Die innovative Idee von gestern ist das blutleere Abziehbild von morgen.
Mit “This Is Your Brain On Music” gelang dem Neurowissenschaftler Daniel J. Levitin 2006 ein ziemlich großer Wurf. Der populärwissenschaftliche Bestseller, der in 18 Sprachen übersetzt wurde und bis heute über eine Million Exemplare absetzen konnte, beschäftigt sich mit der Wirkung von Musik auf kognitive Prozesse und bietet in seinen Ausführungen der These Paroli, Musik wäre lediglich ein zufälliges Nebenprodukt der menschlichen Evolution. Levitin sieht Rhythmus, Harmonie, Klangfarbe und andere musikalische Komponenten jedoch eher als Katalysator selbiger an; wer sich mit Musik beschäftigt, fördert laut dem an der McGill University im kanadischen Montreal tätigen Forscher aktiv seine geistige und emotionale Gesundheit. Das Musikspiel Amplitude, das diesjährige Remake des Erfolgstitels der Rock Band-Schöpfer Harmonix aus dem Jahr 2003, ist die spielgewordene Entsprechung dieser Idee – und schleppt gleichzeitig allerlei Kinderkrankheiten mit sich herum.
Eine der zwei Hauptsäulen des Spiels ist der Story-Modus, der mich direkt ins Stutzen bringt. Ist das Nachspielen des musikalischen Aufstiegs einer Band in Rock Band oder Guitar Hero aus narrativer Sicht noch nachvollziehbar, wirkt die Prämisse von Amplitude etwas aus der Luft gegriffen. Im Spiel steuere ich einen futuristischen Gleiter, einen sogenannten Nano-Blaster, durch die Synapsen einer Komapatientin namens Mari, deren Hirnfunktionen durch meinen Einsatz wieder hergestellt und sie damit aus dem Koma geholt werden soll. Auf den verschiedenen Bahnen, die für verschiedene Instrumente, beispielsweise Bass, Synthies oder Vocals, stehen, befinden sich Noten in drei verschiedenen Lagen. Mittels Druck auf den korrespondierenden Button zur richtigen Zeit pulverisiere ich damit das jeweilige Instrument und hebe es aus dem im Hintergrund laufenden Song heraus. Reihe ich genügend erfolgreiche Abschüsse aneinander, löst sich die Bahn auf und ich muss mit dem Analog-Stick zur nächsten wechseln; gelingt mir das wiederum im perfekten Timing, bekomme ich einen Streak-Multiplikator, der in späteren Levels nötig wird, um Barrieren zu durchbrechen. Verpasse ich zu viele Noten, sinkt mein Energielevel, erreicht selbiges null, beginnt das Level von vorn.
Zeichnet sich Rock Band und selbst das Original von 2003 durch eine bunte Vielfalt an verwendeten Songs aus, muss man schon etwas mit elektronischer Club-Musik anfangen können, um mit dem Remake warm zu werden – und noch dazu ein Faible für zerhackstückte Beats haben, denn das Instrument, dessen Spur ich jeweils gerade bearbeite, übertönt die anderen deutlich. Besonders kurios: Die Texte der Songs mit Gesangspassagen passen thematisch zu den 15 Levels, die sich in drei Bereiche – präfrontaler Kortex, Temporallappen und limbisches System – mit je fünf Songs gliedern. Verstehen kann man diese aber nur, wenn man genau hinhört, und dann wird schon wieder der Wechsel auf die nächste Spur fällig.
Ist die Idee auch noch so interessant, krankt der Story-Modus letztlich an der Umsetzung. Denn um das Ende des Spiels zu sehen, muss man schon ein gutes Rhythmusgefühl und ein Quäntchen Glück mitbringen. Die Endsequenz wird nur freigeschaltet, wenn man in jedem Song einen bestimmten Rang erreicht und auch alle Bonus-Songs erfolgreich abschließt. Die Belohnung für den Aufwand ist allerdings mehr als mau. Punkten kann Amplitude dafür auf grafischer Ebene. Es blinkt, es glitzert in Neon-Farben, die Spielwelten sind fantasievoll gestaltet, aber leider bleibt in der generellen Hektik des Spielgeschehens nicht allzuviel Zeit, sich auf die farbenfrohe Umgebung einzulassen. Besonders chaotisch wird es im Multiplayer-Modus, in dem bis zu vier Spieler entweder in Teams oder einzeln den gleichen Song bespielen können und in dem sich die einzelnen Song-Puzzleteile auch endlich zu einem halbwegs hörbaren Ganzen zusammenfügen. Den Quickplay-Modus lasse ich allerdings links liegen. Denn obwohl dieser eigentlich die Kirsche auf dem Sahnehäubchen darstellt – die darin befindlichen, von Spielekomponisten wie Danny Baranowsky (Crypt Of The Necrodancer) oder Darren Korb (Bastion, Transistor) konzipierten Songs lassen sich durch das Absolvieren des Story-Modus freischalten – lässt die Motivation nach dem drögen Ende der Geschichte dann doch gehörig nach.
Ob es das Remake des Klassikers von 2003 wirklich gebraucht hätte? Harmonix und über 14.000 Kickstarter-Unterstützer sind sich sicher. Zwar ist der Synapsen-Ritt durchaus kurzweilig, aber ansonsten auch einfach nur ersteres: kurz. Nach maximal zwei bis drei Stunden sieht man den Abspann des Story-Modus über den Bildschirm flimmern, dessen Substanz weder interessante Wendungen, noch wirkliche Details zum Hintergrund des ganzen Vorhabens zu bieten hat. Mit rhythmusbegabten Freunden hat man sicher noch etwas länger Spaß an Amplitude, greift aber vielleicht doch besser zum Original.