Mainlining: Hackordnung
Sony weiß es, Hillary Clinton und John Podesta wissen es erst recht: Mit den richtigen Fähigkeiten kann ein einzelner Hacker oder eine kleine Gruppe enorm viel Schaden anrichten. Das zu verhindern ist das Spielziel in Mainlining, dem zu Teilen über Kickstarter finanzierten Point’n’Click-Adventure des englischen Entwicklers Rebelephant. Der Titel des Spiels ist gleichzeitig auch der Name meines wichtigsten Werkzeugs, das ich zusammen mit anderen gängigen Anwendungen wie einem Browser und einem Mailprogramm auf dem virtuellen Desktop wiederfinde.
Mit dem Mainlining-Tool kann ich mich in die Nutzerkonten fremder Webseiten hacken und dort abgelegte Dateien abrufen. Diese enthalten Hinweise darauf, wie ich den in der jeweiligen Verfahrensakte ausgeschriebenen Digitalverbrecher dingfest machen kann. Seien es Kontodaten, Beweisfotos oder Textdokumente, die auf wieder andere hackbare Seiten hinweisen. Habe ich schließlich den richtigen Beweis gesammelt, kann ich den jeweiligen Verdächtigen in einem dreistufigen Prozess festnehmen lassen. Nach erfolgreichem Abschluss des Falls werde ich direkt mit dem nächsten beauftragt.
Die unterschiedlichen Fälle sind im Rahmen der Hintergrundgeschichte um die Hackergruppe ‘Thorn’ untereinander verknüpft drehen sich neben Cyberkriminalität beispielsweise auch um Drogenhandel. Äußerst merkwürdig: Pro Fall ist immer nur ein Beweis zulässig, selbst wenn mehrere Dokumente die Schuld des Verdächtigen belegen. Aber das ist letztlich ohnehin nur halb so schlimm. Schließlich darf ich bei einer unrechtmäßigen Verhaftung direkt am entsprechenden Fall weiterarbeiten. Konsequenzen spüre ich keine und Zeitdruck und gibt es bei Mainlining auch nicht. Das ist zwar enorm unrealistisch, aber bei weitem nicht das einzige Problem von Mainlining.
Denn diese beginnen schon bei der Aufmachung des Spiels. Der Charme der Retro-Pixel-Grafik ist unverkennbar, aber echte Cyberkriminelle und deren Widersacher bewegen sich wohl kaum in einer derart rudimentär-archaischen, an Windows XP erinnernden Desktop-Umgebung. Die 16-Bit-Optik ist einfach nicht die richtige Wahl für das zugrundeliegende Thema, da ihr in den meisten Fällen ein gewisser Niedlichkeits-Faktor zugrunde liegt. Auch die Limitierung auf wenige Befehle trägt nicht gerade zur Atmosphäre bei. Wenn ich als Agent eines der mächtigsten Geheimdienste der Welt gerade einmal Dateien von irgendwelchen Servern herunterladen kann, ist es kein Wunder, dass mir die Hacker auf der Nase herum tanzen. Auch vom Soundtrack des Telltale-Hauskomponisten Jared Emerson-Johnson gibt es im Spiel selbst erstaunlich wenig zu hören. Es dominieren Mausklick- und Tastaturgeräusche. Das mag dem Sujet entsprechen, wirklich Stimmung kommt dadurch allerdings nicht auf.
Mainlining scheitert an seinem offensichtlichen Realismusproblem, das Titel wie Hacknet oder Shenzhen kreativer gelöst haben. Die noblen, aber wenig subtilen Versuche der Entwickler, auf die Gefahren eines Überwachungsstaats und die Kostbarkeit virtueller Freiheit hinzuweisen, können das Spiel dann auch nicht mehr retten.