Blogs sind tot, Print stirbt aus und YouTube macht alles kaputt.
Ist Patreon die Rettung des unabhängigen Spielejournalismus?
Kost’ nix gibt’s nicht. Nicht mal im Internet, in dem frei wie Freibier trotzdem noch heißt, dass in der Bierfabrik jemand eine unbezahlte Nachtschicht einlegen musste. Und genau wie leckeres, frisch gezapftes Freibier, haben auch Dinge im Internet einen Wert. Zum Beispiel Blogtexte, Podcasts und Videos. Der Spielepodcast Auf ein Bier erklärt diesen Wert mit folgender vereinfachten Rechnung:
Andre Peschke “Für zweieinhalb Minuten des neuesten Gangsta-Rap geben Menschen 79 Cent aus. Daraus folgt logisch, dass eine unserer Podcast-Episoden ungefähr 28 Euro wert ist.” — patreon.com
Das Problem: Von diesem Wert kommt leider nur selten etwas bei den Wertschöpfenden an. Werbung lohnt sich meist nur für diejenigen, die sich der dubiosen SEO-Maschinerie ergeben — und selbst diese Goldgrube ist langsam erschöpft. Eine mögliche Lösung kommt in Form von Patreon: Die Crowdfunding-Plattform will die Barriere zwischen Kreativen und den Kreditkarten ihrer Fans einreißen. Es ist nicht die erste Plattform, die versucht, das Schaffen von Inhalten aus den Sachzwängen von Publishern, Sponsoring und Werbung zu lösen. Wo selbst Vorreiter wie Flattr oder LaterPay es mit überladenen Konzepten nicht weit schafften, scheint Patreon der lang ersehnte Durchbruch zu sein.
Denn auch wenn es das Startup von Musiker Jack Conte erst seit 2013 gibt, schreibt es schon jetzt zahlreiche Erfolgsgeschichten. Jim Sterling hat sich von seinen Arbeitgebern verabschiedet und veröffentlicht nun in Vollzeit Reviews, Videos, Let’s Plays und Podcasts – finanziert allein von seinen Fans. Auch Kinda Funny Games machten sich kinda unabhängig von IGN und nahmen die Klickzahlen ihrer Videos gleich mit. Ihre Wege in die Selbstständigkeit wurde von der bereits vorhandenen Reichweite getragen. Sie sind “too big to fail” — zu populär, um zu scheitern. Aber auch die kleineren Gegenstimmen finden auf Patreon ein zahlungswilliges Publikum. Cara Ellison konnte dank Patreon die Welt bereisen und berichtet von ihren Begegnungen im Buch Embed With. Die Video-Essays auf Chris Franklins YouTube-Kanal Errant Signal sind auf Patreon knapp 1.500 USD wert. Also ist endlich alles wunderbar im vom Schwarm finanzierten Journalismus-Wunderland?
Actually it’s about Finanzierungsmodelle in games journalism
Im Schatten solcher Erfolge stehen viele Personen und Projekte mit deutlich kleineren Zahlen vor dem Dollar-Zeichen. Das muss nicht heißen, dass niemand bereit ist Geld zu geben. Aber wie eine nur knapp gescheiterte Finanzierung auf Kickstarter befinden sich viele Patreon-Kampagnen auf einem Niveau, das hoch genug ist, um eine Verpflichtung zu schaffen, aber zu gering, um eine Weiterentwicklung oder gar echte Grundsicherung zu ermöglichen.
Ein besorgniserregendes Beispiel ist die Finanzierung von Critical Distance. Die Bedeutung der Webseite, die vor allem für ihre wöchentliche Kuration von bemerkenswertem Texten bekannt ist, dürfe unbestritten sein. Doch von Anfang an ist die Kampagne ein ständiger Kampf – trotz der vermeintlich hohen Summe, die immer zwischen 1.000 und 2.000 USD schwankt. Hier entsteht die Gefahr eines Zerrbildes, denn was auf den ersten Blick nach einer Menge aus dem Nichts auftauchenden Geld aussieht, ist gerade einmal eine halbe Stelle für einen Vollzeitjob, den nach Kris Ligman nun Zoya Street übernommen hat. Fast jeder ihrer Newsletter endet mit einem Hinweis auf die schwankende Einnahmen und kämpft dabei mit der Gefahr, trotz einer transparenten Betrachtung der Situation nicht undankbar zu wirken.
Patreon arbeitet dem stellenweise schon entgegen, indem es die Spendensummen inzwischen abzüglich der recht hohen Gebühren anzeigt. Andererseits ist klar, dass Nischenprojekte auf einem Nischenprojekt in einer noch kleineren Nische landen. Nach dem letzten Stand hat Patreon über zwei Millionen registrierte Benutzer_innen, die durchschnittliche Spendensumme beträgt 5 USD. Das ist nicht gerade viel Geld für all die Kreativen, von denen jeden Monat 15.000 neue dazukommen. Aber Patreon ist noch jung und der unsichere Umgang der Plattform mit Hackerangriffen und Hatespeech macht das deutlich. Diese Unsicherheit spiegelt sich zum Teil auch bei den Kampagnen wider. Manche nutzen Patreon als völlig neuen Kommunikationskanal zu ihren Fans, andere stellen ein lustloses Spendenglas auf, ohne der Kampagnenseite große Beachtung zu schenken.
“Crowdfunding ist für uns alle Neuland.”
In Deutschland gestaltet sich der Start von Patreon insgesamt noch vergleichsweise schleppend. Kein Wunder, der Dienst wurde bisher noch nicht einmal übersetzt. Und doch gibt es schon einige erfolgreiche Projekte. Besonders bei Podcasts-Fans scheint die Hürde zum freiwilligen Bezahlen niedrig zu sein. Früher war es Flattr, bald ist es Patreon.
Das Onlinemagazin Hooked der beiden ehemaligen GIGA-Redakteure Robin Schweiger und Thomas Goik wird mit 2.292 USD finanziert. 354 Hörerinnen und Hörer machen den ehemaligen Superlevelern von Insert Moin mit monatlich knapp 1.500 USD das Leben leichter. Der mehrere Tausend Plays pro Folge starke Podcast Auf ein Bier kommt immerhin noch auf fast 600 USD. Michael Schulze von Glasser kann bei 8000 Abos auf YouTube nicht einmal 200 USD für seine Video-Essays rausschlagen. Und dann gibt es noch Populärproduktionen wie Radio Nukular, die von 1.000 Fans im Schnitt je 3 USD bekommt. Von finanzieller Sicherheit ist das noch weit entfernt. Insert Moins Manuel Fritsch schließt auf Rückfrage aus, dass es auf absehbare Zeit ganz ohne Werbung geht.
“Die Tatsache, dass wir mit Superlevel nur 70 Leserinnen und Leser mobilisieren können, unser Projekt finanziell zu unterstützen, stimmt mich nachdenklich“, resümierte Fabu kürzlich auf Facebook. Die unsichere finanzielle Situation eines Projekts wie diesem hier offen anzusprechen wirkt schnell überheblich, wie auch einige Kommentare zeigen. Aber damit Superlevel seinen unbezahlten Autorinnen und Autoren ein niedriges, aber nicht branchenunübliches Honorar von 50 EUR je Text zukommen lassen könnte, wären im Februar 1.000 Euro nötig gewesen – einschließlich Ninas großem Artikel über Sex in der virtuellen Realität oder Marcus’ auch als Hörspiel verfügbaren Review von Firewatch. Davon sind wir momentan noch weit entfernt. Und darin sind noch nicht einmal administrative Ausgaben, die Korrektur von Texten, die Instandhaltung der Webseite und das Bezahlen von Dienstleistungen eingeschlossen.
An dieser Stelle ein großer Dank an unsere Patreons ❤️
Auch hier zeigt sich, wie sehr nicht nur Patreon, sondern die ganze Idee einer gemeinschaftlich finanzierten Publikation noch Neuland sind. Aus Mangel an Beispielen fehlt es an einer realistischen Erwartungshaltung auf Seiten der Publikationen, durch mangelnde Transparenz konnte aber auch nie ein Verständnis dafür entstehen, was alles in das Betreiben einer Onlinepublikation, von Podcasts und Berichterstattung nötig ist. Tino Hahn sieht in der vergleichsweise niedrigen Spendenbereitschaft ein “Musterbeispiel für Slacktivism und Clicktivism” und kommentiert: “Geld wäre theoretisch vorhanden, aber praktisch schleicht sich ein schlechtes Gewissen ein, weil man nicht allen helfen kann, sodass man sich für die schlechstmögliche Variante “Nix für alle” entscheidet. […] Die Zahlungsbereitschaft mag kaputt sein, aber die Idee, für gute Inhalte zu zahlen, die ist nicht kaputt.”
Etwas, das beim Durchschauen der Patrons deutschsprachiger Projekte sofort auffällt, unterstützt diese These durchaus: Die Zahl der unterstützten Projekte ist selten größer als zwei. Das ist bei unserer eigenen Patreon-Kampagne nicht anders. Fans eines Projekts melden sich speziell wegen dieses Projekts an, schauen dann aber kaum weiter, was sich noch so auf der Plattform tummelt. Das mag auch daran liegen, dass Patreons Suchfunktion noch alles andere als komfortabel ist, zum anderen auch an Patreons bereits erwähnter Fokussierung auf die USA. Ein Problem, das laut Fritsch auch für erfolgreiche Kampagnen wie der von Insert Moin eine Barriere schafft: “Momentan ist der Service sehr USA-fixiert und bietet eben neben Kreditkarten-Zahlung und PayPal keine Möglichkeiten wie Direktüberweisung, die in Deutschland verbreiteter sind. Und klar: Je mehr Künstler und Projekte Patreon auch hierzulande nutzen, desto akteptierter wird diese Form der Finanzierung, was sicherlich allen Projekten zu gute kommt.”
Was Patreon in erster Linie von Micropayment wie Flattr und Crowdfunding wie Kickstarter unterscheidet, ist die konstante Bindung von Schaffenden und Konsumierenden. “Man fühlt sich natürlich im positiven Sinne verpflichteter den Hörern gegenüber aber gleichzeitig ist es auch toll zu spüren, dass das, was man da tut, auch den Hörern etwas Wert ist. Es motiviert ungemein, diese Akzeptanz, die Loyalität und das Vertrauen der Hörerschaft zu erfahren”, sagt Fritsch und mit diesem motivierenden Gefühl dürfte er nicht der einzige sein. Und doch müssen unbestritten wichtige Nischenprojekte wie Superlevel, Critical Distance oder das Ludum Dare weiter um ihr Überleben kämpfen, ebenso wie die noch weitaus kleineren Stimmen, die unter dem Druck von Sachzwängen und Ressourcenmangel zu verstummen drohen. Der bisherige Erfolg von Patreon auch im Bereich des Spielejournalismus macht Hoffnung, aber es ist noch ein langer Weg, bis Crowdfunding wirklich das Überleben in der Nische sichert. Dass die Zukunft nicht im Print liegt, wird schon beim Überfliegen der Jahr um Jahr dramatisch sinkenden IWF-Zahlen deutlich. Online wird mittelfristig für viele Seiten kein Weg an Abo-Modellen vorbeiführen, um wegbrechende Werbeeinnahmen aufzufangen. Vielleicht ergeben sich irgendwann bessere Finanzierungsmodelle, aber zu diesem Zeitpunkt ist Patreon die beste Möglichkeit für ein Publikum, direkt zu entscheiden, was ihm wie viel wert ist.