Blast from the Past: Jazz Jackrabbit
Als der spätere Gears of War-Erfinder Cliff Bleszinzki seinen ersten Hit produziert, bin ich sechs Jahre alt. Es ist 1994, der grüne Hase Jazz Jackrabbit kämpft gegen Weltraumschildkröten und ich habe keine Ahnung, was Videospiele sind.
1. Run like the Wind
2. Shoot everything that moves.
3. If you can’t shoot it, take it.
Soweit die Anleitung zum DOS-Plattformer Jazz Jackrabbit. Ich habe keinen Schimmer, was da steht und spreche Jazz Jackrabbit wie Jatz Jakkrabiht aus. Meine Familie und ich sind seit ungefähr drei Jahren in Deutschland. Wir leben in einer kleinen Mietswohnung direkt neben der evangelischen Kirche, unser Nachbar ist ein Techno-DJ, der seine Miete nicht bezahlen kann und einige Jahre später das Haus abbrennen sollte. Wie Jazz Jackrabbit auf den PC gelangt ist, kann ich bis heute nicht so genau sagen. Vermutlich hatte mein Vater die Diskette von einem Freund oder Kollegen bekommen.
Für mich jedenfalls war es das faszinierendste Spiel aller Zeiten. Alleine die Figur des Jazz Jackrabbit war das coolste Etwas, was ich je gesehen habe: Ein grüner Hase mit verwegenem Blick, blauem Blaster und buschigem Fell. Der Han Solo unter den Hasen. Ich verbringe Stunden damit, über den Bildschirm zur Auswahl des Schwierigkeitsgrades nachzudenken. Je nach Schwierigkeitsgrad gibt es ein anderes Bild von Jazz. Auf “Easy” ist er ein Baby in Windeln, auf “Extreme” ein Furry im Marcus Fenix-Cosplay. Ich wählte immer den Schwierigkeitsgrad mit dem coolsten Jazz (“Hard”) und verzweifelte daran.
Für die Macher Cliff Bleszinski und Arjan Brussee ist in der Zwischenzeit etwas ganz anderes wichtig: Jazz Jackrabbit ist eines der ersten Spiele, die ähnlich wie SEGAs Sonic schnell scrollende Welten darstellen können und nicht — wie Captain Comic und andere frühe PC-Plattformer — aus einzelnen Bildschirmen bestehen. Es ist also eines der ersten Spiele, die Epic MegaGames vor allem als technische Genies darstellen.
Tatsächlich ist Jazz’ Geschwindigkeit auch das Erste, was auffällt, wenn man heute im kleinen DOSBox-Fenster statt auf dem klobigen CRT-Monitor spielt. Jazz beschleunigt irrsinnig schnell. Seine grünen Hasenpfoten verwandeln sich in einen Cartoonwirbel und er beginnt durch die Welt zu rasen. Die Freude über die Geschwindigkeit hält aber nie lange an. Immer kommt von irgendwo eine gegnerische Schildkröte über die grüne Wiese getrottet, Bienen und fliegende Schwerter unterbrechen den Lauf. Jazz’ Tempo ist seine größte Schwäche, denn die Welten, durch die er läuft, sind für Stop’n’Go-Klempner gemacht, nicht für blaue Igel und grüne Hasen. Cliff Bleszinski scheint daraus gelernt zu haben. Die zerbombten Städte voller hüfthoher Deckung sind genau die Art Welt, durch die sich Marcus Fenix und die COGs in Gears of War bewegen sollten.
Gestört hat mich das an Jazz Jackrabbit aber nie. Mit der stoischen Methodik, die nur Kinder und Sebastian Standke an den Tag legen, bewegte ich Jazz durch die Level. Ich hüpfte durchs den eklig bunten grünen Wald, durch eine Art Kraftwerk und durch eine düstere Burg, an deren Ende mich ein Endgegner erwartet hat, der alle seine Tricks von Doctor Robotnik geklaut hat. Auch das war mir egal — vermutlich weil ich beim Namen Doctor Robotnik eher an einen freundlichen sovietischen Trickfilmwissenschaftler gedacht hätte — denn es gab ein Hoverboard. Im ersten Burg-Level findet Jazz ein fliegendes Skateboard, mit dem er lässig durch die Welt gleiten kann. Warum mich das so beeindruckt hat, ist leicht: Ich liebe Back to the Future! Meine Eltern zwang ich immer und immer wieder dazu, mit mir den zweiten Teil anzuschauen. Der Grund? Das Hoverboard!
Immer und immer wieder startete ich das Spiel neu, um zum Hoverboard zu gelangen. Und Jazz Jackrabbit belohnte diese Art Manie auch. In jedem Level gab es Power-Ups und Punkte in Form des Gravis-GamePads, versteckt hinter falschen Wänden. Mit dem Hoverboard konnte ich an den Anfang des Burg-Levels fliegen, um ein Eskort-Vogel-Power-Up zu finden. Hätte mir jemand gesagt, dass es möglich war, gegen Geld noch mehr Level für dieses Spiel freizuschalten, wäre ich verrückt geworden vor Freude. Das Konzept Shareware, mit dem Epic MegaGames ihr Geld verdienten, verstand ich damals nicht. Was blieb, war ein Gravis-GamePad, das mir meine Eltern irgendwann schenkten.
Irgendwann verlor aber auch die Suche nach Geheimnissen ihren Reiz. Als einige Jahre später Jazz Jackrabbit 2 erschien, war mir die Liebe für einen grünen Rambo-Hasen peinlich. Cliff Bleszinski ist inzwischen nicht mehr in der Spieleindustrie tätig, Arjan Brussee heuerte nach einem Gig bei Guerilla (Killzone) bei den Dead-Space-Machern Visceral an. Wo mein Gravis-GamePad geblieben ist, weiß ich nicht. Als ich aber für die Recherche für diesen Artikel Jazz Jackrabbit noch einmal in der DOSBox startete und die ersten Takte in der Menümusik erklangen, wusste ich wieder: Jazz Jackrabbit war das Spiel, das mich für Spiele begeistert hat. Das und das Hoverboard.
In der Serie Blast from the Past berichten Superlevel-Autorinnen und -Autoren über prägende Spiele und Spielerlebnisse aus der Kindheit und Jugend. Wir freuen uns über einen regen Erinnerungsaustausch in den Kommentaren.