Nur ein Interview

Nur ein Spiel ist ein schöner Dokumentarfilm über Fantasy-Rollenspiele, der Nichtspielern deren Faszination näher bringen will. Michael Schilhansl hat dazu eine LARP-Gruppe, eine alte Pen & Paper Runde, ein paar Fans von Gothic 3 und eine World of Warcraft-Gilde über ihre Lieblingsfreizeitbeschäftigung reden lassen. Unhysterisch, ganz neutral und ohne Amokpanik werden hier ein paar sympathische Menschen gezeigt, die einfach nur ihrem Hobby nachgehen.

Ursprünglich war der Film fürs Fernsehen konzipiert, nur hatten die Redaktionen wenig Interesse. Die Gespräche liefen laut Michael abgekürzt immer so:

“Ah sie wollen was über Computerspieler machen. Wollen sie es mehr unter dem Suchtaspekt betrachten, oder mehr unter dem Gewaltaspekt?” – “Ähm – Nein, ich wollte die zunehmende Popularität und Faszination des Spielens erklären.” “Achso, also, wenn das nicht unter dem Thema Amok oder Sucht läuft, weiß ich nicht, ob das wer sehen will.”

Der Film machte letzten Monat (zu Recht!) die Runde durch die Blogs. Wer sich ihn noch nicht angesehen hat, sollte das nun an dieser Stelle nachholen, oder mit den Konsequenzen leben:


(Link zum Video)

Ich bin ja vor allem von dem LARP-Teil begeistert, weil das mal wieder ein gutes Beispiel für Menschen ist, die lieben was sie tun, und damit niemandem auf den Sack gehen. Das sieht, obwohl es wenig mit Cosplay zu tun hat, zugegeben manchmal ein wenig albern aus, aber das ist okay. Die dürfen das. Weil die nämlich mehr Spaß haben als ihr. Jawohl.

Und weil mir ein eingebundenes Video plus Link nicht reichte, fragte ich Michael spontan, ob er Lust auf ein ein kleines Interview hat. Es folgt, was folgte.

Das Interview

Jeremy: Hallo Michael. Fangen wir mit der klassischen Vorstellung für unsere stalkfaulen Leser an. Wer ist Michael Schilhansl und warum hat er den Film gemacht?

Michael: Ich bin Fotograf und Filmemacher.
Den Film hab ich gemacht, weil es mich genervt hat, dass im Fernsehen zum Thema Computerspiele praktisch nie Spieler zu Wort kamen, sondern irgendwelche “Experten”, die WOW nicht von einem Egoshooter unterscheiden konnten und erklären wollten, warum Computerspiele die Hauptschuld am Niedergang der Jugend haben sollen. Und weil bei den ersten Amokläufen von Jugendlichen bei den Nachrichtensendern den ganzen Tag “ER HAT COUNTERSTRIKE GESPIELT!!!” in der Kriechtitel lief.

Das Video hat bereits 70.000 Views. Überrascht?

Just happy.

Du schreibst auf der Facebookseite über deine frustrierenden Erlebnisse mit den Fernsehredaktionen und die Entstehungsgeschichte des Films. Aber fangen wir vorne an: Was brachte dich ursprünglich zum Rollenspiel?

C64 – Gateway to Apshai. Und Freunde, die anfingen Das Schwarze Auge zu spielen. Komische Sache, dacht ich zuerst. Steht und fällt aber mit der Qualität des Spielleiters und wir hatten einen sehr guten, der sich spannende Abenteuer ausdachte, die wir zwar knapp aber meist doch bestanden.

Harhar, da war ich Minus 4 Jahre alt. Das mit dem Spielleiter kann ich bestätigen. Ich spiele seit ca. 1999 DSA in einer inzwischen zersplitterten und inaktiven Gruppe. Dem Genre blieb ich dennoch treu, wenn auch heute mehr auf dem PC als auf dem Papier. Welche (Rollen)spiele spielst du heute/gerade?

Jeden Tag ein paar Stunden mit meinem Sohn – König, böser Tiger, Feuerwehrmann… Two Worlds 2 hab ich grad enttäuscht zur Seite gelegt; ohne brilliante Geschichte sind Einzelrollenspiele uninteressant. Ich erwarte viel von Witcher 2 und Dragon Age 2.

Fabu schrieb einen längeren Artikel über die Illusion, dass “Früher alles besser” war, kam aber am Ende zu dem Schluss, dass früher nicht die Geschichten besser waren, sondern die schlechte Grafik mehr Raum für die eigene Vorstellungskraft bot. So betrachtet sind Pen & Paper Rollenspiele eindeutig Videospielen überlegen. Wie siehst du das?

Immersion: Entweder ich bin drin oder nicht. Und bei einem Computerspiel, das ich nachts allein spiele, kann ich genauso versinken, wie in selbst ausgedachten Tischrollenspielen. Allerdings gibt es heute viel mehr ältere Spieler als in den 80er Jahren. Und ältere Spieler haben in der Regel deutlich höhere Ansprüche an die Geschichte, die ein Spiel erzählt. Und Fabu sollte nicht den nostalgisch verklärenden Blick auf die erste Liebe unterschätzen – da wird vieles verschleiert.

Du hattest die Idee, die Redaktionen lehnten ab. Du hast den Film selbst produziert, die Redaktionen lehnen immer noch ab. Ist die Veröffentlichung im Netz ein letzter Strohhalm, den Film doch noch unter die Leute zu bringen, oder war das von Anfang an Teil des Plans? Oder, anders formuliert: Wäre dein Film auch dann online zu sehen, wenn die Fernsehsender zugesagt hätten?

Wenn ihn ein Sender genommen hätte, gäb’s den Film nicht im Netz, denn meine Zielgruppe waren Leute, die noch nie Computerspiele gespielt haben und ihr Urteil darüber nur aus den Boulevardklischees bilden. Ich hatte wirklich so einen naiven Zorn aufklären zu wollen. Das Boulevard ist aber ein natürlicher Feind der Aufklärung. Und während die öffentlichen Sender einerseits sehr ruhige und sachliche Reportagen über kasachische Hirten zeigen, ist ihnen das Normale bei Berichten über die eigene Gesellschaft zu wenig exotisch. Da suchen sie künstliche Konflikte, es werden Extremfälle gezeigt und als Normalfall verkauft; damit sind sie leider tief im Sumpf des Boulevards, das (meistens) nicht lügt, sondern einfach das Unwesentliche als das Wesentliche verkauft.

Im Film wird Gothic 3 als Computerrollenspiel gewählt, welches – wenn mein Internet nicht lügt – im Jahre 2006 erschien und ein ziemliches Bugfest war. Hat es so lange gedauert, Leute zu finden, die über Gothic reden wollten, oder lag der Film nun 4 Jahre in der Schublade?

Wir hatten den Film zu eng an das Schicksal von Gothic 3 geknüpft (was uns nach Gothic 1 und 2 eine sichere Wette schien). Später hatte ich als Freiberufler Jobangebote, die ich nicht ablehnen konnte; so blieb der Film immer wieder liegen. Als der Film Anfang des Jahres fertig war, habe ich sehr lange versucht ihn einem Fernsehsender zu verkaufen. Mancher Kultursender musste mich sogar zweimal ablehnen. Ich hab einfach zu lange nicht kapiert, dass auch für die Öffentlich-Rechtlichen Computerspiele kein Teil der Kultur sind. Sie sehen nur die albernen oder extrem brutalen Spiele (die es ja auch gibt), berichten über die 5000te Inszenierung der Dreigroschenoper oder eines Tschechow-Stücks und merken nicht, dass die wahrscheinlich beste Shakespeare Inszenierung 2009 Dragon Age war. Und sie verdammen ein ganzes Medium (meist ohne es zu kennen), statt zu sehen, dass The Witcher ein Lehrstück über Rassismus und Toleranz ist, das eine Zielgruppe erreicht, die man mit Oper oder Theater nie erreichen wird. Das ist doch der Trick der guten Spiele: sie locken die Leute mit Gewalt oder Fantasy und erzählen ihnen dann eine intelligente Geschichte, in deren Verlauf sie selbst moralische Entscheidungen treffen müssen und deren Konsequenzen erleben, statt wie in allen anderen Medien lediglich zuzuschauen…

Zum Thema ist noch längst nicht alles gesagt. Planst du weitere (Dokumentar)filme über Computerspiele?

Nein; bzw. nur mit einem Fernsehsender im Rücken. Denn die Vermittlung zwischen Parallelgesellschaften finde ich einen undankbaren Job. Den meisten Menschen ist es lieber, das Fremde und Neue zur eigenen Abgrenzung zu benutzen, es negativ zu beurteilen und sich selbst dadurch besser zu fühlen. Und die Konservativen können viel schöner ihr Jahrtausende altes Lied weitersingen, dass noch nie eine Jugend auf diesem Planeten gewandelt sei, die so schlimm war….

Aber ich hätte große Lust ein Online-Rollenspiel zu entwickeln! Mit 50 Mio. Euro sollte man dabei sein. Wenn das also ein gekündigter Landeszentralbanker liest, der sich mit einem kleinen Teil der Kaffeekasse retten konnte… Es gibt so viele MMORPGs die ein paar gute neue Ideen haben und dann so viel falsch machen. Dabei wär’s so einfach.

Hoffen wir, dass solche TV-Redakteure irgendwann der Vergangenheit angehören. Und hey, vielleicht liest ja tatsächlich ein nobler Investor mit. Viel Glück und danke für deine Zeit.