Beziehungen kommen und gehen. Die gemeinsamen Spiele bleiben.
Das Verhältnis von Beziehungen und Spielen kann ein Problem sein, das mir dieses Jahr besonders bewusst wurde. Es begann damit, dass ich mich nach einem Jahr Fortbleibens wieder auf meinem Minecraft-Server einloggte. Diesen Server hatte ich zuletzt mit einer Sommerliebelei besucht und wir waren gemeinsam im Nether verloren gegangen. Unsere Bekanntschaft war noch recht frisch und sich zu zweit auf engstem Raum durch Tunnel zu graben, wirkte aufgrund der digital vermittelten Nähe sicher nicht nur auf mich befremdlich. Die Berührungen meines Alter Egos mit seiner Spielfigur wirkten seltsam die Intimssphäre überschreitend.
Nachdem wir natürlich beide keinen Rücksetzpunkt im eigenen Haus hatten und beinahe alles mit Lava überfluteten, konnten wir nur noch durch Admin-Hilfe befreit werden. Merkwürdiges, peinlich anmutendes Erlebnis. Missgeschicke schweißen allerdings immer zusammen und bieten Stoff für Anekdoten.
(© @Juicefoozle)
Begonnen hat die enge Verflechtung von Spielen mit meinen Beziehungen sehr früh. War es im Teenie-Alter für die Jungs noch ziemlich befremdlich, dass ich mich als Mädchen für die selben Themen wie sie interessierte – eher abschreckend als förderlich zur Kontaktaufnahme – änderte sich das mit Anfang 20 schlagartig. Das Online-Rollenspiel Die 4te Offenbarung hatte die für Online-Rollenspiele typisch hohe Frauenquote und eine durch das Gildenleben geförderte, intensive, persönliche Auseinandersetzung mit den anderen Spielern. Gildentreffen oder Spielertreffen fanden sehr regelmäßig statt. Man lernte sich kennen und oft lieben. Damals entstandene Freundschaften habe ich mir zum Teil seit 15 Jahren bewahrt. Die erste große, analoge Liebe, die mir als Spielfigur auf einen Baum kletternd gestand, dass sie in mich verliebt sei, nicht.
Gemeinsames Bekämpfen von Gegnern, das Meistern von Quest, die Gespräche, die sich von harmlosem Smalltalk immer weiter in Richtung sehr private Themen weiterentwickeln, bieten einen idealen Nährboden für das Heranwachsen von Gefühlen. Ein Freund aus der Schweiz wohnte mir einmal Abend für Abend sehr viele, viele, viele Stunden bei einer Jägerquest in World of Warcraft bei. Das Problem war nämlich, dass der betreffende Gegner nur alle vier Stunden auftauchte. Die daraus gewonnenen Gegenstände trägt mein Charakter seit 10 Jahren im Inventar und sie stehen ganz plump für Freundschaft. Möglicherweise war es auch mehr als Freundschaft, aber das ist nach all der Zeit nicht mehr wichtig. Die Gefühle, die ich bei meinem jährlichen Besuch in World of Warcraft habe, sind daher oft melancholisch-wehmütige und lassen sich von vergangen, hormongeschwängerten Begegnungen nicht trennen. Kein Gang durch Sturmwind ohne kitschige Postkartenerinnerungen. “Hier haben wir uns gejagt.” “Da kaufte er mir Blumen” “Haha, hier war mal das Gildentreffen, als alle betrunken im Teamspeak….” Merkwürdig? Nur für Außenstehende.
Fast alle meine Partner hatten direkt oder indirekt etwas mit Computerspielen zu tun. Mit Ausnahme der längsten Beziehung, denn dieser Mann konnte sich nur für Echtzeitstrategie begeistern und empfand meine Affinität zu Indies als Zeitverschwendung. Wie eng das Hobby Spiel mit Beziehungen verwoben sein kann, erlebte ich in einem dieser berühmten Schlüsselmomente, die einen nachhaltig beeinflussen: Superbrothers Sword & Sworcery mit dem großartigen Soundtrack von Jim Guthrie hat mich damals so sehr beeindruckt, dass ich es meinem derzeitigen Partner unbedingt zeigen und ihn spielen lassen musste. Der Wunsch, dass es eine ähnlich starke Euphorie in ihm auslöst, war sicher völlig überzogen, aber mit einem naserümpfenden “Pixelquatsch” (irgendwas despektierliches in der Art) hatte ich nicht gerechnet. Zack, Bums, Herz gebrochen.
Die Freude des Partners an einem bestimmten Thema, Film, Lied oder Hobby zu teilen, ist eine Grundvoraussetzung für eine respektvolle und langanhaltende Beziehung und darf an dieser Stelle gerne als weiser Rat einer alternden Frau in die Runde gegeben werden. Die immense Vielfalt bei Computerspielen macht diese Bedingung vielleicht etwas schwerer. Zwischen FEZ und FIFA liegen nun einmal Welten. Ein Partner der gar nicht spielt, wäre mir sicher lieber als jemand, der ausschließlich FIFA spielt. Vielleicht würde die Begeisterung mit der Zeit kommen, aber FIFA? Ernsthaft?! Akzeptanz scheint mir da aktuell das Höchste der Gefühle.
Ob beide Partner dieses zeit- und geldintensive Hobby teilen ist die eine Seite der Medaille. Das muss natürlich nicht sein. Die andere Seite ist die digitale, verbrannte Erde, die nach dem Ende einer Beziehung, einer Affäre, einer Mingelei oder sonstigem mit geteiltem Hobby zurückbleibt. Ibb&Obb ist ein Coop-Rätsel-Spiel, das sich ausschließlich zu zweit spielen lässt und jeder der beiden Spieler steuert dabei seine eigene Figur. Eine enge Zusammenarbeit ist für das Vorankommen unerlässlich. Letztes Jahr spielte ich es zum ersten Mal mit einem Freund. Inklusive verschämten aufeinander Rumhüpfens der beiden Figuren schafften wir ungefähr 50% der Rätsel. Allerdings nahm diese Beziehung nach kurzer Zeit ein abruptes Ende und ich habe Ibb&Obb frustriert gelöscht und mir gesagt: “Nie wieder!”. Das Deinstallieren des Spieles hatte einen sehr reinigenden Effekt. Wenn andere die Bilder ihres Liebsten/ihrer Liebsten dramatisch ins Kaminfeuer schmeißen und dabei weingetränkt Musik aus Dirty Dancing hören, reichen für mich zwei Klicks und der selbstzufriedene Anblick des Deinstallationsbalkens. Problem dabei: Es ist nicht wirklich weg. Jedes Mal, wenn ich durch die Steam-Bibliothek streifte und dabei Ibb&Obb entdeckte, versetzt es mir den sprichwörtlichen Stich ins Herz.
Nach dieser für mich tatsächlich nicht einfachen Geschichte und einem von Männern völlig befreiten Erholungsjahr, lernte ich ungewollt jemanden kennen und da alles so hübsch begann und wir uns okay verstanden, versuchte ich es ganz optimistisch wieder mit Ibb&Obb. Auch innere Savegames werden am sichersten durch Überschreiben gelöscht. Es hätte vielleicht merkwürdig sein können, die selben Aufgaben zu erledigen, die ich vor einem Jahr noch mit jemand anderem absolvierte, aber das Spielerlebnis unterschied sich zum Glück völlig. Der alte Kalenderspruch “Es kommt nicht darauf an, was du tust, sondern nur mit wem.” bewahrheitete sich hier. Ibb&Obb präsentierte sich wieder von seiner Glanzseite. Herausfordernd, lustig und eine gewisse Form von Intimität schaffend. Allerdings blieb es bei diesem einem Spieldurchgang. So jäh und optimistisch alles begann, so jäh wurde es wieder beendet. Der Spielfortschritt fiel dieses Mal noch magerer aus, doch der Frust um ein nicht beendetes, tolles Spiel ist natürlich nur als Kollateralschaden neben all dem Gefühlswirrwarr zu betrachten. Deinstalliert ist Ibb&Obb noch nicht, aber bald werde ich es tun und dann wird es das letzte Mal gewesen sein. Eine gewisse, übertriebene Dramatik werde ich mir dabei nicht entgehen lassen und vielleicht esse ich dabei sogar zwei Tafeln Schokolade, obwohl ich Schokolade gar nicht so sehr mag. Aber man macht das halt so, habe ich gehört.
Die Interaktion, die sich im Laufe eines Multiplayer-Spiels mit einem Partner einstellt, bietet eine große Angriffsfläche, der man sich als melancholisch veranlagter Mensch nach einer Trennung ausgesetzt sieht. Eben noch in jenem Spiel gemeinsam einen Zwischenboss besiegt, um im nächsten Durchlauf hilflos alleine vor dem Nächsten zu stehen? Spiele beeinflussen wie jede Leidenschaft auch eine Beziehung und eine Beziehung beeinflusst die Art des Spielens. Anders als bei Film oder Musik verknüpft sich hier neben dem akustischen und visuellem Erleben auch das physische Handeln mit bestimmten Emotionen. Vielleicht ein Fall klassischer Konditionierung? Drücke X zum Trauern und Y zum Vergessen.
Im Laufe eines Lebens reichert sich so also neben vielen erinnerungsträchtigen Medien auch die Sammlung an Spielen an, die man schwer oder gar nicht mehr spielen kann oder will. Neben bestimmten Sperrgebieten in World of Warcraft, ist die neueste Errungenschaft in dieser Sammlung für mich Don’t Starve Together, dessen 140 Stunden des grandiosen Singleplayers mich nicht vor einer temporären Vermeidung schützen konnten. Ein gemeinsames Spiel ist eben mehr als nur ein Spiel. Es sind geteilte Gefühle wie Freude, Angst und Erleichterung, es ist geteilte Musik und gemeinsame Erfolgserlebnisse. Wenn es nicht klappt, versucht man sich an bewährten Vermeidungs- und/oder Verdrängungsstrategien. Wenn alles gut läuft, blickt man vielleicht irgendwann zusammen auf durchlebte Spielmomente oder eben seine Steam-Bibliothek zurück und säuselt sich “Weißt du noch, wie wir damals immer und immer wieder in diese eine Kettensäge gehüpft sind?” ins Ohr.