Wer bin ich, und wenn ja, wie viele?
Ließe sich die vierte Wand in Videospielen auch seitens des Spielers durchbrechen, ich wäre Klaus wohl schon so einige Male an die Gurgel gegangen. Der Protagonist des gleichnamigen Puzzle-Plattformers entpuppt sich in den ersten Spielminuten als Nervensäge allererster Güte, dessen als Bildschirmtext eingeblendete Einzeiler und Sprüche mich beinahe zur Weißglut treiben. Zu unrecht, wie sich im weiteren Spielverlauf herauskristallisiert.
Denn eigentlich sollte man zunächst einmal Mitleid mit dem unfreiwilligen Helden haben. Klaus wacht im rotgetünchten Keller eines Bürogebäudes auf, ohne Erinnerung an das, was ihm zugestoßen ist. Relativ schnell erkennt er, dass keine seiner Aktionen selbstbestimmt ist und er nur als mein williger Bauer fungiert. Diesen muss ich durch allerlei Hüpf- und Schalterrätsel bugsieren, um dahinter zu kommen, warum genau sich Klaus durch muffige Kellerräume, fabrikähnliche Schachtelbüros und Lüftungsschächte quält. Die Sympathiekurve steigt vor allem dann exponentiell, wenn die venezolanischen Entwickler von La Cosa mit Videospielklischees spielen. So folgt Klaus in frühen Levels einer weinenden Frauenstimme, der gern genutzten “Damsel in distress”, die ich als Spieler retten soll. Am Ziel angekommen stellt sich allerdings heraus, dass es sich lediglich um eine Tonbandaufnahme handelt. Und auch der immer wieder als schattenhafte Figur auftauchende Endgegner des ersten Spieldrittels entpuppt sich nach einem kurzen Kampf als muskulösere, aber scheinbar erheblich dümmere Version von Klaus, die mich fortan als zweite Spielfigur begleitet.
Im weiteren Verlauf brauche ich die Dienste des sprachlich eher übersichtlich begabten, K1 benannten Riesen allerdings immer häufiger. Während Klaus Konsolen hackt, um beispielsweise Türen oder bewegliche Plattformen zu aktivieren, weiter und höher als sein Hulk-artiges Abziehbild springt, und dank seines kleinen Wuchses durch engere Passagen passt, kann K1 bestimmte Hindernisse einfach zwischen seinen riesigen Pranken zermalmen, dank seines Umhangs über tiefe Abgründe hinweggleiten und seinen kleinen Kumpel auf eigentlich unerreichbare Vorsprünge emporschleudern.
Es dauert nicht lange, bis sich die Zusammenarbeit zwischen Klaus und K1, die ich durch Drücken und Halten des rechten Bumpers gleichzeitig steuere, ansonsten aber durch das Betätigen des Dreieck-Buttons auch getrennt voneinander bewegen kann, einschleift. Auch die innovative, allerdings extrem gewöhnungsbedürftige Steuerung beweglicher Plattformen mittels des Touchpads geht nach einer gewissen Einarbeitung relativ flüssig von der Hand. Dennoch verzeiht Klaus kaum Fehler und steht damit in der Tradition ähnlich bockschwerer Plattformer wie Super Meat Boy. Gerade in hektischen Passagen kann die akrobatische Fingerübung, gleichzeitig Plattformen mit dem Touchpad anzuwählen, während ich vor einer Horde explodierender Gegner davonlaufen und gleichzeitig noch Stromstößen und Bodenstacheln ausweichen muss, ganz schön fordern. Das Spiel bleibt trotzdem immer fair und stellt mich nie vor komplett unlösbare Aufgaben.
Schon durch sein kluges, stimmiges Leveldesign, das sich im späteren Verlauf einige künstlerische Freiheiten gönnt und damit Schema-F-Passagen gehörig aufbricht, und die zugrundeliegende minimalistische Optik gehört Klaus zu einem der interessantesten und abwechslungsreichsten Jump’n’Run-Titel dieses Jahres. Das reicht den Entwicklern aber scheinbar noch nicht. So unterfüttern sie ihr Spiel mit existenzialistischen Betrachtungen zu den Themen persönliche Freiheit – die schon in der Fremdbestimmung von Klaus’ Existenz kritisch hinterfragt wird – sowie Tod und Schicksal, die dem zunächst als eindimensionalen Helden porträtierten Protagonisten enorme Tiefe geben.
Die Vorgeschichte meiner Spielfigur wird anhand von in den Levels versteckten Bonusbereichen weitererzählt, die zu den herausforderndsten und kreativsten Umgebungen des Spiels gehören. In einem Abschnitt muss ich beispielsweise vier Spiegelbilder von Klaus durch einen jeweils eigenen Hindernisparcours lotsen, steuere aber alle vier Figuren simultan. In diesen Abschnitten wird auch anderweitig mit dem regulären Leveldesign gebrochen: Plattformen sind nicht mehr nur gelbe Klötze, sondern Begriffe wie Fortschritt, während Stachelfallen durch Schlagworte wie Konformismus dargestellt werden. Selbst wer mit der zugrundeliegenden Thematik nichts anfangen kann, bekommt mit Klaus einen bunten, ausgeklügelten Plattformer. Wer sich allerdings darauf einlässt, schafft es vielleicht noch schneller, sich mit dem anfangs durchaus nervtötenden Protagonisten zu identifizieren und spart sich die Mordgelüste am Ende womöglich sogar ganz.