis zu stellen. Das Wort Skill kannte ich damals noch nicht.
Aber zurück zum schwarzen Bombenleger. Der stiehlt zu Beginn des Spiels, auf einem Drachen reitend, die Prinzessin. Auf einem Drachen! Wenn etwas fast so cool ist wie Ninjas, dann sind das Drachen. Also war ich von Beginn an auf seiner Seite. Das Spiel habe ich trotzdem mehrfach durchgespielt und ihn am Ende mit einer fulminanten Kettenreaktion von Explosionen ins Jenseits befördert. Aber er war mein Held des Spiels. Überhaupt waren die frühen 90er für mich eine Phase, in der meine Heldenbilder zwar von Spielen beeinflusst waren, die dazugehörigen Rahmenhandlungen aber in meinem Kopf entstanden. Da brauchte es oft nur eine faszinierende Figur wie einen vermeintlichen Ninja, um mich an einen Titel zu fesseln und mir meine ganz eigenen Versionen der Geschichten auszudenken. Eine frühe Form von Fan-Fiction, sozusagen. Ganz ohne sexuelle Untertöne.
Das spielerische Highlight von Dynablaster war dann aber der Multiplayer-Modus: Bis zu vier Bomber auf einem engen Spielfeld. Jede Menge Items. Für mich die Urform von Last Man Standing. Alles schön, gut und irrsinnig unterhaltsam. Aber im rechten unteren Eck startete der schwarze Bomber. Das war immer ich und das war die Hauptsache. Damit war es an der Zeit, den Spieß umzudrehen; dem öden weißen Helden die Tour zu vermasseln und den Ninja zum Sieg zu führen. Für mich war das der erste selbstbestimmte Eingriff in die Handlung einer fremden Erzählung. Und das ist bis heute einer der Hauptgründe, warum ich spiele.