Don't let go, you've got the music in you.
Can't forget you only get what you give.
Prinzessinnen retten und Bösewichte erschießen lässt uns kurz vergessen, dass in der Küche noch der Abwasch wartet: Die Möglichkeit zum kurzweiligen Entfliehen aus dem Alltäglichen ist eine wichtige Eigenschaft des Mediums Videospiel. Panoramical macht diesen Eskapismus von einem Nebeneffekt zum Mittelpunkt. Einem klassischen Genre zugeordnet wäre es vermutlich am ehesten ein “Musikspiel”, nicht zuletzt wegen deutlicher Ähnlichkeiten zum Techno-Shooter Rez. Jede Controller-Eingabe verändert einen Teil der Umgebung und die Musik verändert sich mit. Die Eingaben, die elektronische Musik und die abstrakte 3D-Welt verschmelzen zu einem untrennbaren Ganzen und generieren bei jedem Spielen ein etwas anderes Erlebnis.
Das ist alles. Keine Helden, keine Highscores, keine Ziele, keine Geschichte. Panoramical ist ein Sog. Nach wenigen Minuten des Spieles verliere ich mich so sehr in seinem Fluss, dass ich alles um mich herum vergesse. Die Formen und Farben fliegen über den Bildschirm und verändern sich mit jedem Mal, wenn ich an einem der analogen Regler des Mischpults drehe, der eigentlich eher in ein Tonstudio als eine Arcadehalle gehört. Ganze Gebirge erheben sich und verschwinden wieder am Horizont, die Wasseroberfläche wird von einem glatten Spiegel zu einem verzerrten Wirrwar und die die Zeit vergeht mal schneller, mal langsamer – ganz so, wie ich es will. Stellen die Formen wirklich eine Landschaft dar? Es ist zumindest das, was ich im ersten Level sehe. Panoramical zu spielen ist eine extrem subjektive Erfahrung.
Die Steuerung ist (zumindest mit einem entsprechenden Controller) so intuitiv, dass mein Kopf Zeit hat, den Eindrücken eine Bedeutung zu geben und in meine Fantasie abzuschweifen. So spektakulär die Bilder sind, so langweilig ist es doch, jemand anderen bei ihrer Erschaffung zuzusehen. Ohne die direkte Interaktion bleibt nicht mehr als ein netter Bildschirmschoner übrig.
Zum ersten Mal spielte ich Panoramical im Game Science Center in Berlin. Selbst an einem vollen Tag stach es dort noch hervor. Das Bild wurde großflächig auf eine Wand projiziert, auf deren gegenüberliegenden Seite stand das Mischpult und ein Paar Kopfhörer. Beim Spielen vergaß ich für einen Moment die Zeit, die anderen BesucherInnen um mich herum, meine FreundInnen, mit denen ich dort war.
Leider verliert Panoramical beim Umzug ins Wohnzimmer viel von seiner Sogwirkung. Die Steuerung mit einem klassischen Controller erfordert ein umständliches Drücken mehrerer Knöpfe und verhindert so das völlige Abschalten. Wer nicht zufällig daheim Musik produziert und einen MIDI-Controller mit 18 Reglern hat, muss so leider mit einer weniger interessanten Erfahrung vorlieb nehmen. Der zu einem stolzen Preis von 125 Euro angebotene und speziell für das Spiel angefertigte Panoramical Pod ist leider schon restlos ausverkauft.
Obwohl schon lange über “Walking-Simulatoren” und Non-Games gesprochen wird, passen Titel wie Panoramical noch immer nicht so recht in eine Schublade. Die beiden Entwickler bezeichnen ihr Werk daher als “videospielartige, interaktive Erfahrung”, um sämtlichen Diskussionen darum bereits im Vorfeld entgegenzuwirken. So müssen sie auch nicht erklären, warum Panoramical keine Belohnungsmechanismen oder Missionsziele braucht. Es zu Spielen ist Selbstzweck. Und das reicht auch vollkommen aus. Besonders mit dem richtigen Controller.