Blast from the Past: Pokémon Rot & Blau

Blast from the Past: Pokémon Rot & Blau

Als Ende der Neunziger Jahre Pokémon Rot und Blau erschienen, markierten sie nicht nur den Startpunkt für ein Multi-Milliarden-Dollar-Franchise – sondern auch für meine Liebe zu RPGs. Mein achtjähriges Ich war fasziniert von der Mischung aus Abenteuer, Erkundungstouren, strategischen Kämpfen und dem Sammeln niedlicher kleiner Monster. Mein Game Boy wurde zu meinem ständigen Begleiter. Als kleine Pixelfigur kämpfte ich mich durch Kanto, fing fleißig Pokémon, trainierte sie – und besiegte so Team Rocket, alle Arenaleiter, die Top Vier und schließlich meinen Erzrivalen, den ich ganz im Vorbild der Anime-Serie Gary getauft hatte.

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Schaut man aus heutiger Perspektive auf die ersten Pokémon-Spiele zurück, fällt es schwer, diese Faszination nachzuvollziehen. Die Geschichte war simpel, das Gameplay nicht besonders komplex. Und es gab deutlich anspruchsvollere RPGs für den Game Boy. Selbst die aktuellen Pokémon-Spiele versuchen im Vergleich zur ersten Generation zumindest etwas Komplexität in die Story zu bringen. Mit Team Flare besitzt Pokémon X und Y beispielsweise eine Organisation als Antagonisten, die nicht einfach aus Habgier Pokémon stiehlt – sondern den Plan verfolgt, eine in ihren Augen korrupte Welt zu zerstören, um eine bessere neu aufzubauen. Zumindest im Ansatz werden hier die Grenzen zwischen Gut und Böse verwischt.

Warum waren also so viele Kinder von Pokémon Rot und Blau fasziniert – und erinnern sich, mich eingeschlossen, auch heute noch gerne daran? Die Antwort ist meiner Meinung nach simpel: Beinahe jeder hat es gespielt. In den Klassenräumen, auf dem Schulhof, auf dem Heimweg, Pokémon war überall. Und alle haben darüber geredet. Wir diskutierten über den MissingNo-Trick und ob er tatsächlich das Spiel kaputt macht, über geheime Dungeons und wo man sie finden kann oder über wilde Theorien, wie man angeblich Mew fängt. Auf dem Schulhof entstand eine Art Community, ganz ohne Internet.

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Hinzukam der Tauschaspekt von Pokémon Rot und Blau. Wollte man seinen Pokédex vervollständigen, musste man früher oder später per Linkkabel mit anderen Spielern Pokémon tauschen. Ob perfider Marketingtrick, um mehr Einheiten zu verkaufen, oder durchdachtes Mehrspielerfeature – in Rot und Blau gab es jeweils Wesen, die man in der anderen Edition nicht fangen konnte. Wer also seinen Spielstand zu 100 Prozent komplettieren wollte, hatte keine Wahl, als sich der Pokémon-Community zumindest für ein paar Minuten anzuschließen. Pokémon hat man nicht nur alleine, sondern gemeinsam gespielt.

Erinnere ich mich an Pokémon, erinnere ich mich an spannende Arenenkämpfe, knifflige Rätselpassagen und den Moment, als ich in der Azuria-Höhle plötzlich Mewtu gegenüberstand und keinen Masterball hatte. Aber ich erinnere mich genauso gut an lange Diskussionen mit Schulkameraden, welches Starter-Pokémon nun das stärkste ist. Oder an Nachmittage, an denen wir Pokémon hin und her getauscht haben, und an die Freude, wenn man dank der Hilfe seiner Freunde endlich den Pokédex vervollständigt hat.arktos_gen_1

Im Laufe der Zeit ließ die Begeisterung nach. Es gab keine neuen Herausforderungen mehr zu bewältigen, keine neuen Geheimnisse zu lüften. Mein kleines Schiggy war nun zu einem unbesiegbaren Turtok Level 100 herangewachsen. Irgendwann geht jeder Hype zu Ende, so auch der um Pokémon Rot und Blau. Meinen Speicherstand wollte ich nicht aufgeben und habe nie ein neues Spiel angefangen. Vor einigen Jahren fiel mir meine alte Version von Pokémon Rot in die Hände. Voller Nostalgie steckte ich sie in einen Game Boy, schaltete ihn ein – und enttäuschende Leere. Die im Modul integrierte Batterie war leer, meine Pokémon und Errungenschaften fort. Ich war perplex, traurig und fühlte mich um ein Stück Kindheit beraubt. Aber mit der Zeit wurde mir klar: Auch wenn der Speicherstand weg ist – die Erinnerungen an damals bleiben. Genau wie die Faszination für RPGs.


Aufgewachsen in den Neunzigern begann Sarah Pützers Enthusiasmus für digitale Abenteuer mit der damals obligatorischen Mischung aus Game Boy und Super Mario Land. Inzwischen gefallen ihr virtuelle Spielewelten am liebsten, wenn sie schön erzählt oder schön anzusehen sind, am liebsten beides. Daran ist ihr Masterstudium in Vergleichende Literatur- und Kunstwissenschaften nicht ganz unschuldig.