Ludum-Dare-Chef Mike Kasprzak im Gespräch über Freiheit,
unkonventionelle Ideen und Genitalien im Game-Jam-Geschäft.
"Während ein Erwachsener über Pimmel
lachen kann, sollte man Kindern so etwas
besser nicht vorsetzen."
Was im stillen Kämmerlein von Entwicklerstudios unter dem Deckmantel des Prototyping seit jeher passiert, tritt seit einigen Jahren immer stärker ins Licht der Öffentlichkeit: Der Game Jam, die Ursuppe der Spieleentwicklung, in der Ideen ausgetestet, geteilt und bewertet und mit ein bisschen Glück sogar zu einem kleinen Kassenschlager werden können. Aber wie viel Freiheit steckt wirklich hinter dem Konzept?
Das bockschwere Gods Will Be Watching, die minimalistisch-fordernde Gigantenjagd Titan Souls, die putzige Zeitreise durchs Retro-RPG-Reich Evoland. Alles mehr oder weniger erfolgreiche, aber in jedem Fall von Kritikern ins Herz geschlossene Indie-Titel mit dem selben Ursprung: dem wohl größten und dienstältesten Online-Game-Jam Ludum Dare. Ich habe bei dem Ludum-Dare-Mastermind Mike Kasprzak angeklopft und nachgehakt. Warum steht Ludum Dare fast schon paradigmatisch für die Game-Jam-Kultur? Wie frei sind die Teilnehmer wirklich? Und was haben Genitalien und Co. mit der Entscheidung zwischen Kunst oder Krempel zu tun?
Florian Zandt Wie kamst du dazu, Ludum Dare zu starten?
Mike Kasprzak Eigentlich war das Ganze ein Projekt von meinem Freund Geoff Howland, ich habe das erst vor ein paar Jahren übernommen. Damals arbeitete ich schon eine Zeit lang in der Spieleindustrie. Ich kam aus der Konsolentitelentwicklung und hatte zuletzt Spiele für den Gameboy Color programmiert. Als ich Ludum Dare übernommen hatte, gab es den Begriff Game Jam interessanterweise noch gar nicht. Ursprünglich lief das bei uns unter dem Titel „Game Compos“, wir haben uns dann aber angepasst, als der andere Begriff aufkam.
Was ist denn das Einzigartige an Ludum Dare?
Mike Neben der Tatsache, dass der erste Jam vor über 13 Jahren stattfand, ist es wohl der Fakt, dass es ein reiner Online-Jam ist, der weltweit funktioniert. Mittlerweile kann man zwar an vielen Orten in der Welt auch an bestimmten Locations teilnehmen, das ist aber kein Muss. Ebenso wichtig ist für uns die Idee, dass Ludum Dare immer noch ein Wettbewerb ist und du nicht einfach ins Blaue hinein jamst. Du erschaffst ein Spiel an nur einem Wochenende, was an sich schon abgefahren ist, aber du stehst auch in Konkurrenz zu anderen. Es ist allerdings mehr wie ein Marathon als ein Wettkampfsport. Es geht nur darum, es zu Ende zu bringen, nicht, als Erster durch die Ziellinie zu laufen.
Wie sieht euer Teilnehmerprofil mittlerweile aus?
Mike Bunter gemischt könnte es nicht sein. Studenten, Hobbyprogrammierer, Indie-Entwickler und professionelle Entwickler – wobei wir im Vergleich zu anderen Jams eine hohe Quote an Profis dabei haben. Hobbyisten sind aber die weitaus größte Gruppe.
Bei der Größe, die ihr mittlerweile erreicht habt, ist es sicher nicht einfach, alles haarklein zu reglementieren. Wie viel Freiheit gebt ihr euren Teilnehmern wirklich?
Mike Wir sind da sehr offen, regen die Leute aber dazu an, ihre eigenen Assets zu entwickeln anstatt vorgefertigte Bausteine zu nutzen. Ludum Dare ist da zweigeteilt, das striktere „Compo“-Event und der reguläre „Jam“. Im „Compo“ musst du dein Spiel und alle nötigen Assets in 48 Stunden komplett alleine auf die Beine stellen, im „Jam“ kannst du in einem Team arbeiten, fremde Assets nutzen und hast 72 Stunden Zeit für dein Spiel.
Von dem Zeitpunkt an, zu dem wir das Thema des Jams ankündigen, lassen wir den Machern freie Hand. Ich finde es persönlich ziemlich gut, wenn Entwickler etwas Unkonventionelles mit dem Thema anstellen. Da gibt es zum Beispiel das Spiel TIMEframe, das zum Thema „Zehn Sekunden“ entstanden ist. Die Handlung dauert zwar nur zehn Sekunden, aber die wurden so sehr verlangsamt, dass die effektive Spielzeit zehn Minuten beträgt. Du spielst quasi in konstanter Slow-Motion. Manchmal machen uns die Entwickler auch den Sean Connery und interpretieren ein Thema wortwörtlich. Zum Thema „Beneath The Surface“ gab es beispielsweise einige Surf-Spiele, wegen „beneath the surf ace“. Sowas zaubert mir auch nach all den Jahren noch ein Lächeln auf das Gesicht.
Zu viel Freiheit kann auch zum Problem werden. Wie geht ihr mit kontroversen Spielen um?
Mike Das ist ein schwieriges Thema, aber generell bin ich der Meinung, dass alles möglich sein sollte. Ich will zwar keine Spiele machen, die Leute verletzen, aber schlimmer wäre es doch, in solchen Fällen den Zensur-Rotstift anzusetzen. Das Wichtigste für uns ist es, die Entwickler zu respektieren. Wenn jemand ein Spiel über Penisse machen oder ein kontroverses Thema behandeln möchte, halten wir ihn nicht auf. Solchen Titeln schalten wir eine Checkbox mit der Warnung vor, dass der Inhalt für manche abstoßend oder verletzend sein könnte. Das ist allein deswegen notwendig, weil wir viele Eltern mit ihren Kindern in unserer Community haben. Während ein Erwachsener über Pimmel lachen kann, sollte man Kindern so etwas besser nicht vorsetzen. Letztendlich wollen wir, dass sich weder die Entwickler noch die Teilnehmer unwohl fühlen.
Wo siehst du die Vor- und Nachteile gegenüber konventionellen Entwicklungsstrategien?
Mike Game Jamming ist im Endeffekt polierte Protoypisierung. Du probierst erst eine Idee mit möglichst wenig Arbeitsaufwand aus, musst dann aber direkt an die Feinjustierung gehen, damit du dein Spiel mit anderen teilen kannst. Das zu lernen ist eine unschätzbare Fertigkeit, die dir viel Zeit spart. Andererseits muss dein Prototyp bei einem Jam eben auch schon gut aussehen und viele Details beinhalten, die bei Prototypen im regulären Game Design nicht zwingend enthalten sein müssen.
Siehst du noch Wachstumspotenzial für die Jam-Szene?
Mike Definitiv, das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht. Schon heute haben 500 Leute Ludum Dare 32 live gestreamt, es werden immer neue Jams ins Leben gerufen, und wir sind mittlerweile fester Bestandteil der Indie-Gameskultur und -Entwicklerszene. Auch die breitere Öffentlichkeit bekommt immer mehr von der Jam-Szene gibt, es gibt da beispielsweise diese Doku namens Super Game Jam und einige andere, die noch in Arbeit sind. Das ist eben das Schöne an der ganzen Sache: Im Endeffekt musst du dir nur ein paar Freunde schnappen und einen Jam starten, mehr steckt eigentlich nicht dahinter. Ein Kumpel hat aus Spaß auf Twitter einen Bot ins Leben gerufen, der unter @manyjams alle drei Stunden neue Game-Jam-Namen aus dem Hut zaubert, als Kommentar darauf, dass beinahe jeden Tag neue Jams stattfinden. Aber eigentlich ist das auch ein gutes Zeichen: Dass die Leute Einblicke in ihre kreativen Arbeitsprozesse geben wollen und keinen Bock mehr auf den ausgelatschten AAA-Pfad haben.
lachen kann, sollte man Kindern so etwas
besser nicht vorsetzen."
Was im stillen Kämmerlein von Entwicklerstudios unter dem Deckmantel des Prototyping seit jeher passiert, tritt seit einigen Jahren immer stärker ins Licht der Öffentlichkeit: Der Game Jam, die Ursuppe der Spieleentwicklung, in der Ideen ausgetestet, geteilt und bewertet und mit ein bisschen Glück sogar zu einem kleinen Kassenschlager werden können. Aber wie viel Freiheit steckt wirklich hinter dem Konzept?
Das bockschwere Gods Will Be Watching, die minimalistisch-fordernde Gigantenjagd Titan Souls, die putzige Zeitreise durchs Retro-RPG-Reich Evoland. Alles mehr oder weniger erfolgreiche, aber in jedem Fall von Kritikern ins Herz geschlossene Indie-Titel mit dem selben Ursprung: dem wohl größten und dienstältesten Online-Game-Jam Ludum Dare. Ich habe bei dem Ludum-Dare-Mastermind Mike Kasprzak angeklopft und nachgehakt. Warum steht Ludum Dare fast schon paradigmatisch für die Game-Jam-Kultur? Wie frei sind die Teilnehmer wirklich? Und was haben Genitalien und Co. mit der Entscheidung zwischen Kunst oder Krempel zu tun?
Florian Zandt Wie kamst du dazu, Ludum Dare zu starten?
Mike Kasprzak Eigentlich war das Ganze ein Projekt von meinem Freund Geoff Howland, ich habe das erst vor ein paar Jahren übernommen. Damals arbeitete ich schon eine Zeit lang in der Spieleindustrie. Ich kam aus der Konsolentitelentwicklung und hatte zuletzt Spiele für den Gameboy Color programmiert. Als ich Ludum Dare übernommen hatte, gab es den Begriff Game Jam interessanterweise noch gar nicht. Ursprünglich lief das bei uns unter dem Titel „Game Compos“, wir haben uns dann aber angepasst, als der andere Begriff aufkam.
Was ist denn das Einzigartige an Ludum Dare?
Mike Neben der Tatsache, dass der erste Jam vor über 13 Jahren stattfand, ist es wohl der Fakt, dass es ein reiner Online-Jam ist, der weltweit funktioniert. Mittlerweile kann man zwar an vielen Orten in der Welt auch an bestimmten Locations teilnehmen, das ist aber kein Muss. Ebenso wichtig ist für uns die Idee, dass Ludum Dare immer noch ein Wettbewerb ist und du nicht einfach ins Blaue hinein jamst. Du erschaffst ein Spiel an nur einem Wochenende, was an sich schon abgefahren ist, aber du stehst auch in Konkurrenz zu anderen. Es ist allerdings mehr wie ein Marathon als ein Wettkampfsport. Es geht nur darum, es zu Ende zu bringen, nicht, als Erster durch die Ziellinie zu laufen.
Wie sieht euer Teilnehmerprofil mittlerweile aus?
Mike Bunter gemischt könnte es nicht sein. Studenten, Hobbyprogrammierer, Indie-Entwickler und professionelle Entwickler – wobei wir im Vergleich zu anderen Jams eine hohe Quote an Profis dabei haben. Hobbyisten sind aber die weitaus größte Gruppe.
Bei der Größe, die ihr mittlerweile erreicht habt, ist es sicher nicht einfach, alles haarklein zu reglementieren. Wie viel Freiheit gebt ihr euren Teilnehmern wirklich?
Mike Wir sind da sehr offen, regen die Leute aber dazu an, ihre eigenen Assets zu entwickeln anstatt vorgefertigte Bausteine zu nutzen. Ludum Dare ist da zweigeteilt, das striktere „Compo“-Event und der reguläre „Jam“. Im „Compo“ musst du dein Spiel und alle nötigen Assets in 48 Stunden komplett alleine auf die Beine stellen, im „Jam“ kannst du in einem Team arbeiten, fremde Assets nutzen und hast 72 Stunden Zeit für dein Spiel.
Von dem Zeitpunkt an, zu dem wir das Thema des Jams ankündigen, lassen wir den Machern freie Hand. Ich finde es persönlich ziemlich gut, wenn Entwickler etwas Unkonventionelles mit dem Thema anstellen. Da gibt es zum Beispiel das Spiel TIMEframe, das zum Thema „Zehn Sekunden“ entstanden ist. Die Handlung dauert zwar nur zehn Sekunden, aber die wurden so sehr verlangsamt, dass die effektive Spielzeit zehn Minuten beträgt. Du spielst quasi in konstanter Slow-Motion. Manchmal machen uns die Entwickler auch den Sean Connery und interpretieren ein Thema wortwörtlich. Zum Thema „Beneath The Surface“ gab es beispielsweise einige Surf-Spiele, wegen „beneath the surf ace“. Sowas zaubert mir auch nach all den Jahren noch ein Lächeln auf das Gesicht.
Zu viel Freiheit kann auch zum Problem werden. Wie geht ihr mit kontroversen Spielen um?
Mike Das ist ein schwieriges Thema, aber generell bin ich der Meinung, dass alles möglich sein sollte. Ich will zwar keine Spiele machen, die Leute verletzen, aber schlimmer wäre es doch, in solchen Fällen den Zensur-Rotstift anzusetzen. Das Wichtigste für uns ist es, die Entwickler zu respektieren. Wenn jemand ein Spiel über Penisse machen oder ein kontroverses Thema behandeln möchte, halten wir ihn nicht auf. Solchen Titeln schalten wir eine Checkbox mit der Warnung vor, dass der Inhalt für manche abstoßend oder verletzend sein könnte. Das ist allein deswegen notwendig, weil wir viele Eltern mit ihren Kindern in unserer Community haben. Während ein Erwachsener über Pimmel lachen kann, sollte man Kindern so etwas besser nicht vorsetzen. Letztendlich wollen wir, dass sich weder die Entwickler noch die Teilnehmer unwohl fühlen.
Wo siehst du die Vor- und Nachteile gegenüber konventionellen Entwicklungsstrategien?
Mike Game Jamming ist im Endeffekt polierte Protoypisierung. Du probierst erst eine Idee mit möglichst wenig Arbeitsaufwand aus, musst dann aber direkt an die Feinjustierung gehen, damit du dein Spiel mit anderen teilen kannst. Das zu lernen ist eine unschätzbare Fertigkeit, die dir viel Zeit spart. Andererseits muss dein Prototyp bei einem Jam eben auch schon gut aussehen und viele Details beinhalten, die bei Prototypen im regulären Game Design nicht zwingend enthalten sein müssen.
Siehst du noch Wachstumspotenzial für die Jam-Szene?
Mike Definitiv, das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht. Schon heute haben 500 Leute Ludum Dare 32 live gestreamt, es werden immer neue Jams ins Leben gerufen, und wir sind mittlerweile fester Bestandteil der Indie-Gameskultur und -Entwicklerszene. Auch die breitere Öffentlichkeit bekommt immer mehr von der Jam-Szene gibt, es gibt da beispielsweise diese Doku namens Super Game Jam und einige andere, die noch in Arbeit sind. Das ist eben das Schöne an der ganzen Sache: Im Endeffekt musst du dir nur ein paar Freunde schnappen und einen Jam starten, mehr steckt eigentlich nicht dahinter. Ein Kumpel hat aus Spaß auf Twitter einen Bot ins Leben gerufen, der unter @manyjams alle drei Stunden neue Game-Jam-Namen aus dem Hut zaubert, als Kommentar darauf, dass beinahe jeden Tag neue Jams stattfinden. Aber eigentlich ist das auch ein gutes Zeichen: Dass die Leute Einblicke in ihre kreativen Arbeitsprozesse geben wollen und keinen Bock mehr auf den ausgelatschten AAA-Pfad haben.