Mittelmaß mit Message bleibt Mittelmaß.
Siri. Data. Bender. Wall-E. Die Liste der popkulturellen Güter in Androiden-, Roboter- und Quasselnder-Taschenrechner-Form könnte man endlos weiterführen. Die Faszination ist dabei das, was wir nicht verstehen. Wie kann eine künstliche Intelligenz emotionale Kapazitäten oder ein eigenes Bewusstsein entwickeln? Und welche Gefahren verbergen sich dahinter? Davon ab: Egal ob als Helden, Antagonisten oder komödiantische Gegenpole — die großen Robo-Vorreiter haben alle ihren eigenen bereichernden Charme. Turing, der robotische Spieler-Sidekick im Adventure Read Only Memories, ist leider nur eins: nett.
Dabei ist es durchaus löblich, was MidBoss mit ihrem via Kickstarter finanzierten Debüt versuchen. Im Retro-Point’n’Click-Adventure schlüpfe ich in die Rolle eines Journalisten, der das Verschwinden eines alten Freundes aufklären will. Dieser Freund, Hayden Webber, ist Entwickler bei Parallax, einem Unternehmen, das sich auf die Produktion von Robotern und Androiden für unterschiedlichste Aufgaben, sogenannten Relationship And Organizational Managers (kurz: ROMS) spezialisiert hat. Als Hayden verschwindet, bekomme ich Besuch von Turing, der ersten künstlichen Intelligenz mit der Kapazität zu fühlen und gleichzeitig dem wohl biedersten und langweiligsten Tropf der ganzen Stadt. Turing macht sich berechtigte Sorgen um seinen Schöpfer und bittet mich, ihn bei seiner Suche zu unterstützen. Selbstverständlich willige ich ein und begebe mich auf eine Reise durch Neo-San Francisco, das mit seinen ganz eigenen Problemen zu kämpfen hat: Drohende Ausschreitungen zwischen Menschen und sogenannten Hybriden, die ihren Genpool aus medizinischen und kosmetischen Gründen mit allerlei tierischen Genen aufpeppen. Erste Wellen von aufständischem Verhalten seitens ansonsten so unterwürfiger ROMS und eine Hackerproblematik gibt es natürlich auch.
Das klingt und sieht auf den ersten Blick auch aus wie eine kitschig-bunte Version des legendären Pen-and-Paper-RPGs Shadowrun und anderen, ähnlich gelagerten Cyberpunk-Vorlagen, bleibt auf den zweiten aber ziemlich blass. Der gezeigte technologische Fortschritt wirkt mehr wie eine Vision der 2010er Jahre, die in den 1980er Jahren entstanden sein könnte. Inklusive Datasetten, automatisch fahrenden Taxen und Charakteren, die sich über Gentherapie und Cracking im besten Trash-Slang unterhalten.
Ohnehin ist das Setting und die relativ überraschungsarme Detektivgeschichte nur das Grundgerüst für die Darstellung eines Themas, das die Entwickler von MidBoss als Initiatoren der genderpositiven Spielemesse GaymerX generell umtreibt: die Beschäftigung mit queeren Themen im Videospiel. Das beginnt damit, dass wir uns zu Spielbeginn für Standard-Pronomen wie „er“ oder „sie“, aber auch das neutrale „they“, oder eine ganz eigene Form der Ansprache entscheiden können, und setzt sich in den Geschichten der Bewohner von Neo-San Francisco fort. Hier haben LGBT-Charaktere das gleiche Ansehen wie ihre heterosexuellen Mitbürger, queerpositive Lebensentwürfe wie das erfolgreiche, schwule Barkeeper-Pärchen oder die aufstrebende Polizistinnen-Ex der eigenen Schwester stehen für den Gedanken der Gleichberechtigung. Zudem ist so ziemlich jeder NPC mit einer so ausführlichen Hintergrundgeschichte ausgestattet, wie man sie selten bei Videospielcharakteren aus den hinteren Reihen findet. Dabei gerät Read Only Memories allerdings oftmals zur Textwüste und vergisst gerne mal, dass es ein Videospiel und keine reine passiv zu rezipierende Charakterstudie ist.
Wenig hilfreich bei der Orientierung ist dabei der relativ anspruchslose Schwierigkeitsgrad der wenigen Puzzles und Dialogsituationen, denen ich auf der Suche nach Hayden begegne. Sackgassen gibt es keine. Um NPCs zu verprellen, muss man sich schon ziemlich dumm anstellen, und länger als ein paar Minuten hatte ich persönlich nie an einem Rätsel zu knabbern. Die mehr oder weniger lineare Geschichte treibt sich fast von allein voran, so dass Read Only Memories mehr einem interaktiven Experiment gleicht, das einem den Spiegel mit seiner Idee einer inklusiven Spielwelt vorhalten möchte und damit ein gefundenes Fressen für Gamergate-Blindbirnen darstellt.
Gewissermaßen ist Read Only Memories also mehr Edu- als Entertainment. MidBoss zeigt einen Weg auf, wie man aus stereotypen Abziehbildern relativ glaubhafte, mehrdimensionale Charaktere machen kann, wenn sich schon der Gaming-Mainstream bis auf einige Ausnahmen wie Assassin’s Creed: Syndicate mit seinem Trans-Charakter nicht um die Inklusion von LGBT-Personen kümmert. Nur schade, dass Read Only Memories dabei über seine eigenen Ambitionen stolpert, indem es uns mit Turing den wohl uninteressantesten Charakter – abgesehen vom Protagonisten, der allerdings mehr oder weniger vom Spieler selbst geformt werden kann – für die gesamte Spieldauer zur Seite stellt. Siri. Data. Bender. Wall-E. Alle haben es besser gemacht als der Knirps mit dem blauen Kugelkopf. Turing mag den gleichnamigen Test bestanden haben, sympathischer macht es ihn trotzdem nicht. Und wenn das Drumherum nicht mehr als ein eher maues Adventure mit relativ austauschbarer Grundstory hergibt, das nicht viel mehr als ein interaktiver Roman ist, reicht auch der gute Wille nicht mehr. Kür ohne Pflicht funktioniert eben nicht.