Gegen die psychische Belastung einer Runde The Curious Expedition
sind die Abenteuer von Indiana Jones ein Besuch im Vergnügungspark.
Als Kind war ich unheimlich großer Fan von Indiana Jones. Ich hätte alles dafür gegeben, mich gemeinsam mit Indy durch dichte Dschungel zu kämpfen, in einer Lore vor Bösewichten zu fliehen oder verloren geglaubte Schätze zu entdecken. Für mich klang das alles wie eine Attraktion im Disneyland und nicht nach unangenehmen Strapazen am Rande des Aushaltbaren – von den psychologischen Folgen zahlreicher Nahtoderfahrungen keine Spur. Ganz anders bei The Curious Expedition. Getarnt als Indiespiel in niedlicher Pixeloptik wird hier deutlicher, was viele abenteuerliche Forschungsreisen im 19. Jahrhundert tatsächlich waren: eine Reise in menschliche Abgründe.
Ausgangspunkt des Spiels ist der Wettbewerb eines Gentlemen-Clubs, dem Persönlichkeiten wie Charles Darwin, Marie Curie oder Sir Richard Francis Burton angehören (und den es in dieser Personenkonstellation sicher nie gegeben hat). Gewonnen hat, wer nach sechs Forschungsreisen mit dem größten Ruhm heimkehrt. Im Regelfall heißt das, die meisten Schätze mitgehen zu lassen. Diese kann man nämlich am Ende einer Expedition entweder gegen Geld für neue Ausrüstung tauschen oder an ein Museum stiften – was wiederum mehr “Fame”-Punkte einbringt.
Beim Spielen hatte ich immer wieder Indys Zitat “das gehört in ein Museum” im Kopf. Denn genau diese Denkart stellt The Curious Expedition infrage. Plündert man die Heiligtümer der Einheimischen, sind diese nicht gerade gut auf den Expeditions-Trupp zu sprechen. Dabei ist man auf sie angewiesen, um mit Waren zu handeln oder eine sichere Übernachtungsmöglichkeit zu finden. Noch schlimmere Konsequenzen hat es, wenn man Schätze aus einem Tempel mitgehen lässt. Dann bricht in Uncharted-Manier die halbe Karte zusammen oder verschwindet in Fluten oder Flammen.
Die in Hexagone aufgeteilte Karte von The Curious Expedition wird vor jeder Expedition zufällig generiert. Auf dieser navigieren die Spieler ihr Forschungsteam durch Dschungel, Wüsten oder Graslandschaften und decken sie dabei wie in Civilization Stück für Stück auf. Ziel ist jedes Mal eine versteckt liegende, goldene Pyramide. Auf dem Weg dorthin entdeckt man aber auch Dörfer, Wasserfälle, Schamanenhütten, Sklavenmärkte, Elefantenfriedhöfe oder wilde Tiere, die einen angreifen – und möglicherweise auch töten. Nichts ist frustrierender, als den Ruhmes-Wettkampf in der sechsten Expedition anzuführen, nur um dann von einem Krokodil oder einem Tiger im Kampf umgebracht zu werden. Dann heißt es nämlich Game Over und das Spiel beginnt von vorne.
Das wichtigste Gameplay-Element in The Curious Expedition ist allerdings der “Sanity”-Wert. Jeder einzelne Schritt auf der Karte kostet ein Stück Verstand. Anstelle von Lebensenergie, Ausdauer oder anderen Werten, bestimmt daher die geistige Gesundheit maßgeblich den Erfolg der Reise und sorgt so für den Wahnsinn im Spiel. In meiner ersten Runde verrannte ich mich in der falschen Ecke der Karte. Ohne Lebensmittel oder Übernachtungsmöglichkeiten zum Auffüllen war die “Sanity” meines Teams schnell bei null angelangt und der Horror-Trip begann. Meine hungernden Kameraden verloren langsam das Vertrauten in meine Führung. Bald begann ich selbst mit unserem Lastesel zu sprechen. Danach wurde der Esel gegessen, um den Hunger zu stillen. Daraufhin beging der erste meiner Mitreisenden Selbstmord, der nächste wurde Kannibale…
Erzählt werden die verstörenden (genauso wie die weniger spektakulären) Geschehnisse in Textfeldern. Zwischensequenzen oder ähnliche Animationen findet man keine. Das stört aber kein bisschen, die Texte tragen mit ihrer Logbuchform stattdessen zur Stimmung des Spiels bei, unterstreichen den “19.-Jahrhundert-Abenteuer”-Charakter des Spiels und besitzen genug schwarzen Humor, um die dramatischsten Ereignisse aufzulockern. Auch visuell hat mich The Curious Expedition beeindruckt. Die Pixelbilder sind liebevoll gestaltet und stecken voller Details. Bestes Beispiel dafür ist die Endszene jeder Expedition, in der sich das Forscherteam vor einem herrschaftlichen Haus von unzähligen kleinen Pixelfiguren bejubeln lässt, während buntes Konfetti herabregnet. Ein schöner Anblick, der das erleichternde Gefühl jeder lebendig abgeschlossenen Expedition unterstreicht.
Nach einigen durchgespielten Runden wiederholt sich The Curious Expedition zwar, dennoch bietet das Spiel für mich einen erfrischenden Blick auf romantisierte Abenteuergeschichten. Zwar ist dieser historisch auch nicht gerade besonders genau (Marie Curie oder Nikola Tesla waren mit Sicherheit nie auf einer Abenteuerexpedition und auch H. P. Lovecraft will nicht so ganz ins Bild passen), dafür kann man sich aber ganz gut in die Strapazen hineinfühlen, die eine Forschungsreise im 19. Jahrhundert mit sich brachte. Dabei macht The Curious Expedition trotz Tod und Wahnsinn stets Spaß – auch ohne rasante Lorenfahrten oder actionreiche Prügeleien mit Nazis.