Naya's Quest
Die dritte Dimension ist für Spieler Fluch und Segen gleichermaßen. Sie brachte kantige und hässliche Polygongrafik, aber auch den zweiten Analogstick. Sie sorgte für den Untergang von Mega Man, aber auch für die zweite Jugend von Link. Sie war der Aufhänger für den Virtual Boy, aber auch für die PlayStation. All diesen Erfolgen und Misserfolgen ist eins gemein: Eigentlich betrügen dreidimensionale Spiele ihre Spieler. Die dritte Dimension ist nicht echt, sie entsteht lediglich in unseren Köpfen, deren Wahrnehmungshorizont sich ohnehin nur auf einen Bruchteil der tatsächlich existenten Welt beschränkt. Traurig, aber wahr: Selbst Oculus Rift ändert nichts daran, dass wir von echter Dreidimensionalität etwa so weit entfernt sind wie von Teleporterstrahlen und Holodeck.
„Warum nicht genau das ausnutzen?“, dachte sich womöglich genau deshalb Terry Cavanagh (Super Hexagon, VVVVVV) und schuf mit Naya’s Quest ein Spiel, dass das Pseudo-3D früher Isometrie-Anwendungen ins Zentrum des Spielgeschehens rückt. Beim Anblick der Perspektive werden unweigerlich Erinnerungen an Titel wie Snake Rattle ‘n’ Roll wach, aber Naya’s Quest ist mehr als ein weiteres Spiel auf dem unendlich großen Retro-Stapel der Indie-Szene. Es spielt gewissermaßen mit sich selbst, bietet dem Spieler bewusst einen eingeschränkten Blick in ein Pseudo-3D, das keine wirklichen Schlüsse darauf zulässt, was sich rechts, links, oben oder unten befindet. Unweigerlich rennt der Spieler als Naya deshalb permanent in den Abgrund – es dauert eine Weile, bis das menschliche Hirn begreift, dass es bei Naya’s Quest nicht nur um Versuch und Irrtum geht, wenn sich die Protagonistin auf unsicheren Füßen von Plattform zu Plattform bewegt.
Naya kann ihre Umgebung scannen – eine äußerst wichtige Fähigkeit, die dafür sorgt, dass der Spieler die Welt noch einmal mit anderen Augen wahrnimmt. Ein wirklicher Eindruck davon, wo im dreidimensionalen Raum sich welcher Spielabschnitt gerade befindet, entsteht nur für jene, die sich die Mühe machen, sämtliche Blickwinkel miteinander zu kombinieren. Wo wirft welche Kachel gerade einen Schatten, wo verschwindet Nayas Kopf hinter einer höher gelegenen Ebene, wo liegen zwei Felder auf gleicher Ebene nah genug beieinander, dass ein Sprung funktionieren könnte? Nur wer lang genug überlegt, findet es heraus. Oder wer genug herumprobiert.
Das Herumprobieren ist gleichzeitig auch das größte Problem an Naya’s Quest, denn wer ungeduldig ist, kann im Prinzip jedes Rätsel lösen, indem er einfach jeden möglichen Schritt ausprobiert. Nach dem Verlust von drei Leben wird die Protagonistin lediglich einen Raum zurückgeworfen, sodass wirklicher Leistungsdruck nie entsteht. Naya’s Quest ist eigentlich eine elegante Interpretation von zeitgenössischer, virtueller Dreidimensionalität – sie existiert eigentlich nicht, entsteht nur in unseren Hirnen. Wer jedoch einen aktuellen Egoshooter startet, ist es gewohnt, dass sein Kopf diese Aufgabe – das Übersetzen einer zweidimensionalen Pixelfläche in ein dreidimensionales Bild – ganz automatisch erledigt. Wer Naya’s Quest spielt, muss sich dagegen anstrengen. Das sorgt einmal, im Moment der Erkenntnis nämlich, für ein schönes Aha-Erlebnis . Einmal eben leider nur, denn hinter diesem großartigen Effekt verbirgt sich recht seichtes Gameplay.
Das Grundprinzip basiert darauf, dass Naya nur von Raum zu Raum und von Tür zu Tür läuft. So etwas wie Atmosphäre will bei den multidimensionalen Hirnverknotungen, die das Spiel hervorruft, nicht so recht aufkommen. Schade – Raum für philosophische Unterfütterung wäre eigentlich durchaus vorhanden. Der schiere Reiz der optischen Täuschung setzt sich dennoch im Kopf fest – und damit auch eine ganz neue Wertschätzung für das, was gescheiterte Mega Man-Spiele, frühe Polygongrafik und der Virtual Boy zu leisten versuchten.