Quake Live: Die Rückkehr der Wählscheibe
Es ist ein 15 Jahre altes Bild, das bis heute unheimlich präsent in meinem Gedächtnis geblieben ist. Auf einer kleinen, privaten LAN-Party saß mein Freund Robin an seinem PC und zeigte uns nicht nur voller rechtmäßigem Stolz eine der ersten optischen Mäuse überhaupt, sondern demonstrierte uns deren Zielgenauigkeit mithilfe eines neuen Spieles, das mich seit diesem Moment nie mehr wirklich losgelassen hat: Quake 3 Arena. Ein Shooter, der mit seinem ungeheuren Tempo und seiner über Jahre hinweg Maßstäbe setzenden Grafikengine nicht nur schleunigst auf meiner Festplatte landen musste, sondern aufgrund der mehr als expliziten Gewaltdarstellung auch auf dem Index. Der 2009 unter dem Namen Quake Live erschienenen Browser-Variante des Spiels, die nun umgewandelt in einen vollwertigen Client auch bei Steam kostenlos zur Verfügung steht, droht dieses Schicksal aufgrund der mittlerweile gänzlich unblutig ablaufenden Kämpfe nicht. Eine Flut an neuen Spielern allerdings auch nicht, aller Einsteigeranbiederung zum Trotz.
Denn all die Bemühungen, diesem einstigen Fixstern am Shooter-Himmel einen moderneren Anstrich zu verleihen, ändern schlichtweg nichts an der Tatsache, dass 15 Videospieljahre etwa 105 Menschenjahren entsprechen. Quake Live ist somit der Versuch, ein Wählscheibentelefon für Smartphonebesitzer relevant erscheinen zu lassen. Dabei meine ich das gar nicht so zynisch, wie es vielleicht klingen mag. Denn das Grundgerüst des Spiels ist auch heute noch unangefochten das Großartigste, was mir je in einem Egoshooter begegnet ist. Schnelle, schnörkellose Arenakämpfe mit futuristischem Waffenarsenal, die ein hohes Verständnis für das Kartendesign und die Spielphysik erfordern, um Erfolg zu haben. Der komplette Gegenentwurf zu den realitätsnahen Militärschießereien, die das letzte Jahrzehnt dominiert und den neuzeitlichen Schießspielfreund geprägt haben. Somit erscheint es paradox, dass mit der Steam-Veröffentlichung auch festlegbare Waffenzusammenstellungen Einzug ins Spiel erhalten haben, eine Mechanik also, die man eher mit Battlefield und Co. In Verbindung bringen würde. Es ist ein Entgegenkommen für Frischlinge, die bisher nicht wissen können, wo auf den einzelnen Karten welche Waffe zu finden ist. Ein Raketenwerfer als Starthilfekabel, sozusagen. Aber auch ein Affront gegen alles, was Quake-Veteranen heilig ist.
Ähnlich verhält es sich mit dem automatisierten “Bunny Hop”, einer Sprungmechanik, die bei geschicktem Timing ein schnelleres Vorankommen und das Überwinden größerer Distanzen ermöglicht. Statt diese Technik mühsam zu erlernen, reicht nun bereits das Gedrückthalten der Sprungtaste aus, um sie zu beherrschen. Da muss man sich doch vorkommen, als würde man eine Wii-Portierung spielen. Doch schon nach wenigen Sekunden im Spiel verfliegt meine Möchtegernhardcoreattitüde, weil deutlich wird, wie wenig sich dadurch für mich tatsächlich ändert. Das über Jahre hinweg trainierte Muskelgedächtnis greift sofort und das ist immer noch deutlich mehr wert als jede Einstiegshilfe für Neulinge. Die ersten verlassen noch während der Runde das Spiel. Vermutlich kehren sie auch so schnell nicht zurück.
Quake Live ist letztlich das Produkt zweier widersprüchlicher Ideologien, welches am Ende keiner Genüge tut. Es ist trotz der schonenderen Einführung ins Spiel und dem ganzen Achievement- und Statistikboheis drum herum die Kopie eines Titels, den man einst noch mit D-Mark bezahlen konnte. Es sieht aus wie 1999 und es spielt sich auch so, was ein jüngeres Publikum durchaus abschrecken dürfte. Auf der anderen Seite bleiben die Menschen, die genau dieses Oldschool-Feeling schätzen, durch die weichmachenden Neuerungen wohl besser dem Original treu, das sich bis heute ungebrochener Beliebtheit erfreut. Quake Live, das ein Spiel für alle sein sollte, ist somit leider ein Spiel für niemanden. Dennoch ist es für jeden, der auf erweiterte Clanfunktionen und eine Handvoll Premium-Karten verzichten kann, absolut kostenfrei und allein schon aus wahlweise spielhistorischer oder nostalgischer Sicht eine tolle Gelegenheit, sich auf eine kleine Zeitreise zu begeben. Aber vor dem Start bitte nicht vergessen den Mausball zu reinigen.