Wer in diesem Spiel Gutes will, muss bereit sein, Böses dafür zu tun.
Dass XCOM 2 ein wirklich hervorragendes und hochgradig motivierendes Rundenstrategiespiel ist, wird sich zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich selbst bis in die entlegensten Regionen dieses Planeten herumgesprochen haben. Spielmechanisch ist es ein großartiger und würdiger Nachfolger der 2012er Neuauflage und nahezu über jeden Zweifel erhaben. Eine der wesentlichsten Änderungen zum direkten Vorgänger liegt jedoch nicht in der Mechanik, sondern in der Grundprämisse des Titels. XCOM 2 folgt nicht etwa den bisherigen Geschehnissen, stattdessen erschafft es ein alternatives Zukunftsszenario, in dem die einst feindlich gesinnten Außerirdischen in scheinbar friedlicher Koexistenz mit der Menschheit leben. Die XCOM dient in dieser Welt nicht mehr der Verteidigung der Gesellschaft, sie tritt vielmehr als Aggressor gegen ein vorgeblich totalitäres Regime auf. Sie ist, im wörtlichen Sinne, eine terroristische Vereinigung.
Propaganda und Gegenpropaganda
Bereits die Tutorial-Mission lässt an dieser Ausgangslage nur wenig Raum für Interpretation. XCOM-Mitglieder jagen hierbei einen Sprengsatz an einem öffentlichen Platz in die Luft, der mehrere patroulierende Soldaten in den Tod reißt und anwesende Zivilisten in Panik versetzt. Zeit, diese Situation zu begreifen und einzuordnen, bleibt nicht, da die Mission möglichst ohne eigene Verluste zu Ende gebracht werden will. Doch während man die Zielperson – je nach Blickwinkel – befreit oder entführt, macht einem das Spiel unverhohlen klar, dass eigene Ausfälle für das Gelingen des übergreifenden Zieles unvermeidlich sind. Ab diesem Zeitpunkt bestimmt man selbst, an welchen Orten als nächstes zugeschlagen werden soll.
Fragwürdige Erinnerungensfotos
Die Mittel und das Personal, die einem dafür zur Verfügung gestellt werden, erinnern an das Ungleichgewicht von realweltlichen Terrorgruppierungen und den zumeist staatlichen Mächten, die ihnen gegenüberstehen. In XCOM 2 geht die technische Unterlegenheit der vermeintlichen Terroristen gar soweit, dass geradezu archaisch anmutende Schwerter im Kampf eingesetzt werden, um Aliens mit Plasmagewehren auszuschalten. Die eigene Stärke liegt einzig und allein in der Verborgenheit der eigenen Operationen, die eine ganze Bandbreite bekannter terroristischer Aktivitäten umfasst. Überfälle auf Warentransporter, Cyberspionage, gewaltsame Gebietseroberungen, all diese Dinge sollen dazu dienen, das eigene Netzwerk beharrlich weiter auszubauen und den eigenen Ressourcennachteil nach und nach auszugleichen.
Die eigenen Motive und das gewählte Vorgehen zu hinterfragen fällt indes schwer, da ein Klima der permanenten Bedrohungslage und Handlungsnotwendigkeit geschaffen wird, das kaum ein Spiel so meisterlich beherrscht wie die XCOM-Reihe. Ständig tun sich neue Anschlagsziele und angebliche Gefahren auf, auf die man – ungeachtet der eigenen Führungsposition – lediglich reagiert statt Eigeninitiative zu zeigen. Die Verlässlichkeit der Informationen und deren Quellen ist dabei nicht nachprüfbar und ähnlich wie bei der ästhetisch an alte “Command & Conquer”-Titel und Starship Troopers erinnernden Staatspropaganda, herrscht auch auf der Avenger – dem Schiff, von dem aus man die Einsätze koordiniert – ein reines Informationsmonopol. Dieser Mangel an Ein- und Übersicht macht einen umso empfänglicher für die bisweilen erschreckende Skrupellosigkeit, mit der die XCOM ihre Ziele durchzusetzen versucht und zementiert ganz nebenbei ein unumstößliches Feindbild.
“Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit.”Hiram Johnson
Warum etwa ist die Auslöschung jeglicher außerirdischer Gegner zumeist ein fester Bestandteil einer Mission, selbst wenn deren eigentliches Ziel auch friedvoller zu erreichen wäre? Inwiefern kann man die moralische Oberhand für sich beanspruchen, wenn man die Leichen gefallener Gegner unter Begleitung despektierlicher Kommentare ausweidet oder gar Experimente an lebenden Subjekten für die eigene Weiterentwicklung vollführt? Schließen sich die „geretteten“ Wissenschaftler und Ingenieure meiner Sache freiwillig an oder sehen sie sich insgeheim zu dieser Arbeit gezwungen? Will die Menschheit überhaupt von den mutmaßlichen Unterdrückern befreit werden oder profitiert sie im Endeffekt von ihrer Anwesenheit? Fragen, die in der alles vereinnahmenden Dringlichkeit aus schweißtreibenden Außenmissionen und taktischer Planung des eigenen Netzwerkausbaus untergehen. XCOM 2 verbietet einem die Ruhe und die dringend benötigten Reflexionspausen. Es will keine Graustufen, sondern diktiert, was richtig und was falsch ist und schafft damit eine weitere Parallele zu einem bereits erwähnten Film.
“Only a dead bug is a good bug!”
Denn Starship Troopers wurde einst aufgrund seiner oberflächlich plump wirkenden und gewaltverherrlichenden Aufmachung zumeist als pro-militaristisch abgetan, gilt jedoch heute gerade durch seine gnadenlos überspitzte Eindeutigkeit als satirischer Kommentar auf unhinterfragte Befehls- und Informationsstrukturen. Auch hier verübt die Menschheit auf Basis gesteuerter Botschaften und Angstszenarien grausame Vergeltung an einer außerirdischen Spezies, gebart sich territorial und rücksichtslos, ohne einen Funken Hoffnung auf gewaltlose Zwischentöne. Zwar geht es im Film vorrangig um die Geschichte eines interplanetaren Kriegs und nicht um das brutale Emporkommen einer Terrorvereinigung, doch das Zusammenspiel von Kriegsästhetik und die überdeutliche Nachzeichnung zweier nicht zu einender Fronten sind eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit von Film und Spiel.
Ende ohne Schrecken
Nun gilt die XCOM-Serie sicherlich nicht als lockerer Strandspaziergang und endet beim ersten Anlauf in der Regel mit dem Scheitern der eigenen Bemühungen. Im Falle von XCOM 2 erwartet man an diesem Punkt, das monatelang heraufbeschworene, angeblich menschheitsvernichtende Projekt der außerweltlichen Besatzungsmacht in Aktion zu sehen. Doch die Ausrottung der Bevölkerung bleibt aus. Nur ein weiteres Propagandafilmchen von der Zerschlagung des Widerstands wird abgespult und hinterlässt die Ungewissheit, der man sich während all der Dauerbeschallung zuvor nicht zu stellen traute. Ob Terrorismus per se schlecht ist oder durch mutmaßlich noble Gründe Berechtigung erfahren kann, darauf weiß dieser Titel keine Antwort. Er stellt am Ende nur die richtigen Fragen.