Ludum Dare #23 – Reportage Teil 6/7

Ludum Dare #23 - Reportage

Ludum Dare #23 – Reportage Teil 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7

Na holla die Waldfee aber auch, Leserschaft von Superlevel!

Das war vielleicht ein Tag (und eine Nacht). In keiner der bisherigen Testrunden habe ich so viele gute und vielseitige Spiele auf einmal erleben dürfen. Es fiel mir am Ende wahrlich schwer, meine größeren Lieblinge herauszupicken. Doch fünf digitale Prachtexemplare hatten diesmal einen interessanten Einbau des Zufalls in ihrer Spielmechanik, der heute näher beleuchtet werden soll. Dabei lässt der Zufall das Spiel nicht zwangsweise willkürlich werden, sondern konkretisiert oder gar konstituiert es erst. Spannend ist jedoch auch das Ausbleiben des Zufalls, was beispielsweise ein basaler Faktor für die meisten Kriegsshooter ist. Von Glücksspiel ist hier keine Rede mehr.

Konstanter Zufall als Freiheitsbeschränkung

Tinysasters
(Tinysasters)

In der scheinbaren Aufbausimulation Tinysasters könnte alles so einfach sein. Auf einem 8×8-Spielfeld wird eine kleine Welt dargestellt mit Gras-, Wald-, Wasser-, Berg- und Wüstenflächen. Das Ziel ist es, einen Schrein der höchsten Stufe (Level 4) aufzubauen. Um die Ressourcen dafür zu erhalten, müssen diese auf sämtlichen Landschaftstypen – abgesehen von der Wüste – mithilfe von anderen Gebäuden abgebaut werden. Für den Aufbau eben dieser benötigt man wiederum aber auch Ressourcen, sodass man versuchen muss, mit einem Anfangskapital an Rohstoffen ein optimales, profitables System aufzubauen. Wie wild klickt man zu Beginn herum, um kleine Förstereianlagen, Minen und Ackerfelder anzulegen. Plötzlich geschieht jedoch das Unfassbare, was einem eigentlich schon die ganze Zeit angezeigt wurde: Eine Naturkatastrophe. So kann ein Erdbeben die Idylle trügen, indem es an einer zufälligen Stelle einen Berg entstehen lässt und dafür sämtliche Felder, die dafür zurückgedrängt werden müssen, in das Nichts katapultiert. Eine von vielen anderen Varianten ist die Dürre, die aus dem eben noch so saftigen Weideland eine trockene, unbebaubare Wüste macht. Wichtig ist dabei zu wissen, dass diese Naturereignisse mit vorgetakteten Zeitintervallen – je nach Schwierigkeitsgrad zwischen 15 und 40 Sekunden – geschehen, allerdings in zufällig generierter Reihenfolge: Mal zwei Erdbeben, mal eine Überflutung, dann nochmal zwei Erdbeben, eine Dürre gleich noch hinterher, und schwups, schon war die ganze vorherige Strategie für die Katz’. Das sich so frei anfühlende Aufbauspiel der ersten Minute wird mit einem Schlag zu einem Reaktionstest umgestaltet, jedenfalls im höchsten Schwierigkeitsgrad. Die durchschlagende Präsenz des Zufalls ermöglicht den SpielerInnen somit eine herausfordernde Anpassungsaufgabe.

Serendipity with Cubes
(Serendipity with Cubes)

Ein wenig eleganter und subtiler geht das Puzzle-Spiel Serendipity with Cubes mit dem Zufall um. Ein 3D-Würfel kann hierbei aus allen Kameraperspektiven näher betrachtet werden. Jede Runde fangen zwei zufällig ausgewählte Stellen an zu pulsieren und markieren so den Anfangs- und Endpunkt eines von den SpielerInnen zu erstellenden Wegs. Dieser Weg von Punkt A nach B darf nur aus Steinen der gleicher Farbe bestehen, die zu diesem Zweck mit den anderen vertauscht werden können. Sobald die Verbindung zwischen beiden Punkten hergestellt ist, lösen sich die Steine von dem Hauptkubus ab. Gewinnen tun diejenigen, die es schaffen, alle Steine aufzubrauchen. Der Clou bei diesem Spielkonzept ist allerdings die an das Verlieren geknüpfte Bedingung: Steht eine Steingruppe nur noch für sich alleine, so sind die Elemente des Wegbaus nicht mehr miteinander gekoppelt und das Spiel beendet. Runde für Runde muss so jeder einzelne Zug genau überdacht werden. Nur durch die Implementierung eines dermaßen simplen Zufallsgenerators entsteht eine Einschränkung der Spielfreiheit, aber auch eine enorme Spannung. Fesselnde Runden sind garantiert.

Der Moment der Erleuchtung

6 Degrees of Sabotage
(6 Degrees of Sabotage)

Interessant ist der Einsatz des Zufalls auch in 6 Degrees of Sabotage, einem Logik-Spiel, in dem es um die Rekonstruktion eines Kriminalfalls geht. Nach einem Bombenanschlag erhalten die SpielerInnen drei Informationen: 1.) Wer die ausführende Person war, 2.) Wer die auftragserteilende Person war, und 3.) Dass drei Personen ebenfalls involviert sind. Diese Fünfer-Gruppe ist jedoch bei jedem Spiel neu zusammengewürfelt: Mal ist der Schlachter, mal der Colonel, mal die Lehrerin die ausführende Person, oder auch der Seemann oder der Barkeeper. Die Rekonstruktion der zufallsgenerierten Personenkette wird dadurch spannend, dass nach dem Startbildschirm vier mehrdeutige Sequenzen gezeigt werden, in denen der/die TäterIn sich mit zwei anderen – möglicherweise komplett unsschuldigen – Personen auf dem Weg zur Arbeit befindet oder der/die AuftragsgeberIn beim Nachmittagsfilm im Kino neben drei verdächtigen Personen sitzt. Dieses Bildmaterial muss auf die Beziehungen untereinander von den SpielerInnen untersucht werden, denn im letzten Akt kommt es zum finalen Schlag. Man soll in der panisch umherrennenden Horde alle Kriminellen mit jeweils einer Kugel umbringen, natürlich möglichst ohne Unschuldige zu verletzen.

Nanofactory
(Nanofactory)

Das Puzzle-Spiel Nanofactory hingegen unterliegt zwar keinem Zufallsgenerator, hat aber dennoch etwas dem Zufall sehr ähnliches an sich. So werden wohl sämtliche Adventure-SpielerInnen die Situation kennen, in dem ein Rätsel besonders absurder Art bei seiner Lösung zu einem befreienden Lachen führte (wie in The Secret of Monkey Island). Hier lacht man, da man mit reinem logischen Denkverstand nie weitergekommen wäre. Im hoffnungslos überfüllten Inventar versucht man Gegenstände zu irgendwelchen neuen Kombinationen zu formieren, ohne dass man überhaupt nachdenkt, welche Funktion das Endresultat haben könnte. Hier liegt die Zufälligkeit nicht im Spiel selbst, aber umso mehr im Akt des Spielens. Man kommt nicht weiter und versucht irgendwie mit allen Mitteln weiterzukommen und urplötzlich gelingt der Durchbruch, den man nicht erwartet hätte. Nutze Grog auf Metallschloss. Ja, klar. Die Irrationalität der Rätsel bietet eine schier enorme Anzahl an potenziellen Lösungsmöglichkeiten. Ähnlich gestaltet sich auch Nanofactorys Gameplay. Die Puzzleteile sind größere Schaltkreiselemente, die jedoch in sich ebenfalls nochmal in einzelne zu drehende Elemente aufgeteilt ist. Je komplexer die Rätsel werden, wird durch die Doppelebene der Rätsel – Form drehen und Formelemente drehen – das Rätsel bis ins Absurde hochgetrieben. Irgendwann reicht der reine logische Menschenverstand nicht mehr aus und man klickt nur noch minutenlang herum. Von einen Moment auf den anderen scheint sich jedoch die Lösung zu offenbaren, aus der zufälligen Drehung eines einzelnen Bauelements kann das ganze Lösungsmuster sichtbar werden. Ein wahrer Erleuchtungsmoment tritt ein.

No Country for Coincidence

Real War
(Real War)

Es scheint jedoch auch Genres zu geben, die keinerlei Zufall zulassen. Ein unglaublicher Moment für mich war das Spielen von Real War, einem Kriegsspiel. Als namenloser Soldat bahnt man sich seinen Weg durch das Schlachtfeld, spricht mit dem Befehlshaber, erschießt Feinde, sieht hilflos dabei zu, wie die eigenen Kameraden von Kanonenkugeln in ihre Einzelteile zerschossen werden und sieht einen ängstlichen jungen Soldaten hinter der Front kauern, der mit seinem ersten Feindesermordung zu kämpfen hat. Sämtliche Kriegsshooter, insbesondere die historischen wie die Weltkriegsshooter, sind höchstgradig linear verlaufend, da das Ende des Kriegs immer schon festgelegt wurde. Wie schon Christian Huberts im Sammelband „Welt|Kriegs|Shooter. Computerspiele als realistische Erinnerungsmedien?“ korrekt feststellte:

„Im Grunde genommen ist der Krieg […] zu Ende, bevor er angefangen hat, […] wir fahren nur noch einmal in historischer Kulisse die spannendsten Szenen ab.“

Das stimmt. Real War kann uns mit seiner Ästhetik allerdings ein noch aufprägsameress Bild vom Krieg als zufallsloser Gewalt schaffen, wie es ein Call of Duty-Teil niemals vermögen würde.

Real War
(Real War)

Und sonst so?

Ansonsten gibt es übermorgen (!) den letzten Test-Beitrag und heute noch drei weitere Kurzempfehlungen. Viel Spaß!

Overpopulous: Ein ausgesprochen sauberer, Weltraums-Kolonialisierungs-Trip, der ungeheuer viel Spaß macht!
Moon Base: Mit der wachsenden Welt in den Händen entsteht hier ein Gravitationsfeld, das bei der Sprungmechanik einberechnet werden muss. Sehr schönes Spielprinzip.
Exposed: Ein Point’n’Click-Adventure der Extraklasse, bei dem der Zufall ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Stichwort: Absurde beeinflussbare Evolution.