Im Jahr 1995 verwendete der US-amerikanische Soziologe Mike Davis in einem Artikel wohl zum ersten Mal den Begriff des „Prison-Industrial Complex“ und bezog sich dabei auf das boomende Geschäft mit dem Bau und Betrieb von Haftanstalten in seiner Heimat Kalifornien. Die (nicht mit ihm verwandte) amerikanische Philosophin und Ikone der Bürgerrechtsbewegung Angela Davis verhalf dem Begriff zwei Jahre später in einer Rede zu einer gewissen Prominenz. Sie beschäftigt sich in ihren Büchern und Artikeln mit dem Zusammenhang zwischen Profitstreben und der hohen Zahl inhaftierter Menschen in den USA – mit 2,2, Millionen waren das 2014 fast ein Viertel aller Häftlinge weltweit.
Wer einige Stunden mit der Gefängnissimulation Prison Architect verbracht hat, dem erschließt sich dieser Zusammenhang fast von selbst. In der umfangreichen Bau- und Managementsimulation gilt es, ein privates Gefängnis nach amerikanischem Vorbild zu errichten und anschließend zu betreiben, mit allem was dazugehört: Personalmanagement, Arbeits- und Bildungsangeboten, Strom- und Wasserversorgung, Besuchsraum und Kantine. Dabei muss bei der baulichen Gestaltung und beim Betrieb die Sicherheit stets mitgedacht werden, sonst drohen Bandengewalt, Drogenmissbrauch und Ausbruchsversuche die Stabilität der Einrichtung dauerhaft zu gefährden.
So wird das Spiel zum ständigen Balanceakt zwischen dem eigenen Anspruch auf humane Haftbedingungen und Resozialisierung, den Bedürfnissen der Insassen, der Sicherheit und der Rentabilität der Einrichtung. Und letztere lässt sich selbst bei rigider Ausgabenpolitik und profitabler Knastarbeit langfristig eben nur durch Wachstum sichern: Mehr Häftlinge, mehr Kohle. Es ist vielleicht das größte Verdienst von Prison Architect, dass es aus dem abstrakten Begriff des Prison-Industrial Complex eine spielbare Erfahrung macht.
Aber Halt – Prison Architect? Ist das nicht Schnee von gestern, hat sich dazu nicht bereits jedes Spielemedium, jede Gamesredaktion einer Tageszeitung bereits ausführlich geäußert? Hat nicht auch Superlevel irgendwann schon einmal seinen Senf dazu gegeben? In der Tat: Prison Architect erschien bereits im Oktober 2015 nach einer drei Jahre langen, vorbildlich begleiteten Early-Access-Phase. Exzellente Verkaufszahlen gingen dabei Hand in Hand mit großer medialer Aufmerksamkeit. Trotzdem gibt es gute Gründe für den Zeitpunkt dieses Beitrags: Nach etlichen Updates bis zum Jahreswechsel – die größte Neuerung war dabei sicherlich die Einführung weiblicher Strafgefangener – hat das Spiel nun einen Komplexitäts- und Perfektionsgrad erreicht, der es rechtfertigt, sich noch einmal damit zu befassen und sich mit den in anderen Medien vorgebrachten Kritikpunkten auseinanderzusetzen. Denn Prison Architect ist ein so ambitioniertes wie kontroverses Spiel. In den Chor begeisterter Rezensenten mischen sich einige kritische Stimmen und sogar die ein oder andere schlechte Wertung . Auch wenn ich nicht verstehe, wie sich differenzierte Kritik am Ende in die Zahl 55 umrechnen lässt, lohnt es, sich mit dieser und anderen kritischen Rezensionen auseinanderzusetzen. Gerade dann, wenn man Prison Architect so gerne spielt wie ich und seine unangenehmen Aspekte manchmal gerne ausblenden würde.
Rainer Sigl “[Obwohl] die Entwickler sich während der dreijährigen Entwicklung wiederholt zur Brisanz ihres Themas geäußert und viel Fingerspitzengefühl für die letztlich heikle Thematik versprochen haben, hinterlässt die relativ kommentarlose Freiheit der Simulation wohl bei manchem ein mulmiges Gefühl.” — derstandard.at
Mulmig kann es einem bereits im Tutorial werden, in dem ein Exekutionsraum samt elektrischem Stuhl gebaut werden muss, um anschließend einen Mörder hinzurichten. Der bewusst eingebaute Anachronismus des elektrischen Stuhls offenbart die Scheußlichkeit der Todesstrafe in drastischeren Bildern, als es die heute übliche Giftspritze vermocht hätte. Anhänger der Todesstrafe wird das natürlich trotzdem nicht zum Nachdenken bringen – aber es produziert gleich zu Beginn einen markanten Schockmoment, der überdeutlich signalisiert: Das ist alles andere als eine Gute-Laune-Simulation, mag es da auch noch so bunt über den Bildschirm wuseln. Zur Realität des amerikanischen Justizsystems, an dem sich Prison Architect orientiert, ohne es zu benennen, gehört eben nach wie vor in etlichen Bundesstaaten die Todesstrafe, zu der aktuell fast 3.000 Menschen verurteilt sind.
Die Möglichkeit der Exekution ist das makaberste Element in Prison Architect, auch wenn sie nach Abschluss des Tutorials optional ist. Damit führt sie direkt zu der Frage, die Prison Architect von Anbeginn der Early-Acess-Phase begleitet hat: Ist es ein zynisches Spiel?
Um eine Antwort darauf zu finden, scheint mir der Blick auf die Entwickler aufschlussreich: Die Einschätzung, wie ernst sie selbst ihr Thema nehmen, wirkt sich darauf aus, wie wohl ich mich mit einem „kontroversen“ Spiel fühle. Im Fall von Prison Architect habe ich den Eindruck, dass sich das Team des britischen Indie-Studios Introversion jedenfalls viel Mühe gegeben hat: Die Entwickler haben viel Zeit in Recherche investiert und Gespräche sowohl mit Gefängnismitarbeitern als auch mit ehemaligen Häftlingen geführt. Auch finden sich im gut dokumentierten Entwicklungsprozess immer wieder Hinweise darauf, dass die Entwickler ihr heikles Thema durchaus reflektieren.
Das macht Prison Architect natürlich nicht zum Serious Game – und das muss es auch nicht sein. Aber es gelingt ihm, eine Verharmlosung oder gar Glorifizierung des Justizvollzugs zu vermeiden und einen verhältnismäßig differenzierten Blick auf das Gefängnis als System zu werfen. Dabei stehen dem System im Spiel Häftlinge gegenüber, die individuelle Merkmale wie unterschiedliche Figuren, Gesichtsausdrücke und Frisuren tragen und mit einzigartigen Namen und kleinen Biografien ausgestattet sind. Selbst in einem virtuellen Riesenknast mit autoritärem Regime bleiben die Häftlinge so immer in erster Linie Menschen. Bisweilen legt Introversion bei der Entwicklung geradezu eine Art Zärtlichkeit an den Tag, etwa bei den inhaftierten Müttern, die ihre Babys nie, wirklich nie aus den Augen lassen.
Zudem gibt es mit dem Escape-Modus eine Möglichkeit, die Seiten zu wechseln: Von der allmächtigen Gefängnisleitung zum ausbruchwilligen Häftling. Zwar ist dieser Modus nicht so unterhaltsam wie der Simulationsteil und ein wirkliches Hineinversetzen in die Lage eines Inhaftierten bietet er auch nicht – das Ziel ist schließlich nicht, den Gefängnisalltag zu erleben, sondern möglichst schnell einen Weg nach draußen zu finden. Aber mir fällt keine andere Aufbausimulation ein, die einen solchen Perspektivwechsel anbietet, und das Gefühl, jemandem aus der sonst so machtlosen Häftlingsschar einen Teil der Entscheidungsgewalt über sein Leben zurückzugeben, ist erstaunlich gut. In Details wie diesen offenbart sich für mich ein sympathisch unzynischer Blick auf ein heikles Thema. Dass eine Gefängnissimulation auch ganz anders aussehen könnte, wäre sie von jemandem mit weniger Sorgfalt und Fingerspitzengefühl entwickelt worden, steht für mich außer Frage.
Simon Parkin “It isn’t clear whether Prison Architect has prompted many of its players to undertake what Morris called a ‘proper exploration of the prison system’.” — newyorker.com
Nun ist jede Differenzierung und Reflexion vergebliche Liebesmüh, wenn sie nicht bei den Spielern ankommt. Deshalb liegt die Frage nahe, ob der Anspruch der Entwickler ihre Spieler überhaupt erreicht. Der Vorwurf, ein Spiel führe seine Konsumenten nicht deutlich genug zur gewünschten Botschaft oder ermögliche es ihnen sogar, es widersinnig oder missbräuchlich zu spielen, ist ein schwieriger. So nachvollziehbar das Unbehagen sein mag, wenn GTA-Spieler nichts anderes tun wollen als wahllos Passanten zu töten (um ein vergleichsweise harmloses Beispiel zu bemühen), so sehr ist es grundsätzlich problematisch, einem Spiel vorzuwerfen, wie es gespielt werden könnte. Genauso wie mich ein Buch nicht zu einer bestimmten Lesart zwingen kann, gilt das auch für Spiele, egal wie offensichtlich sie eine bestimmte Botschaft oder eine bevorzugte Spielweise zu transportieren versuchen. Für ein Sandbox-Spiel wie Prison Architect gilt das umso mehr, weil die relativ große spielerische Freiheit den Kern des Genres ausmacht. Wer also das Bedürfnis hat, möglichst viele Häftlinge unter schrecklichsten Bedingungen in seiner Anstalt unterzubringen, dem wird das schwerlich auszutreiben sein. Und wer keine Lust hat, während des Spielens über den Sinn und Unsinn von Freiheitsentzug zu reflektieren, der wird das schlicht nicht tun.
Tatsächlich bietet das Spiel genug Material zum Nachdenken und die Kampagne bemüht sich redlich, die eine oder andere moralische Frage aufzuwerfen. Trotzdem bleibt Spielern letztlich selbst überlassen, was sie daraus machen. Doch das gilt auch für andere Spiele, die wesentlich offensiver Botschaften oder Denkanstöße transportieren wollen als Prison Architect, etwa This War of Mine oder Papers, Please. Beide versuchen gekonnt, über ihr Spielprinzip Empathie und Verständnis für komplizierte Probleme auszulösen. Dennoch muss niemand über die Folgen des Kriegs für Zivilisten nachdenken, wenn er This War of Mine spielt. Und wer will, kann Papers, Please auf sein Spielprinzip reduzieren und einfach nur versuchen, möglichst wenige Fehler beim Stempeln zu machen. Dass einem dann ein wesentlicher Aspekt der Spiele entgeht, versteht sich von selbst. Aber Chancen zu vertun ist nicht verboten. Prison Architect bietet solche Chancen ebenso wie die Möglichkeit, sie zu ignorieren.
Das bedeutet natürlich nicht, dass Entwickler aus der Verantwortung zu entlassen sind, wenn ihre Spiele menschenverachtende Spiel- und Verhaltensweisen nicht nur theoretisch erlauben, sondern vielleicht sogar fördern. Zwei Details belegen meines Erachtens, dass Introversion in dieser Frage eine gewisse Umsicht walten ließen: Zum Einen belohnt Prison Architect sadistische Entscheidungen nicht. Wer seine Häftlinge verhungern lässt, riskiert gewaltsame Aufstände und Todesfälle, die sich negativ auswirken und zum Spielende führen können. Natürlich dürfte dies hauptsächlich spieltechnische Gründe haben, aber es ist dennoch eine erwähnenswerte Tatsache. Zum Anderen hat Introversion darauf verzichtet, besonders furchtbare Aspekte des realen Gefängnisalltags wie sexuelle Gewalt zu implementieren. So verstörend Prison Architect an manchen Stellen sein mag, die Entwickler haben nachvollziehbare Grenzen gezogen.
Doch wie verhält es sich mit dem Kritikpunkt, dass es das Spielprinzip selbst nahezu unmöglich macht, das Thema ernstzunehmen? Steigt mit der zunehmenden Komplexität des Systems nicht die Gefahr, dass es am Ende egal ist, was wir genau bauen und managen? Verliert sich jede moralische Debatte am Ende in der endlosen Optimierung einer Infrastruktur, die eben doch genauso gut ein Krankenhaus, ein Zoo oder eine Stadt sein könnte? Kurz: Vergessen Spieler vor lauter Management, worum es geht?
Paolo Pedercini “Players are so busy micromanaging and streamlining the internal flows of bodies and objects that they may as well forget they are running a prison.” — kotaku.com
Tatsächlich verlangt Prison Architect, insbesondere im Sandbox-Modus, ein hohes Maß an Konzentration und ständiges Nachregulieren an der ein oder anderen Stelle. Sind genug Zellen oder Schlafplätze für die Häftlinge vorhanden, die in sechs Stunden ankommen werden? Habe ich die nötige Infrastruktur, falls darunter Frauen mit Säuglingen sind? Wie bringe ich meine Finanzen möglichst schnell wieder in den schwarzen Bereich? Und warum bricht nun schon zum dritten Mal in der Kantine eine Massenschlägerei aus? Wenngleich alle Häftlinge Namen, individuelle Biografien und Bedürfnisse haben und damit jeder Charakter vom Moment seiner Aufnahme bis zu seiner eventuellen Entlassung eine eigene Geschichte erzählt, dauert es nicht lange, bis sich diese einzelnen Schicksale in einem System verlieren, das optimiert und optimiert und weiter optimiert werden will. Die zwingende Notwendigkeit zum ständigen Wachstum ist dabei nicht gerade hilfreich.
Wer will, kann auch darin eine Kritik am amerikanischen Gefängniswesen sehen. Aber letztlich funktioniert jede Bau- und Managementsimulation im Wesentlichen nach diesem Prinzip. Die Einsicht weicht der Draufsicht, der Einblick dem Überblick, schon allein, weil alles andere ab einer gewissen Größe unpraktisch bis unspielbar wird. Für ein Spiel mit einer dermaßen aufgeladenen Thematik kann das zum Problem werden, wenn es sich am Ende nur noch als bessere Ameisenfarm darstellt. Doch Prison Architect gelingt es immer wieder, mir die Folgen meiner Handlungen drastisch vor Augen zu führen. Ein besonders eindringliches Beispiel dafür ist der Moment, in dem ich bemerkte, dass vier Frauen bewusstlos in ihren Mutter-Kind-Zellen lagen, ihre Babys immer noch im Arm, weil meine Küchenlogistik fehlerhaft war und sie deshalb seit Tagen gehungert hatten. Auf den Schock folgte die Frage an mich selbst, wie ich solche Situationen künftig zu verhindern gedachte. Ich hatte zu wenig Vertrauen in meine Fähigkeiten, setzte auf totale Kontrolle und installierte Überwachungskameras in allen Mutter-Kind-Zellen. Ich kam mir vor wie ein Schwein.
Das Beispiel zeigt, wann es Prison Architect am ehesten schafft, zu berühren: Immer dann nämlich, wenn ich versage. Läuft hingegen alles wie geschmiert, verliere ich mich im System und in der Aufgabe, es immer weiter zu perfektionieren. Das heißt aber auch: Prison Architect wirkt so, wie es gespielt wird. Wer ein Talent zur Optimierung komplexer Systeme mitbringt, wird vielleicht seltener mit solchen unangenehmen Momentaufnahmen konfrontiert werden. Die Haftanstalt wird dann tatsächlich immer mehr zur Maschine, in welcher der einzelne Häftling keine Bedeutung mehr hat. Das ist ein Punkt, den man kritisieren kann. Es ist aber zugleich ein legitimer Kommentar auf die amerikanische Gefängnisindustrie, in der Profit, politischer Druck und systematische Diskriminierung die Richtung vorgeben, nicht das individuelle Schicksal von Menschen – seien es Strafgefangene, die Mitarbeiter in den Haftanstalten oder die Opfer von Straftaten.
Einer dieser Aspekte, die systematische Diskriminierung nämlich, führt zu einem weiteren Kritikpunkt, den sich Prison Architect gefallen lassen muss: Nämlich, dass es die rassistische Dimension des amerikanischen Justizsystems weitgehend ausblendet – und damit seinen vielleicht prägendsten und problematischsten Aspekt.
Will Partin „And while Introversion’s commitment to representing a diverse prison population (of both staff and inmates) is commendable, the studio’s unwillingness to model race as part of a larger system, even as it models so many other systems in the prison industrial complex, is perplexing.“ — killscreen.com
Zwar sind die Gefängnisse in Prison Architect tatsächlich divers, die Zusammensetzung der Häftlingspopulation scheint aber eher eine willkürliche zu sein, die mit der Realität in amerikanischen Gefängnissen nichts zu tun hat: Afroamerikaner und Lateinamerikaner machten 2008 rund ein Viertel der amerikanischen Bevölkerung aus, ihr Anteil an der inhaftierten Bevölkerung lag aber bei 58 Prozent. Ein Großteil dieser Haftstrafen geht bis heute auf den War on Drugs zurück, der selbst eine diskriminierende Dynamik hat: Obwohl statistisch fünfmal so viele Weiße Drogen konsumieren wie Schwarze, gehen zehnmal mehr Schwarze als Weiße wegen Drogendelikten ins Gefängnis. Sie verbüßen dafür Haftstrafen, die durchschnittlich so lang sind wie die von Weißen für Gewaltdelikte. Selten lässt sich systematische Diskriminierung so eindeutig nachweisen.
Prison Architect bildet diese Problematik nicht ab, weder quantitativ noch spielmechanisch: Ob Häftlinge helle oder dunklere Haut haben, wirkt sich nur in Details aus, etwa darauf, zu welcher Gang sie sich hingezogen fühlen. Es spielt ansonsten keine Rolle für den Spielverlauf und es gibt keinerlei Angebote innerhalb der Managementsimulation, die sich auf diesen Aspekt beziehen. Das mag daran liegen, dass die Entwickler eben keine Amerikaner, sondern Briten sind – was allerdings unwahrscheinlich ist, berücksichtigt man den beachtlichen Rechercheaufwand. Dass sie den Zusammenhang zwischen ethnischem Hintergrund und der Wahrscheinlichkeit, ins Gefängnis zu kommen, einfach ignoriert haben, glaube ich auch nicht. An manchen Stellen sieht es für mich eher so aus, als hätten die Entwickler bewusst versucht, andere Narrative zu etablieren, um keine Stereotype zu bedienen. Auffällig wird das in der Kampagne, in der die Straftäter weiß sind, der Bürgermeister schwarz. Die Intention mag hier positiv gewesen sein, aber sie überzeugt nicht, weil der Anspruch, in einem gewissen Rahmen Realitäten abzubilden, ansonsten zu jeder Zeit erkennbar ist. Prison Architect ist deshalb kein rassistisches Spiel, aber es vernachlässigt einen zentralen Aspekt.
Natürlich setzt die systematische Diskriminierung nicht erst in dem Moment ein, in dem jemand zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wird. Sie beginnt lange vorher. Mit rassistischen Denk- und Verhaltensweisen im Polizeiapparat und in der Justiz. Mit Diskriminierung im Bildungswesen, Benachteiligungen im Berufsleben und generell schlechteren Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe. Die überdurchschnittliche Repräsentation afroamerikanischer und lateinamerikanischer Männer und Frauen in den Haftanstalten ist schon für sich genommen Diskriminierung, aber sie ist auch die Konsequenz aus einer ganzen Reihe anderer rassistischer Mechanismen. Das in einem so zugespitzten Spiel auch nur annähernd befriedigend abzubilden, ist sicherlich alles andere als einfach. Es aber gar nicht erst zu versuchen ist trotzdem ein Fehler.
Prison Architect ist ein exzellentes Strategiespiel mit spielerischem Tiefgang. Sein Szenario provoziert ohne Frage. Aber ich sehe da keine Provokation um der Provokation Willen, sondern eine gründlich recherchierte und mit großer Sorgfalt entwickelte Simulation, die sogar am Beginn einer gedanklichen Auseinandersetzung mit schwierigen Themen wie Freiheitsentzug als Strafe oder dem Zustand des amerikanischen Justizsystems stehen kann – auch wenn das Spiel die rassistische Dimension dieses Systems leider weitestgehend ausblendet. Zweifel daran, ob der Bau und Betrieb von Gefängnissen Spaß machen sollte, sind natürlich zulässig. Freiheitsentzug, das sagt schon der Begriff, ist nicht lustig, sondern ein massiver Eingriff in das Leben eines Menschen. Das gilt selbst bei uns, wo die Justizvollzugsanstalten im Vergleich zu vielen anderen Ländern der Welt, darunter eben auch den USA, verhältnismäßig erträglich sind. Weder sein cartoonhafter Stil noch seine spielerische Perfektion sollten darüber hinwegtäuschen, dass Prison Architect diese Tatsache weder beschönigt noch ins Lächerliche zieht. Ein Mindestmaß an Reflexionsfähigkeit und -willen vorausgesetzt, bietet es sogar erstaunlich interessante Eindrücke und Denkanstöße. Und dabei macht es tatsächlich eine Menge Spaß.