Hardcore Henry: Versuch macht klug

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Seit jeher imitieren Videospiele die Ästhetik des Films. Die Inspiration fließt mittlerweile in beide Richtungen und so übernimmt auch das Kino Elemente aus Spielen. Regisseur Ilya Naishuller schließt den Kreis und nutzt in seinem Actionfilm Hardcore Henry die Ästhetik eines Ego-Shooters, um die Geschichte eines kybernetischen Supersoldaten ohne Erinnerung zu erzählen. Erwähnenswerter als die Geschichte ist die Perspektive des Films, denn das Publikum blickt 90 Minuten lang durch die Augen des Protagonist Henry.

Das Problem: Hardcore Henry funktioniert als Film nicht. Dabei klang der Elevator Pitch wirklich gut. Einen kompletten Film aus der Perspektive des Helden gab es noch nie, auch wenn schon vorher damit experimentiert wurde. Von der Idee blieb nach Drehschluss leider nur ein verwackeltes Handyvideo übrig, gestreckt auf die 60 qm² einer Kinoleinwand. Denn anders als bei der mit viel CGI choreografierten Shooter-Sequenz aus Doom hängt Henry tatsächlich eine GoPro auf der Brust. Entsprechend sieht der ganze Film aus wie ein Parkour-Video, wenn er zwischen Schusswechseln und Prügeleien über Brückengeländer und Dächer stürmt.

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Was als dreiminütiger Clip auf YouTube beeindruckend aussieht, ist auf die Größe und Länge eines Spielfilms gestreckt nur schwer erträglich. Das ohnehin schon verwaschene Bild ist hoffnungslos verwackelt, unscharf und oftmals ohne Fokus und schlecht beleuchtet. Und selbst die Stunts, das einzige was an diesem Film auf einer technischen Ebene funktioniert, werden durch zu die chaotische Kameraführung zu herumstolpernden Statisten. Alles ist der Idee, einen kompletten Film aus der Ich-Perspektive zu drehen, untergeordnet. So sehr, dass die Kameraarbeit auf ein bloßes Gimmick reduziert wurde.

Abgesehen vom Kater der Kinetose bleibt nach dem Verlassen des Kinosaals wenig hängen. Außer der Tatsache, dass es noch nie zuvor gemacht wurde, gibt es keinen Grund für die ungewöhnliche Perspektive. Eine Bindung des Publikums mit dem Supersoldaten Henry findet jedenfalls nicht statt und auch die gegen Ende eingestreuten Fragen nach Identität und Wahrnehmung sind nicht mehr als eine oberflächliche Sammlung von Stichwörtern aus dem Fundus Dick’scher Science-Fiction-Klischees.

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Es ist nicht so, dass kein Potenzial vorhanden war. Allein die Konsequenz, mit der die Idee durchgezogen wurde, verdient einen gewissen Respekt. Immer, wenn die Kamera für eine Sekunde innehält und wirklich zu sehen ist, was passiert, lässt sich auch die aufwendig abgestimmte Choreografie der einzelnen Szenen wertschätzen. Und der Vorspann, der in Nahaufnahmen Messer in Hälse und Kugeln in Augenhöhlen eindringen zeigt, inszeniert die extreme Gewalt gekonnt als surrealen Albtraum. Aber plumpe Witze und der gelegentliche Versuch, besonders krass zu sein, führen zu unangenehmen Momenten der Fremdscham, wie einem angedeuteten Blowjob… und eine Actionszene mit Queen zu untermalen sorgt vielleicht für einen Ohrwurm, aber sonst eher für ein gelangweiltes Augenrollen.

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Traditionell gefilmt wäre Hardcore Henry unterhaltsamer, aber harmloser Trash. So viel macht dieser Film nämlich gar nicht neu. Die Probleme der Ich-Perspektive hat selbst die berüchtigte Ego-Szene aus Doom vor über 10 Jahren eleganter gelöst, während Crank schon 2006 besser verstand, die Eigenheiten eines Videospiels in die cineastische Form zu übersetzen. Aber auch wenn vieles an Hardcore Henry zu kritisieren ist, ist doch nicht alles daran schlecht. Naishuller hat einen wichtigen Referenzpunkt für zukünftige Diskussionen über die Verschmelzung von Spiel und Film geschaffen. Jetzt gibt es endlich eine Antwort auf die hypothetische Frage “Wie sähe wohl ein Actionfilm aus, der komplett aus der Perspektive des Protagonisten gefilmt ist?” Jetzt wissen wir zumindest, dass es möglich ist. Nur macht das allein es noch nicht zu einer guten Idee.