5 aus 15: Nina

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Jahr vorbei, Listenzeit! War ja auch gut was los in 2015. Und da – für manch einen sicher überraschend – Superlevel kein homogenes Konsensgeflecht ist, dessen Synapsen in Fabus Fingertätowierungen zusammenlaufen und per Telepathie ins WWW gelangen, darf in diesem Jahr jedes Teammitglied seine eigene Liste der persönlichen Spieleperlen zusammentragen. Dabei geht es ausschließlich darum, dass nichts ausgeschlossen wird. Doppelnennungen, Early Access, dieses Tennis-Spiel für den Virtua Boy, alles kann, nichts muss. Total crazy!

Wer will, darf natürlich auch gerne seine eigene Liste im Forum hinterlassen. Am Ende wird dann abgerechnet und die ultimative Leser-Top-5 erstellt. Habe ich schon erwähnt, dass wir von Buzzfeed geschluckt wurden? Guten Rutsch!


Cibele

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Selten gelingt es einem Spiel, sehr individuelle Erfahrungen widerzuspiegeln und zugleich am Erfahrungsschatz anderer Menschen anzuknüpfen. Zu oft sind uns die verhandelten Themen fremd, da sie in kriegerischen Auseinandersetzungen oder anderen Zeiten verortet werden, vielleicht auch die komplexen Gefühle und Gedankengänge zugunsten der Spielmechanik zu stark vereinfachen. Nina Freemans neuestem Spiel Cibele hingegen glückt dieses Kunststück.

Sie erzählt darin die Geschichte ihrer ersten Liebe nach, die sich in einem MMORPG entwickelte und schließlich in einem persönlichen Treffen mit einem Menschen mündete, der daraufhin für immer verschwand. Und selbst wenn man sich nie in dieser spezifischen Situation befunden hat, wird man doch dazu animiert, eigene Erinnerungen wachzurufen: An Online-Freundschaften, durchwachte Nächte im Chat und das unangenehme Gefühl, kritisch bis ungläubig beäugt zu werden, wenn man Außenstehenden davon erzählte.

Der persönliche Bezug zum Gezeigten entsteht vor allem deshalb, weil Nina dazu einlädt, ihre Vergangenheit durch einen fiktiven Desktop zu erkunden und Chatlogs ebenso zu durchstöbern wie Ordner voller Fotos – ein Prozess, den sicherlich viele Menschen dann und wann durchlaufen haben, um längst Vergessenes wieder aufleben zu lassen. Cibeles Geschichte hallt deshalb lange nach und verbindet sich mit persönlich Erlebtem zu etwas ganz Neuem.


Bloodborne

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Der Puls beschleunigt sich, das Blut rauscht ebenso rasant durch die Adern wie panikgeweitete Augen versuchen, das hektische Geschehen zu verfolgen. Jenes Geräusch angespannten Einatmens durch fest zusammengedrückte Zähne wird begleitet vom Geklicke und Gerappel der krampfenden Finger auf dem Gamepad. Nein, nicht nur die Finger verkrampfen, sondern der gesamte Körper, während angesichts der sich leerenden Energieleisten Hoffnung und Verzweiflung miteinander ringen. Und dann, endlich: Ein Jubelschrei. Wir liegen uns in den Armen, überglücklich, als wir nach mehreren Stunden ewigen Versagens endlich, endlich siegreich aus dem Bosskampf hervorgehen.

Bloodborne ist es mehr als jedem anderen Spiel zuvor gelungen, mich gnadenlos vorzuführen, mich regelmäßig Staub fressen und gleichzeitig vorfreudig auf jene Dienstagabende blicken zu lassen, an denen ich über Monate hinweg zusammen mit meinem Partner das finstere Yharnam durchstreifte. Mühsam ebneten wir uns den Weg durch die zahlreichen Areale, durch Kapellen und Wälder, boten uns gegenseitig Rückhalt und überhäuften uns mit Lob, wenn wieder eine der Passagen durchquert war, die lebend zu verlassen zunächst unmöglich schien.

Die Kehrseite der brodelnden Emotionen zeigte sich zuverlässig immer dann, wenn wir nach zahlreichen Gefechten schließlich zu schlafen versuchten: Vergeblich. Aber das war in Ordnung. Denn Bloodborne hat mir einige der schrecklichsten, aufreibensten und zugleich erfüllendsten Spielstunden in diesem Jahr bereitet.


Rinse and Repeat/Cobra Club/Stick Shift

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Spätestens seit der Ernennung zu Superlevels Sexkolumnistin ist Robert Yang mein persönlicher Held. Inmitten der Ödnis allzu ähnlicher, mäßig erotischer Heterosexsimulatoren bieten seine stets merkwürdig-komischen Spiele über Homosexualität und Intimität eine angenehme Fokusverschiebung und ein in diesem Genre unübliches Maß an (Selbst-)Reflexion. Was zunächst nicht mehr darzustellen scheint als autoerotische Masturbation per Gangschaltung, entpuppt sich nach einer Weile als spielerische Erkundung von Konsens und Kritik an polizeilicher Willkür; das Anfertigen von aufreizenden Selbstportraits zieht nach der Aufmerksamkeit erregter Chatpartner plötzlich auch jene allzu neugieriger Geheimdienste auf sich. Und die Duschsimulation ist ein Plädoyer für das Warten, für die langsame Entwicklung von gegenseitigem Vertrauen in einer Beziehung.

Um zu diesen Inhalten vorzudringen, ist es nötig, sich nicht von der stets ins Absurde übersteigerten Visualisierung der Spiele abschrecken zu lassen und Zeit zu investieren, um hinter der verdrehten Fassade eine überraschende Tiefe zu entdecken. Gerade das aber macht Yangs Schaffen so interessant: Er ermahnt nicht, lamentiert nicht, sondern lädt mit viel Humor dazu ein, schwierige Themen spielerisch zu ergründen.


She Might Think

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Während mittlerweile selbst Ubisoft mit dem aktuellen “Assassin’s Creed” unter Beweis gestellt hat, dass es nicht zu schwierig ist, Frauen zu animieren, scheint die Spieleindustrie nach wie vor arge Probleme damit zu haben, diese zusätzlich mit glaubhaften Persönlichkeiten auszustatten. Wie einfach genau das aber sein kann, beweisen zwei französische Spieleentwicklerinnen mit She Might Think. Darin nehmen sechs Frauen nacheinander einen Besichtigungstermin in einer möblierten Wohnung wahr und kommentieren im Geiste deren Ausstattung: Vom Hamsterkäfig bis zur umherstehenden Bierflasche.

Schnell wird klar, wie unterschiedlich die Damen ihre Umgebung wahrnehmen, denn während die eine das auf dem Sofa liegende Pornomagazin mit einem verschmitzten Lächeln betrachtet, blickt die andere ziemlich despektierlich drein; während erstere die Präsenz der High Heels im Schlafzimmer preist, denkt die andere lieber beim Anblick verschmutzter Gummistiefel verträumt an vergangene Strandspaziergänge.

Jede der frei wählbaren Figuren präsentiert so einen ganz eigenen und bisweilen auch eigenwilligen Charakter mit widersprüchlichen Ansichten. Das ist schön, macht es doch deutlich, wie unterschiedlich Menschen sind, ohne über sie und ihre individuellen Eigenheiten zu urteilen. She Might Think ist damit nicht nur ein wichtiger Beitrag für mehr Ausdifferenzierung weiblichen Verhaltens im Spiel, sondern zudem ein Plädoyer für gegenseitiges Verständnis: Ganz gleich, ob man nun die massive Vorliebe für Make-Up teilt, oder nicht.


Life Is Strange

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Lange war ich nicht mehr derart hin- und hergerissen. Life Is Strange schwankte kontinuierlich zwischen einer gekonnt kreierten Atmosphäre und stumpfen Klischees, die einer ernsthaften Auseinandersetzung mit bisweilen hochkomplexen Themen gewaltig im Weg standen – und so schwankte auch meine Wahrnehmung des Spiels. Zudem wurde mit jeder Episode deutlicher, wie bewusst die Entwickler auf Schockeffekte durch wohlplatzierte Desaster setzen, die sich derart komprimiert in den allerwenigsten Teenagerleben abspielen dürften.

Und doch funktionierte die krude Fusion aus Endzeitstimmung und Highshooldrama, irgendwie. Die sich durchweg aus wandelnden Klischees zusammensetzende Darstellerriege bildete in ihrer Gesamtheit doch wieder eine angenehme Vielfalt, die wirre Geschichte genug interessante Ansätze, um mich gespannt jeder Fortsetzung entgegenblicken zu lassen. Noch immer gelingt es mir nicht recht, alle Gedanken zum Spiel zu bündeln, um sie in ein klares Fazit zu gießen. Und genau das ist es vermutlich, was ich ihm am meisten zugute halte. Life Is Strange war ein interessantes Erlebnis, eine Sammlung von Momenten, die ich sehr genossen habe. Ein hochgradig diffuses Werk, das sich einer eindeutigen Bewertung entzieht.