Ein Podiumsplatz für die Liebe.
Ein Mann reibt an seinem Getränk und wie aus dem Nichts erscheint ein Bierflaschengeist. „Du hast drei Wünsche frei!“, sagt der Geist und der Mann wünscht sich ohne lang zu überlegen ein großes Glas Bier, das immer gefüllt ist – ganz gleich, wie viel er davon trinkt. Auf die Frage, was denn sein zweiter Wunsch sei, antwortet der Mann: „Noch eins!“
Mein Name ist Fips Asmussen und Dirt 4 ist wie das zweite Bierglas, das immer bis zum Rand gefüllt ist. Denn als ich vor einem Jahr schrieb, dass Dirt Rally das beste Rennspiel aller Zeiten sei, war das a) keine Meinungsäußerung eines führerscheinlosen Laien, sondern die Darlegung einer unumstößlichen Faktenlage (von einem zugegebenermaßen führerscheinlosen Laien, aber das relativiert hier REIN GAR NICHTS!!!) und b) schloss diese Aussage selbstverständlich auch die Zeiten Futur I, Futur II und Futur III mit ein, in denen Michael J. Fox jeweils seine Mutter, seine Tochter und sich selbst geheiratet haben werden wird. Und auch wenn mir das Konzept von Zeit nach wie vor offenkundig gänzlich fremd ist, kommt ein weiterer Aspirant auf den Rallythron gefühlt viel zu früh. Vielleicht ist das aber auch nur meine Wahrnehmung, weil ich nicht so recht einsehen will, dass Dirt 4 kein direkter Nachfolger von Dirt Rally ist, sondern das komplementäre Zuckerbrot zur Peitsche.
Denn so wie Dirt Rally mir stets komplett entkleidet und unverblümt vermittelt hat, dass es mit mir ficken will, versucht Dirt 4 seine schmutzigen Intentionen mit zaghaftem Augenzwinkern und zahlreichen kleinen Gesten zu bemänteln. Erste vorsichtige Annäherungsversuche finden in der Fahrschule statt, in der zunächst vom Spiel abgecheckt wird, wie weit ich überhaupt gehen will. Die dafür erdachte binäre Auswahlmöglichkeit zwischen beinharter Simulation und simplifizierter Arcadesteuerung dient dabei nur der groben Selbsteinschätzung und ist später nahezu stufenlos auf die individuellen Rennbedürfnisse anpassbar. Ich kann mir also wie gewohnt das Maximum an Selbstgeißelung antun, indem ich sämtliche Fahrhilfen abstelle, während anderen womöglich eine zärtliche Knutscherei mit dem Bremsassistenten mehr als ausreicht.
Dieser elegante Spreizschritt deutet an, dass auf die Kompromisslosigkeit des mutmaßlichen Vorgängers eine Öffnung des potenziellen Fahrerfeldes folgen soll. Und so warte ich nach dem Spielstart nur darauf, dass Ken Block sein verkaufsförderndes Oral-B-Grinsen in die Kamera hält, während er einen Donut um eine Dose Monster Energy dreht. Vergeblich. All die schlimmen Erinnerungen an die Gymkhana-Bros und YouTube-Hochladeaufforderungen aus Dirt 3 werden glücklicherweise nicht aufgefrischt, auch wenn die Nüchternheit und Reduktion von Dirt Rally einer deutlich verjüngten und hipperen Ästhetik weichen muss. Kontemporäre Menümusik, schulterklopfende Kommentare aus dem Off, ein Fahrerlevelsystem und Siegerehrungen mit Mini-Feuerwerken, all das habe ich nicht vermisst, kann es aber in dieser halbwegs gemäßigten Darbietungsform tolerieren. Und letztlich ist es auch gar nicht so schlecht, durch den Kampagnenmodus wieder etwas mehr Kontext für die Rennen zu schaffen, auch wenn es zum wiederholten Male nur das altbekannte Hochklettern innerhalb der unterschiedlichen Rennklassen ist.
Neben abermals atemraubenden, handgeklöppelten Abfahrten auf unterschiedlichen Terrains und zu allen erdenklichen Wetterbedingungen und Tageszeiten, bietet Dirt 4 auch die Möglichkeit, Strecken zufällig generieren zu lassen. Gedanken an die prozedural generierten Alienausgeburten in No Man’s Sky kommen wieder hoch und ich atme provisorisch ganz tief in eine Papiertüte, während ich die bevorzugte Länge und Komplexität meiner Strecke definiere. Erstaunlicherweise ist die am Ende gar nicht so absurd und willkürlich wie vermutet, sondern zeigt, dass mit der “Your Stage” getauften Funktion eine wirklich sinnvolle Ergänzung für das Hochhalten der Langzeitmotivation implementiert wurde. Insbesondere den erneut aufgegriffenen Community-Events tut diese Neuerung wirklich gut, da Strecken nicht mehr exzessiv geprobt werden können, bevor man seine Zeiten mit denen der restlichen Welt misst. So wirkt jede Strecke halbwegs frisch und die Grundvoraussetzungen beim Start sind zumindest theoretisch die gleichen, auch wenn natürlich das geübte Auge ab einem gewissen Zeitpunkt die Muster in den verwendeten Abschnitten wiedererkennen wird. Oder wiedererkannt haben wird? Wie kriegen das bitteschön bereits Grundschüler hin?!
Unerwähnt geblieben ist bisher der Landrush-Modus, den ich nicht mag, weil man hier im Kreis fährt und ich mich bei heckgetriebenen Buggys und Pick-up-Trucks eh nur selbst um die eigene Achse drehe. Dann wären da noch all die unzähligen Tutorials und Minispielchen, die bestimmte Fahrtechniken schärfen und der Todesangst beim Anblick einer Haarnadelkurve am Steilhang einen lockerspaßigen Kontrast entgegensetzen. Ach, und Rallycross gibt es ja auch noch! Dirt 4 ist mir einfach zu viel des Guten. Es will sich fest an mich binden, aber ich brauche gerade einfach meine Freiheiten. Was es wohl bedeutet, wenn man beim Spielen eines neuen Titels mit den Gedanken immer noch bei einem anderen ist? Wenn man ständig nur vergleicht und lieber in Erinnerungen schwelgt, statt sich auf den Moment – hier und jetzt – einlassen zu können? Entschuldigung, ich war kurz in Gedanken. Freiheiten. Ja, die will ich wohl.. glaube ich. Dirt Rally, ich meine Dirt 4… ich weiß nicht mehr, was ich meine. Ich will mich nicht entscheiden müssen. Doch wenn ich ehrlich bin, fühlte ich mich ohne all die zusätzlichen Möglichkeiten wohler. Ich bin eben wie der Mann, der einfach nur sein Bierchen zischen wollte und schließlich glücksbeseelt auf dem Tresen eingeschlafen ist, während der Flaschengeist an dessen zweitem Gläschen nippte, wohlwissend, was wohl der dritte Wunsch gewesen wäre.