Blast from the Past: Shining Force

Blast from the Past: Shining Force

Mein Vater hatte immer die cooleren Sachen. Ich glaube, das ist eine Erfahrung von Scheidungskindern, über die kaum jemand spricht: Wenn die Väter ausziehen, füllen sie die Leere in ihrer Wohnung (wollte ich kitschig werden, ich könnte schreiben: und die Leere in ihren Herzen, aber die Sache ist ja immer komplizierter als das) mit klasse Spielkram.

Mein Vater, beispielsweise, kaufte sich eine Carrera-Bahn und einen Sega Mega Drive, als wir zuhause kaum einen CD-Player hatten. Ich erinnere mich vor allem an drei Spiele: Altered Beast, ein eigenartig surreales Beat ’em up in mehr oder weniger altgriechischem Setting, in dem man sich immer mal wieder in Drachen und Werwölfe und so etwas verwandelte. Ich erinnere mich an Eternal Champions, ein nach wie vor stark unterschätztes Spiel, das im Fahrwasser von Street Fighter II und Mortal Kombat erschien und gegen die beiden Platzhirsche leider nie eine Chance hatte. Und er besaß Shining Force.

Runden? Geschichten? Viele Figuren? Ein eigenartiges Spiel.

Altered Beast schien – wie es damals guter Brauch war – auf lange Sicht für uns zwei Wochendspieler unlösbar. Eternal Champions machte Spaß, aber man kann ja nur für eine bestimmte Zeit aufeinander einkloppen, bevor es langweilig wird.

Shining Force war… anders. Ich war damals vertraut mit Platformern – Commander Keen, Super Mario – Beat ’em ups waren von da aus nicht schwer zu verstehen, Mortal Kombat spielten wir sowieso ständig, genau wie Doom. Shining Force passte da nirgends rein, selbst, wenn man noch Monkey Island dazurechnete. Ein eigenartiges Spiel war das, nach meinen damaligen Standards. Es gab nicht nur eine Figur, man musste gleich mit 12 davon klarkommen, und die konnte man auch noch aus einem Pool von viel mehr Figuren rekrutieren. Man musste warten, bis man dran war. Man musste Figuren hochleveln. Man musste taktisch denken, und diese komischen Quadrate — das erinnerte irgendwie an ein Brettspiel.

Shining Force

Schlachtpläne

Tatsächlich dürfte ich nicht der Einzige gewesen sein, der sich das so dachte. Shining Force war eines der ersten rundenbasierten Strategie-Rollenspiele, die außerhalb Japans vertrieben wurden, und wird oft als Wegbereiter des Genres genannt. Heute ist es eines der meistgesuchen Spiele, die kein Mensch kennt und kaum jemand gespielt hat. Wir – mein Vater und ich – spielten es. Wir spielten – excuse my french – die Scheiße aus dem Spiel. Wir sprachen noch mit dem letzten, in irgendeinem Keller versteckten NPC, wir fanden jede Figur, die bereit war, mit uns den Dark Dragon zu killen, wir entwarfen Schlachtpläne und unterhielten uns über die besten Strategien und Kämpferaufstellungen für die großen Schlachten gegen das Laserauge oder den Herrn der Dunkelheit, Dark Dragon, selbst. Wir wägten die Vorteile der unterschiedlichen Heiler, Zauberer und Axtkämpfer gegeneinander ab (mein Vater ging dabei, übrigens, immer gerne offensiv vor und spielte mit wenigen Bogenschützen und Zauberern, ich hatte immer eher zwei, drei Figuren, die meine erste Reihe sicherten und versteckte dahinter alles, was zwar nichts aushielt, dafür aber Gegner super wegpusten konnte).

Shining Force

Shine on, du verrückter Diamant

Spieler, sagte mir einmal ein kluger Mensch, suchen wieder nach ihrer ersten Spielerfahrung, nach dieser ersten Erleuchtung, wenn sie ein Spiel spielen, und es plötzlich klick macht, dieses eine Spiel, das völlig unvorbereitet das beste Spiel aller Zeiten wird. Für mich begründete Shining Force eine bis jetzt andauernde Liebe zu strategischen Rollenspielen (als Baldur’s Gate herauskam, war ich für ein paar Wochen nicht ansprechbar), zu Steampunk, vor allem aber zeigte es mir – und zeigt mir heute noch, dass digitale Spiele mit einfachen Mitteln epische Geschichten erzählen und Figuren ausformulieren können. Tatsächlich spiele ich bis heute RPGs vor allem wegen der Geschichten, und wenn es gut läuft – wie in Shining Force – verliere ich irgendwann mein Herz so sehr an die Figuren, dass ich sauer verdientes digitales Geld ausgebe, nur im sie von den Toten zurückzuholen, auch wenn ich sie danach nie mehr in meiner aktiven Truppe habe.

Bleibt mir noch zu sagen: Luke, Gort, Ken, Mae, Domingo und ihr anderen: Dieser Text ist für euch. Und für all die Väter, die die Leere mit coolen Dingen füllen.


In der Serie Blast from the Past berichten Superlevel-Autorinnen und -Autoren sowie gelandene Gäste über prägende Spiele und Spielerlebnisse aus der Kindheit und Jugend.

Jan Fischer studierte Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus. Er schreibt unter anderem hier, dort, früher hier, und sammelt das alles hier. Außerdem ist er international bekannter Luftgitarrist und Herausgeber eines Buches dazu.