Die leisen Töne des Krieges: Valiant Hearts
Als der Musiker und Komponist J.J. Cale im vergangenen Jahr verstarb, nahmen nur wenige Menschen Notiz davon. Cale war jemand, den man gerne als „Musician’s Musician“ bezeichnete. Jemand, der unter Musikerkollegen und Kritikern einen einträglichen Ruf genoss, dessen Schaffen jedoch bei der breiteren Öffentlichkeit auf taube Ohren stieß. Dem Weltkriegsadventure Valiant Hearts von Ubisoft könnte ein ähnliches Schicksal zuteilwerden, wirkt es doch an den üblichen Verkaufsargumenten für moderne Kriegsspiele vorbeiprogrammiert. Statt patriotischem Geballer schlägt es die leisen Töne des Kriegsgeschehens an, die durch die Mörsereinschläge und Bombenexplosionen thematisch ähnlicher Videospiele so oft ungehört verhallen. Ein Spiel, das zeigt, wie wichtig es ist, endlich auch in diesem Medium den schrecklich schiefen Klängen großer Schlachten Gehör zu verschaffen. Und das vermutlich genau deswegen niemals ein größeres Publikum erreichen wird.
Dabei muss sich Valiant Hearts in vielerlei Hinsicht nicht verstecken. Die handgezeichnete Grafik, die sich stilistisch an der Aufmachung von hochwertigen Graphic Novels orientiert, rückt das unverbrauchte, da äußerst sperrige Setting des Ersten Weltkriegs in ein stimmungsvolles Licht. Begleitet von wehmütigen Klavierklängen, die auch ein Yann Tiersen nach zwei Gläsern Château La Tour zufrieden abgenickt hätte, erlebt man an realen französischen Kriegsschauplätzen die fiktive Geschichte von vier spielbaren Charakteren, deren Wege sich im Verlaufe des Spiels immer wieder kreuzen. Fernab gängiger Heldenepen, durchlebt man hier die Gefechte aus Sicht von Frauen und Männern, die weniger in den Krieg ziehen als dass dieser sich ihrer einverleibt. Während die Kämpfe toben, verfolgen sie ihre ganz persönlichen Ziele. Sie suchen nach Angehörigen, wollen Rache für den Verlust eines geliebten Menschen nehmen und haben das Bedürfnis, anderen, egal für welche Seite sie auch kämpfen mögen, in ihren schwersten Stunden beizustehen. Das sind übergeordnete Motive, die auch ohne die Thematisierung der üblichen Verdächtigen, wie Vaterlandsliebe, Ehre und Pflichterfüllung, einen glaubwürdigen Antrieb vermitteln können. Lange hat man sich nach einem solchen Perspektivwechsel weg vom unkaputtbaren Elitesoldaten gesehnt. Valiant Hearts bietet sogar mehrere davon, was jedoch aus unterschiedlichen Gründen überambitioniert wirkt.
Da wäre zum Beispiel die zu knapp ausfallende Charakterisierung der Figuren, die zwar wunderschön gezeichnet sind, aber deren Wesen bis zum Abspann schemenhaft bleibt. Ihre Mienen wirken bisweilen wie in Stein gemeißelt und verziehen sich auch im stärksten Kugelhagel keinen Millimeter. Die Interaktion mit anderen Personen erfolgt ausschließlich über Piktogramme in Sprechblasen, die kaum nähere Attributsbeschreibungen zulassen und ihnen ein Stück weit ihre Lebendigkeit nehmen. Auch die kurzen Zwischensequenzen lassen kaum Rückschlüsse über die handelnden Akteure zu, da zumeist der Erzähler nur die aktuellen Geschehnisse umreißt, um der manchmal etwas flickenhaften Handlung etwas mehr Struktur zu verleihen. Ähnliches gilt auch für das Design der nichtspielbaren Charaktere, welche die immer gleichen Sprüche vor sich hin murmeln und, insbesondere bei wiederkehrenden Figuren, bisweilen völlig überzeichnet und albern wirken. So entstehen vermeidbare Stimmungsbrüche, die dem zwar comichaften, doch gleichzeitig auch realitätsnahen Fundament des Spiels leichte und doch spürbare Risse verpassen.
Einen zwiegespaltenen Eindruck hinterlässt auch das Gameplay, welches sich in der Hauptsache aus dem Lösen sehr einfacher Rätsel und dem Absolvieren längst überwunden geglaubter, völlig anspruchsloser Quick Time Events zusammensetzt. Auch wenn mein erster Gedanke war, dass einem hierdurch praktisch das gesamte Spiel viel zu leicht gemacht wird, muss ich diesen nach genauerer Überlegung relativieren. Die Simplizität des Spieles bietet nämlich den einzig logischen Kontrast zu der Schwere seiner Handlung, die durch allzu harte Kopfnüsse womöglich zu sehr in den Hintergrund gerückt worden wäre. Es ist also nur konsequent, die Verzweiflung bei einem Gasangriff im Schützengraben nicht auch noch mit einer zunächst unlösbar erscheinenden Aufgabe zu unterwandern. Nur schade, dass der durchaus sinnvollen Reduktion des Rätseldesigns auch vereinzelte Passagen untergemischt wurden, die sich wiederum zu sehr an altbackene Videospielkonventionen ankuscheln und dadurch deplatziert wirken. Ich war auf jeden Fall äußerst irritiert, als ich meinen ersten Bosskampf bestreiten musste.
Ein Gewehr habe ich aber auch für diesen nicht gebraucht. Weil die Gewalt in Valiant Hearts nicht von mir ausgeht, sondern allgegenwärtig ist. Artillerie, Maschinengewehre, Panzer und Giftgas: Die waffentechnische Entwicklung kümmerte sich während des Ersten Weltkrieges im Gegensatz zur heutigen Zeit nicht um präzise Treffer, sondern um den größtmöglichen Schaden. Das wird in jeder Spielminute deutlich und, falls gewünscht, mit nachschlagbaren historischen Informationen auf Knopfdruck weiter unterfüttert. Sowas mag vielleicht ein wenig gimmickhaft daherkommen, doch bei einem Krieg, dessen Komplexität und fehlende Schwarzweißfärbung seiner beteiligten Parteien viele Menschen vor einer Auseinandersetzung mit dem Thema bisher zurückschrecken ließ, können die kurzen, spielkontextbezogenen Lexikoneinträge durchaus einen leichteren Einstieg in die Materie bereiten.
Mit dem Abschluss des letzten Kapitels bleibt die erhoffte Erleichterung und Versöhnung aus. Es gibt gute Gründe dafür, dass dieser Krieg als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet wird und Valiant Hearts schafft es, den Schrecken und die Zerstörung dieser Zeit in mir nachhallen zu lassen. Es ist der emotionale Schlusspunkt eines Spiels, dessen unbehagliche Wirkung mich seine Designschwächen vergessen lässt. Vielleicht geht es mir in diesem Moment auch ein wenig wie all den erwachsenen Figuren im Spiel, die stets auf die eine oder andere Art ihre Augen verhangen haben. Das Schlechte einfach ausblenden. So bleibt nur der Wunsch zurück, mich zu irren und dieses bedeutsame Spiel zu Unrecht mit J.J. Cale verglichen zu haben. Manchmal ist es eben wichtig, sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen, um das Gute nicht zu übersehen.