Ein Adventure, das die Ästhetik der Zurückgenommenheit zelebriert.
„Überirdisch schön.“, denke ich mir und würde mich fast für diese unoriginelle Wortwahl schämen, wäre mein Gehirn bereits wieder aus den Tiefen meines Samorost 3-Traums erwacht. Nach bereits wenigen Minuten mit dem Point-and-Click-Adventure von Amanita Design wird das Alltagschaos im Kopf immer ruhiger. Während ich von moosbewachsenem Alltreibholz zu kakteenbewucherten Monden schwebe, zieht mich das Spiel in einen Raum ohne Fragen und ohne Eile – das dem Spiel ganz eigene Vakuum. Am Rande bekomme ich mit, dass ich einen Ritter suche, um einen mechanischen Zerberus aufzuhalten, doch diese Aufgabe scheint in weiter Ferne und für einen anderen Moment gedacht. Vor allem teile ich den Wunsch des Protagonisten die Weiten des Weltalls, die ich durch das Teleskop vom heimischen Planeten aus betrachtet habe, zu erkunden.
Ohne zu zögern baue ich dem kleinen Gnom sein erträumtes Raumschiff und beginne meine Reise. Wohin es geht und warum ist nebensächlich: vor allen Dingen bin ich auf dem Weg, getragen von der träumerischen Musik, die aus allem entsteht, das mich umgibt. Mit meinem Werkzeug, einer magischen Flöte, die anfangs auf meinen Heimatplaneten gestürzt ist, werde ich Teil dieser Musik, interagiere mit den Welten und den in ihnen und allem lebenden Geistern. Diese leiten mich und erzählen mir – wie im gesamten Spiel üblich – in ihrer eigenen Sprache sowie pantomimisch von ihren Nöten. Dazu erteilen sie mir entweder gesonderte Aufgaben oder sind selbst ein Puzzle, das über Klang und Farben zu lösen ist. Selbst die freigeschalteten Errungenschaften spiegeln den musikalischen Geist des Spiels wieder. Jede schaltet eine Melodie oder einen Klang frei, welche sich, egal in welcher Kombination, zu einer Harmonie zusammenfinden.
Das Spiel erinnert nicht nur durch seine Gestaltung mit seinen organischen, teils fotorealistischen Strukturen an eine natürliche Einheit, es spielt sich auch so. Samorost 3 findet ganz im Moment statt und beherrscht das entsprechend ruhige Tempo perfekt. Der Fortschritt geschieht nebenbei, zwanglos schreite ich auf meiner Reise zum Ritter voran. Nahezu meditativ klicke ich mich von Planet zu Planet, versinke in dem wohligen Gefühl, in den Szenerien Bekanntes zu betrachten und bewundere dennoch die ätherische Schönheit der planetgewordenen Wälder, Wiesen und Wüsten. Insgesamt umfasst das Spiel fünf Planeten mit weiteren Trabanten, deren Stil grundlegend differiert. Jeder Planet scheint einem anderen Traum der tschechischen Entwickler entsprungen, der dann in eine surreale Märchenwelt für Erwachsene verwandelt wurde. Diese ist zur Abwechslung im Rahmen einer hierzu vollzogenen Adoleszenz nicht gezwungen düster geraten, sondern besticht durch ihre unaufgeregte Gratwanderung zwischen verspielten Details und bestechend klarer Schönheit.
Ob die Rätsel, auf die ich stoße, tatsächlich teilweise überraschend anspruchsvoll sind oder ob mein vom Samorostrausch benebeltes Gehirn nur nicht in der Lage ist, sie zu lösen, kann ich nicht sagen. Doch auch diese Zwangspausen lassen mich nicht frustriert zurück, da das Spiel mich mit jeder Szene fasziniert und somit ausreichend entschädigt.
Sowohl hinsichtlich Spielmechanik als auch Design und Handlung zelebriert Samorost 3 die Ästhetik der Zurückgenommenheit. Es braucht keine überladenen Bedienelemente, um das Spiel interaktiv wirken zu lassen. Intuitives Vorgehen funktioniert hier genauso gut wie das sprachfreie Menü. Das Außerirdische muss nicht glänzend und mechanisch dargestellt werden – es muss nicht einmal unbekannte Strukturen umfassen, um fremd und fantastisch zu wirken. Die Handlung benötigt keine drei Wendungen inklusive folgender Katastrophe, um wertvoll zu sein. Sie braucht nicht einmal Sprache: ein Bilderbuch, das der Protagonist neben seinem Bett liegen hatte oder das man unterwegs findet, genügt, um die Legende gestohlener Flöten zu erzählen.
Eine Handlung muss auch nicht künstlich verlängert werden. Eine Geschichte braucht zum Erzählen im besten Fall genau so lang, dass alles gesagt ist, aber der geneigte Zuhörer oder eben Spieler unterwegs nicht verloren wird. Bei Samorost 3 sind dies fünf Stunden, bei deren Erzähltempo und erzielter Wirkung sich manch ein prämiierter Filmemacher noch eine Scheibe abschneiden könnte. Wer länger meditieren möchte oder sich nach exotischen Weiten sehnt, sollte Urlaub in einem Ashram oder Rucksackreisen in Betracht ziehen, statt seine Erwartungen diesem märchenhaften Adventure zum Vorwurf zu machen.