Day of the Tentacle Remastered: Zeitreise in der Videospielgeschichte
Der Vater, die Mutter und der komisch riechende Onkel
der modernen Nerd-Adventures im neuen Feiertagsgewand.
Wenn man einen Spieleklassiker wie Day of the Tentacle überarbeitet und neuveröffentlicht, kann man damit zwei Gruppen ansprechen wollen: jene, die damals bereits das Spiel liebten und ihre Sentimentalität mit einer den modernen Standards weitmöglichst angepassten Version ausleben wollen, und jene, die das Spiel bei der ersten Veröffentlichung aus verschiedensten Gründen nicht gespielt haben und sich womöglich nicht auf den damaligen Standard einlassen können oder wollen. Im Zweifel versucht man beide Gruppen zu erreichen.
Die Geschichte des mutierten Purpur-Tentakels wurde erstmals 1993 erzählt – damals war ich drei Jahre alt. Das Original habe ich entsprechend verpasst und auch später hat es nie den Weg auf meine „Muss ich unbedingt noch spielen“-Liste geschafft. Bis vor wenigen Wochen wusste ich nicht einmal, dass Day of the Tentacle existiert. Ich war also das perfekte Versuchskaninchen, um herauszufinden, ob die aufgehübschte Neuauflage des Spiels – Day of the Tentacle Remastered – auch die zweite Zielgruppe erreicht (Empirie wird überbewertet). Das ist in meinem Fall nur teilweise gelungen.
Das Design des Spiels wirkt auf mich wie die Blaupause für weite Teile der kommerziellen „Nerdkultur“, wie ich sie kenne: bunt, überstilisierte Proportionen, charmant überzeichnete Charaktere. Der Humor schwankt zwischen wirklich clever und grenzenlos stumpf. Die Idee, dass Purpur-Tentakel nun, da ihm dank giftmüllverschmutztem Wasser Arme gewachsen sind, die Weltherrschaft an sich reißen möchte und drei Freunde, die zwar alle nur denkbaren Klischees erfüllen, aber dennoch irgendwie sympathisch sind, ihn nun völlig plan- und ahnungslos stoppen sollen, unterstützt von einem naiven Grün-Tentakel und einem absurd verschrobenen Dr. Fred, scheint dem Bausatz „Erfolgreiche Nerd-Geschichte I“ entsprungen. Jetzt aber nicht die Selbstironie und die Popkulturreferenzen vergessen, um auch „den Rest“ anzusprechen!
Das ist in Ordnung, denn das funktioniert. Mein Problem mit dem Spiel beruht eher darauf, dass ich verwöhnt bin. Zum einen bin ich zwar durchaus bereit dazu, „unlogische“ Rätsel zu lösen, möchte aber bitte nicht stundenlang scheitern und meine eigene Dummheit beziehungsweise fehlende Auffassungsgabe in strahlenden Farben vor mir her paradiert bekommen. Zum anderen ist mir das Spiel einfach zu dünn. Im Endeffekt baue ich eine Batterie, kaufe einen Diamanten, stecke zwei Stecker in Steckdosen und spiele eine Runde Bowling. Dazwischen klickte ich mich durch das Spiel und schaue, was passiert und ob das, was passiert, mich zufällig weiterbringt. Die Zwischensequenzen sind rar und haben wenig Inhalt. Wo bleibt die Handlung? Der gefühlte Zeitdruck? Besteht das Spiel wirklich nur aus Humor und der (zugegebenermaßen gelungen umgesetzten) Idee, dass meine Handlungen in der Vergangenheit meine Möglichkeiten in der jeweils relativen Zukunft beeinflussen? Bis kurz vor Ende des Spiels habe ich darauf gewartet, dass das Spiel jetzt endlich richtig losgeht. Rational war ich mir dessen bewusst, dass die teils ausufernden Erzählungen, die ich gewohnt bin, auch auf die Weiterentwicklungen im Bereich Speichermedium zurückzuführen sind. Eine eindrucksvolle Präsentation braucht eben mehr als eine Handvoll Disketten. Emotional jedoch dürstete es mir nach mehr.
Soweit ich das sehe, war ein wesentlicher Faktor für den Erfolg des Spiels, dass seine Rätsel schwer waren. Freunde von mir, die es damals gespielt hatten, berichteten mir von Wochen, in denen sie nicht auf die Idee kamen, eine Tür zu schließen und daher nicht weiterkamen. Teilweise machte ich mir da Sorgen, ob die Euphorie, die meine Freunde dennoch für das Spiel empfanden, nicht vielleicht auf ein ausgeprägtes Stockholm-Syndrom zurückzuführen war. Jeder litt und tüftelte – dieses Schicksal verband die Spielergeneration. Wer ein Rätsel letztlich löste, war ein Held, den man ehrfürchtig um Tipps bat oder aus der Ferne bewunderte. Als ich Day of the Tentacle Remastered spielte, musste ich mir daher eine Frage stellen, die unter Spielern immer auch mit ein bisschen Scham verbunden ist: bin ich ein Casual-Gamer? Ich wusste vorher, dass mir eine gut erzählte Geschichte oder wenigstens mitreißende Action sowie eine ansprechende Grafik (wobei Day of the Tentacle letzteres erfüllt) wichtig sind. Ich hatte allerdings bisher nicht bemerkt, wie festgelegt ich mittlerweile auf meine eigene Erwartungshaltung bin.
Dabei konnte ich abstrakt sogar nachvollziehen, warum Day of the Tentacle Remastered so erfolgreich ist. Objektiv betrachtet kann man ein Spiel wohl kaum liebevoller restaurieren. Der Spieler kann zwischen alter und neuer Version wechseln und dies für Menüs, Grafik und Musik getrennt auswählen. Ansonsten wurden strikt die alten Inhalte beibehalten: alle Szenen sind gleich, kein einziger Satz wurde neu eingesprochen – allein die Musik wurde neu aufgenommen. Das bedeutet übrigens auch, dass jemand sich die Mühe gemacht hat, die Originalaufnahmen eine nach der anderen anzuhören, um durch Vergleich mit der alten Spieleversion die richtige Aufnahme zu finden, teilweise zusammenzuschneiden und in besserer Qualität einzuarbeiten – eine Aufgabe, für die man eine ziemliche Leidenschaft sowie eine unglaubliche Geduld, die ich jedenfalls nicht hätte, mitbringen muss. Die Grafik orientiert sich an den Originalzeichnungen, deren Einfachheit auf die damaligen Möglichkeiten zurückzuführen war. Auf nachträglich ergänzte Details wurde verzichtet. Mehr kann man sich als Fan kaum wünschen.
Es liegt folglich in Teilen nicht am Spiel, es liegt an mir. Ein Satz, der am Beziehungsende schon unangenehm ist und für den ich mich auch wirklich schäme. Was damals gut funktionierte, genügt mir im Vergleich nicht. Sowohl der Erzählstil als auch die Spielmechanik selbst sind in ihrer Form überholt. Da ich jedoch mehr gewohnt bin als das, das Day of the Tentacle Remastered nun bietet, fiel es zumindest mir schwer, die sentimentale Begeisterung eingefleischter Fans nachzuvollziehen. Vermutlich wird es der nächsten Generation der Spieler mit so manch einem meiner Favoriten ähnlich gehen. Und vielleicht ist das auch gut so. Das Schöne an Spielen ist doch, dass wir immer wieder von neuen Titeln überrascht werden. Der Blick nach vorne macht mir daher mehr Spaß, als diese Zeitreise in die Spielevergangenheit es tat. Ich hoffe aber, wir können Freunde bleiben.
Wir verschenken einen Steamcode für Day of the Tentacle Remastered. Um an der Verlosung teilzunehmen, müsst ihr uns im Kommentarbereich folgende Frage beantworten: Bei welchem Spiel habt ihr schon einmal stockholmsyndromähnliche Gefühle entwickelt und es (gegen alle Vernunft) geliebt? Einsendeschluss ist der 14.04.2016, 23:59 Uhr. Benutze Mittelfinger mit Rechtsweg.