Im Weltall ist weniger mehr.
ADR1FT:
Einfach mal die Aussicht genießen
Einfach mal die Aussicht genießen
Im Weltall ist weniger mehr.
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Im Weltall ist kein Problem so schlimm, als dass man es nicht noch schlimmer machen könnte, behauptet Chris Hadfield. Er muss es wissen. Schließlich ist der Kanadier nicht nur ein weltberühmter “David Bowie”-Cover-Artist, sondern er flog auch bisher zwei Mal ins Weltall. Es ist seine ruhige und besonnene Art, mit der er mögliche Probleme des Astronautenleben in seinem TED-Talk schilderte und anging, an die ich denken muss, als ich im Körper von Alex Oshima erwache und auf die Trümmer der Raumstation Northstar IV blicke. Hadfield betont, dass das Training die zukünftigen Astronauten rigoros auf potentielle Gefahrensituationen vorbereitet. Diese Szenarien würden immer und immer wieder durchgespielt werden, bis das Subjekt selbst in den Situationen mit absoluter Routine reagiert, in denen der Durchschnittsmensch die Nerven verlieren würde. Diese Routine fehlt mir.
Ich greife mit zittrigen Händen nach dem Kabel, das sich um meinen Fuß gewickelt hat. Glück im Unglück: Das Kabel schützt mich davor, in die Weiten des Weltalls abzudriften. Ich kann mich gerade so zu größeren Raumschifftrümmern retten, als ich ein Leck in meinem Raumanzug bemerke. Meine Atemzüge werden tiefer und schneller. Sekunden bevor ich zu ersticken drohe, kann ich eine umherschwebende Sauerstofflasche ergreifen und meinen Vorrat auffüllen. Als ich einen Blick um mich herum wage, stockt mir der Atem erneut.
Wer bei dieser Beschreibung der ersten Momente von Adr1ft, dem ersten Spiel des Entwicklerstudios Three One Zero Games um Adam Orth (#dealwithit), an den Oscar-prämierten Film Gravity denken muss, liegt nicht falsch. Adr1ft ist in vielerlei Hinsicht Gravity – The Game. Die Hauptziele sind nämlich sehr simpel: Überleben – und zur Erde zurückkehren. Ähnlich wie im Film finde ich mich im Low Earth Orbit ungefähr 400km über der Erde im Körper einer Frau wieder, die inmitten einer Katastrophe ums Überleben kämpft. Glücklicherweise bin ich darin ein wenig gewandter als Sandra Bullock. Mein Raumanzug besitzt eine Düsensteuerung, mit der ich mich im Schneckentempo durch die Gänge der zerstörten Raumstation wage. Alle paar Meter schweben Notfall-Sauerstoffflaschen, die meine Tanks auffüllen. Den Sauerstoff brauche ich jedoch nicht nur zum Atmen, sondern er treibt auch die Düsen meines Raumanzuges an, sodass ich anfangs meine Bewegungen sehr behutsam überlegen muss.
Leider erreicht Adr1ft schon direkt zu Beginn den Höhepunkt an Spannung. Die Steuerung des EVA-Raumanzuges ist trotz eines kleinen Tutorials recht schwer zu erlernen, besonders mit der Tastatur. Und daher sieht man Alex vielleicht zwei oder drei Mal dabei zu, wie sie qualvoll erstickt und sich in den letzten Momenten noch verzweifelt die Hände vor das Visier drückt, bevor sie das Bewusstsein verliert. Diese dramatischen Momente kann man jedoch an einer Hand abzählen. Sobald man die Steuerung gut beherrscht, kann man die omnipräsenten Sauerstoffkoffer auch mal überspringen. Dazu gibt es nach einer Stunde Spielzeit bereits ein Upgrade, welches das Leck im Anzug repariert und den Vorrat um das Doppelte erhöht. Und echte Gefahren gibt es auch keine mehr. Die umherschwebenden Trümmer werden einem kaum gefährlich; sie können mich weder töten, noch gefährlich weit von dem Trümmerfeld wegstoßen.
All das wäre kein großes Problem, wenn Adr1ft neben seiner atemberaubend schönen Präsentation noch Weiteres zu bieten hätte. Doch dem ist leider nicht so. Entgegen der Logik eines schnellen und unkomplizierten Fluchtvehikels muss die Raumkapsel nämlich zuerst aktiviert werden. Der zentrale Computer in der Mitte der Raumstation ist zwar noch intakt, doch die umliegenden Systeme sind abgebrochen. Also muss ich durch endlose Gänge schweben, nicht an Schleusen anecken, mich durch schwebende Wassertropfen bewegen, schwerelose Pflanzen aus dem Weg räumen, kurze Sprünge zwischen Trümmerteilen wagen und ein System nach dem anderen wieder hochfahren. Das klingt nicht nur spannend und aufregend, das ist es auch. Aber eben auch nur für eine gewisse Zeit.
Und da Three One Zero Games unbedingt ihre einzigartige Erfahrung mit Adr1ft mehr zu einem Spiel trimmen wollten, muss man von einem Ende der Trümmer zum nächsten fliegen, um immer gleiche Werkzeuge von A nach B zu bringen. Das Gameplay verändert sich zu keinem einzigen Zeitpunkt, es gibt keine Abwechslung oder Interaktionsmöglichkeiten, mit denen man sich nicht schon nach den ersten zehn Minuten langweilt. Auch das Oculus Rift, das zeitgleich auf den Markt gekommen ist und quasi als VR-Plattform für Adr1fts Techdemo dient, dürfte das Spielerlebnis nicht wesentlich aufwerten, da die Ansatzpunkte dafür schlichtweg fehlen. Zwar dient es der Immersion, dass die Sicht aus dem Helm durch das Display und die Limitierung des Visiers selbst in der Virtuellen Realität eingeschränkt ist, aber da das Gameplay in seinem rudimentären Design dies kaum nutzt und man nur in seltenen Fällen die 2D-Plattform mit einem Blick nach oben oder unten durchbrechen muss, bleibt viel Potential auf der Strecke. Weiterhin ist es ärgerlich, dass das Spiel die Ziele einer dreidimensionale Welt auf einem zweidimensionalen Radar abgebildet und die Kommandantin sich so mehr als einmal auf ihrem eigenen Schiff verläuft. So wird der Walking Simulator im Weltall künstlich verlängert.
Sobald man sich aber an seine neue Umgebung gewöhnt hat, wird das Durchspielen von Adr1ft zu einem äußerst schwerfälligen Unterfangen. Ein Gang sieht aus wie der nächste, das Schiff besitzt keine eigene Persönlichkeit und die Geschichte ist so bruchstückhaft und bewusst vage gehalten, dass man jegliches Interesse daran verliert. Über Audiologs werden dem Spieler zwar nach und nach die Beziehungen der toten Crew zu Alex bewusst, doch es ergibt sich kein schlüssiges Gesamtbild. Dieses ähnelt eher dem chaotischen Trümmerfeld um den Spieler: Es gibt Bruchstücke einer Geschichte, die jedoch kein stimmiges Gesamtbild ergeben. Die Figuren und Vorgeschichte sowie das Setting bleiben größtenteils ein Mysterium. Dazu ist es höchst frustrierend, dass das Ende dahinplätschert, ohne Höhepunkt oder befriedigenden Abschluss. Dies macht die initiale Enttäuschung darüber, dass wir die auslösende Katastrophe nicht geschildert bekommen (oder nachträglich den Grund dafür erfahren), noch größer.
Adr1ft verfolgt schlicht und ergreifend nur das Ziel, dass sich der Spieler isoliert und einsam fühlt. Dies gelingt zwar zu Beginn, dochnach einigen Stunden der Isolation sehne ich mich nach menschlichem Kontakt. Nicht, weil ich unbedingt zur Erde zurückkehren will – immerhin macht das Herumschweben schon einen gewissen Spaß – aber die ständigen Kontaktversuche von der Erde würde ich trotzdem gerne beantworten. Hier wird großes Potential verschenkt, das jüngst Firewatch deutlich besser zu nutzen verstand. Der Kontakt zu einem anderen Menschen muss schließlich nicht grundlegend dazu führen, dass das Gefühl der Isolation verloren geht. Im Gegenteil, denn die Kommunikation hätte die Entfernung noch stärker verdeutlicht. So bin ich dazu verdammt, ein paar Stunden im Schneckentempo herumzufliegen und sporadisch die F-Taste zu drücken, bis man mich nach Hause lässt.
Trotz all der Kritik bietet Adr1ft jedoch eine einzigartige Erfahrung, die nicht nur für Weltraumfreunde interessant ist. Die Texturen sind atemberaubend – und das liegt nicht am Leck meines Raumanzuges. Noch nie zuvor sah die Erde in irgendeinem Spiel so schön aus. Wenn man nach dem Sauerstoffupgrade größere Sprünge von einem Trümmerteil zum nächsten wagt und minutenlang durch die Leere schwebt, fällt der Blick unweigerlich zur Erde. Da sind wir. Das ist unser Zuhause. Keine Ländergrenzen, nur ein sehr verletzbarer Planet mit einer hauchdünnen Atmosphäre – alles photorealistisch darstellt und erlebbar. Man bekommt ein Gefühl dafür, was Astronauten als den “Overview-Effekt” beschreiben; ein Gefühl, das bei Anblick dieses irdischen Paradieses alle Kriege, Hungersnöte und Probleme der Menschheit so nichtig erscheinen lässt. Auch die Northstar IV selbst ist eine äußerst ansprechend gestaltete Raumstation, die zwar wenig einzigartige Details hat, jedoch durchaus in der ersten Begegnung eine realistische Zukunftsversion der Raumfahrt abbildet.
Im starken Kontrast zur Schönheit der Erde steht jedoch der spürbare Terror, der sich um einen herum entfaltet hat. Im Umgang mit gefährlichen Situationen und der ausgelösten Angst offenbart Adr1ft nämlich ein sehr selten angewendetes Konzept. Die meisten Videospiele konfrontieren ihre Spieler in Gefahrensituationen mit “Kampf oder Flucht”-Optionen und gestalten ihr Gameplay dementsprechend. Hier erwartet das Entwicklerteam jedoch von Spielerinnen und Spielern keine direkte Handlung. Er muss nur die eigene Angst tolerieren und den Druck, den diese außergewöhnliche Situation aufbaut, aushalten. Die Augen offenhalten, während man dem eigenen Tod in die selbigen schaut. In dieser völlig lebensfeindlichen Umgebung muss man die ständige Todesangst ausblenden und nach einer neuen Möglichkeit suchen, aus diesem Schlamassel zu entkommen. Adr1ft vermittelt diesen Kontrast wie kein zweites Spiel mit so eindrucksvollen und schönen Bildern. Leider muss man jedoch länger in dieser Welt verharren, als einem lieb ist. Aus der einmaligen Erfahrung musste unbedingt ein Spiel mit Aufgaben und Spielwegen entstehen, das einen gewissen Preis in der äußerst kunstfeindlichen Spielergemeinschaft rechtfertigt. Schade, denn manchmal ist weniger mehr.