The Lost Levels: 02/2016
Guten Morgen, werte Zielgruppe. Im Januar ist einiges passiert. Unsere Patreon-Kampagne feierte ihr einmonatiges Jubiläum, Ludum Dare verzauberte mal wieder die Gamejam-Enthusiasten, Sonja ging in den Knast, Daniel bekam ein Pony, Peter Molyneux nahm nicht seinen Hut, Marcus ließ einen Drachen steigen, Florian fühlte sich blöd, Hendrik war Teil einer Jugendbewegung und Nina hat sich in Amsterdam Haschisch gespritzt.
Eine Auswahl von dem was nicht passiert ist, passiert hier nun in komprimierter Form. Quasi. Viel Spaß mit der Februar-Ausgabe von Lost Levels, dem Auffangbecken für Spiele, die unsere Aufmerksamkeit verdienten, jedoch dem Zeitmangel zum Opfer fielen.
Aviary Attorney (Windows, Mac)
Katharina Kavermann Paris im Jahr 1848: Der Adel fürchtet um seine Macht, während die Bevölkerung Hunger leidet und sich in finsteren Gassen bereits der Widerstand formiert. Die Februarrevolution steht unmittelbar bevor und mitten in dieser politisch unruhigen Zeit lebt auch Jayjay Falcon. In Aviary Attorney schlüpft man in seine Rolle und muss als Strafverteidiger die Unschuld diverser Mandanten beweisen. Der etwas ungeschickte Vogeladvokat, der für seine Alkoholeskapaden bekannt ist, ist dabei in steter Begleitung seines spatzenhirnigen Partners Sparrowson. Ihre Ermittlungsarbeiten sind neben den Gerichtsverhandlungen zentraler Spielbestandteil der Visual Novel. In variierenden Zeitfenstern bereisen die beiden liebevoll inszenierte Schauplätze, sammeln Beweise und versuchen in Wortgefechten mit allerlei Pariser Getier wichtige Informationen zu ergattern. Am Verhandlungstag zeigt sich dann, ob die Indizien dazu ausreichen Richter und Jury zu überzeugen, um damit den erhofften Freispruch zu erwirken.
Sketchy Logic ließen sich für ihr Debütspiel von Karikaturen J. J. Grandvilles (1803-1847) inspirieren und ihnen ist es gelungen, einen kleinen Kosmos um all die komischen Tiergestalten zu erschaffen. Die romantisch-antiquierte Optik und die musikalische Begleitung durch Le carnaval des animaux von Camille Saint-Saëns tragen zu der sympathisch-skurillen Gesamtwirkung des Spiels bei. Wer also audiovisuelle Extravaganz liebt, gerne entspannt bei Krimis miträtselt und ein Herz für schräge Vögel hat, findet mit Aviary Attorney einen passenden Zeitvertreib.
The Coma (Windows, Mac)
Markus Grundmann Wenn The Coma das Handy des Protagonisten Yungho zeigt, ist das eindeutig kein iPhone, sondern ein Samsung-Handy. Das liegt vermutlich daran, dass das Spiel von einem südkoreanischen Indie-Studio namens Devespresso Games stammt. Es spielt an einer Schule und Protagonist Yungho hat die Nacht über für eine wichtige Prüfung gelernt, die er nun bereit ist, zu versemmeln. Er schläft nämlich ein und plötzlich wollen ihm alle ans Leder – mit fahler Haut, starrem Blick, zuckenden Krampf-Bewegungen und allem, was der geneigte Horror-Freund sonst noch so aus asiatischen Gruselfilmen kennt.
Das Spiel kommt in Comic-2D-Grafik daher, was dem Grusel aber keinen Abbruch tut. The Coma ist klassischer Survival-Horror. Yungho hat eine Taschenlampe, ist nicht besonders mächtig und muss sich hier und da auch mal auf dem Klo verstecken, wenn seine wildgewordene Klassenlehrerin ihm den Hals zerbeißen will. Das ist überraschend gut, wurde sie doch zu Beginn des Spiels noch als großbrüstiges Ziel Yunghos sexueller Avancen skizziert. Je mehr ich The Coma spielte, desto mehr hatte ich das Gefühl, in einem Albtraum zu stecken, auf dem ich so bald wie möglich aufwachen will. Mission erfüllt, Devespresso Games.
Qasir al-Wasat: International Edition (Windows, Mac)
Daniel Ziegener In Qasir al-Wasat spiele ich einen Dämon, beschworen aus einer mystischen Welt, um im Auftrag eines undurchsichtigen Magiers drei Männer zu töten. Raum für Raum suche ich Schlüssel, erkunde den Palast und umgehe – für menschliche Augen unsichtbar – Wachleute. Die etwas schwammige Steuerung sorgt anfangs für Frust. Dazu kommt, dass ein einziger Säbelstreich meinen Dämon dahinrafft. Währen die genreübliche Gewalt- und Machtfantasie also verpufft, rückt die eigentliche Stärke von Qasir al-Wasat in den Vordergrund: die Geschichte. Wer sich nah genug heranschleicht, kann die Gespräche von Wachen und Bediensteten belauschen und diese langsam entschlüsseln.
Ich kann die Wachen aber auch töten, solange sie ihre Patroullie noch nicht begonnen haben. Das erleichtert zwar den Fortschritt, tränkt meinen bis dahin unsichtbaren Körper aber auch in weniger unsichtbares Blut. Mit jedem Mord entsteht nicht nur ein spielerisches, sondern auch ein moralisches Dilemma. Ist mir das schnelle Erreichen meines Ziels wichtiger, als die Motive hinter den Morden? Bin ich wirklich bereit, unschuldige Menschen zu töten, um mein Ziel zu erreichen? Diese Fragen präsentiert Qasir al-Wasat in einem düsteren Märchen im Syrien des 12. Jahrhunderts.
Blitz Breaker (Windows)
Fabu Wer Blitz Breaker spielt, muss vor allem eines in Kauf nehmen: viele Tode. Der auf den ersten Blick niedlich anmutende Plattformer von Boncho Games offenbart in seinen 101 Levels nämlich allerlei Gefahren, denen es auszuweichen gilt. Der namensgebende Roboter Blitz kann in alle vier Himmelsrichtungen bewegt werden, stoppt seinen Flug aber erst mit dem Aufprall gegen das erste Hindernis, das sich ihm in den Weg stellt. Das können zum Beispiel zerbrechliche oder unzerbrechliche Wände, bewegliche Plattformen oder eben auch todbringende Fallen sein. Münzen dienen als Boni, Schlüssel dem Öffnen von Arealen.
Blitz Breaker fängt leicht an, aber der Schwierigkeitsgrad zieht rasch an. Eine gewisse Frustration ließ nicht lange auf sich warten. Allerdings hatte ich nie das Gefühl, die Levels seien unfair gestaltet. Scheitern konnte ich stets meiner Ungeduld, Knoten in den Fingern oder Aussetzern im Gehirn zuschreiben. Fetzt, ich vergebe vier von fünf Kollisionsabfragen.
Homeworld: Deserts of Kharak (Windows)
Marcus Dittmar Wo sind die ganzen Raumschiffe und wieso liegt hier eigentlich Sand rum? Homeworld: Deserts of Kharak tauscht die traditionellen Weltallschlachten gegen noch traditionellere Planetenoberflächenschlachten aus und bewahrt dabei dennoch seine liebgewonnenen Stärken: Behutsame, taktische Echtzeitstrategie, bei der jede Einheit kriegsentscheidend sein kann, eine überraschend ausgeklügelte Begleitgeschichte in der Kampagne und eine sehr reduzierte, doch stimmige Atmosphäre.
Wer den Westwood Studios auch nur eine Träne nachweint und auch heute noch laut mitgrölt, wenn Ironic im Radio läuft, kann mit Homeworld: Deserts of Kharak die leicht modernisierte Essenz eines etwas in Vergessenheit geratenen Genres nachempfinden, dessen Nachkommen vor allem auf Hochgeschwindigkeits-Mehrspielergefechte setzen. Ich hingegen bin durch den ganzen Sand in den Augen dann doch recht zügig eingeschlafen.
Dragon’s Dogma: Dark Arisen (Windows)
Marcus Dittmar Gangnam Style läuft mittlerweile auf “Oldie 95” und das im gleichen Jahr erschienene Rollenspiel Dragon’s Dogma: Dark Arisen endlich auch auf dem PC. Es sieht nicht mehr sonderlich frisch aus, hat eine ziemlich leere, offene Welt und ist dennoch eine packende Erfahrung, wenn man durch die faltige Oberfläche hindurchzuschauen vermag.
Hat man sich für eine der drei Klassen (Krieger/Magier/Schurke/wer hätte das gedacht?) entschieden, erwarten einen reichlich dynamische Kämpfe, bei denen man sogar an einer Hydra empor klettern kann, um jede ihrer zischenden Schlangenzungen einzeln abzuschlagen. Das ist tatsächlich ganz schön episch, während der große Rest eher geistloser Pennälerlyrik entspricht. Man muss beim Questdesign schon Masse statt Klasse bevorzugen und sich gern mit der richtigen Zusammenstellung seiner Begleiter beschäftigen wollen, die in Dragon’s Dogma eine gewichtige Rolle spielen, um dieses Spiel lieben zu können. Ansonsten deinstalliert man den Titel besser noch bevor beim Harlem Shake der Beat gedropt wird.
Die hier aufgeführten Spiele sollten ursprünglich in einzelnen Artikeln besprochen werden, doch leider kam es aus Zeitgründen nicht dazu. In der monatlichen Serie The Lost Levels präsentieren wir diesen ‚Überschuss‘ in Kurzform, damit die geleistete Vorarbeit nicht umsonst war. Außerdem wäre es schade, euch die geplanten Themen gänzlich vorzuenthalten.