Der Spanier Locomalito hat ein Gespür für Nostalgie.
Seit 10 Jahren veröffentlicht er kostenlose Retrospiele.
Wer regelmäßig zu Gast bei Superlevel ist, wird hier schon einmal den Namen Locomalito gelesen haben. Acht seiner Spiele fanden in den letzten fünf Jahren ihren Weg auf unsere Seite. Das ist kein Zufall, denn der Spanier bedient genau die Nische, in der auch wir uns bewegen. Sein Schaffen ist geprägt von authentisch inszenierten Retrospielen und einer beispiellosen Hingabe für seine Leidenschaft.
Über ein Dutzend Spiele hat er über die letzten Jahre veröffentlicht. Jedes davon ist eine Liebeserklärung an eine vergangene Ära. “Ich vertiefe mich in Dinge, die ich liebe. Es ist leicht, so einen Nachmittag zu verbringen, Fotos anzuschauen, zu lesen, alte Filme zu schauen. Und manchmal fühlt es sich das wirklich wie Archäologie an.”
“There are many cool things about the arcade culture that home systems can’t achieve”
Locomalito wuchs Ende der 80er-Jahre in Spanien auf. Das goldene Zeitalter der Arcadehallen neigte sich gerade seinem Ende zu und so verbrachte er seine Zeit an den Automaten von Shinobi, Double Dragon und OutRun. Es ist eine Zeit, die sein Schaffen bis heute prägt. Jedes seiner eigenen Spiele blickt wie mit einer Lupe auf diese Zeit zurück. Einmal habe er eine Liste seiner Lieblingsspiele erstellt, die auf über 1000 Einträge kam. Darunter befinden sich Klassiker wie Turrican und R-Type, aber auch eher obskures wie Monster Maulers und Chelnov.
“Ich bin stets mit all meinen Lieblingssystemen im Kontakt geblieben, meistens über Emulatoren, aber auch durch ein paar erhaltene Maschinen.” Dass Locomalito nie nur einem System die Treue gehalten hat, spiegelt sich in der Vielfalt seiner eigenen Spiele wieder. Jedes wirkt wie ein Blick auf eine andere Ära, ein anderes Genre, einen anderen Stil. “Ich imitiere die alten Systeme nicht vollständig, aber versuche nah dran zu sein. Das Gefühl muss dasselbe sein – mit dem Vorbehalt, einige unschöne Limitierungen ausbessern zu können.”
Was bei Spielen wie Shovel Knight gelobt wird, gelingt Locomalito mit jedem einzelnen seiner Titel: Es sind Spiele, die sich anfühlen wie damals. Aber es ist keine rein oberflächliche Nostalgie. Stattdessen destilliert er die romantisierte Erinnerung und modernisiert sie fast unsichtbar dort, wo es nötig ist. Seine Detailverliebtheit beschränkt sich nicht auf die Grafik und den Sound. DVD-Covers und Anleitungshefte, Trailer mit Stop-Motion-Animationen und Making-ofs.
“Es gibt bestimmte Farben, Kontraste und Sounds, die in dieser Kombination aus Pixelart und Chiptune ganz besonders charmant sind. Ich mag die Farbpaletten und technischen Einschränkungen, während Gryzor87 die Soundchips liebt.” Gryzor87 ist das Pseudonym seines guten Freundes, der für die Musik zuständig ist. Während eines Projekts treffen die beiden sich immer wieder zum Spielen und tauschen Ideen und Inspirationsquellen aus. Filme, Bücher, Bilder.
“Die Ideen kommen wie sie kommen… nach einem Spiel, einer Reise, einem Film, einem Gespräch oder einfach mitten in der Nacht.” Dafür liegen stets Notizbuch und Stift neben seinem Bett bereit, um Skizzen für ein Spiel zu planen, bevor das Licht ausgeht. “Wenn ich eine Idee im Kopf habe, zeichne ich zur Erinnerung einen Screenshot.” Erst wenn ein Motiv sich oft genug wiederholt, eine Idee immer wieder auftaucht, wird der PC eingeschaltet. Dort entsteht ein weiterer falscher Screenshot – diesmal als digitale Pixel Art. Und nur wenn dieser das Gefühl auslöst, das bewegte Spiel dahinter sehen zu wollen, beginnt die wirkliche Arbeit in GameMaker und Icon XP.
“There are as many ways to style a video game as artistic expressions, but only Pixel Art and Chiptune is born from video games themselves”
Jedes neue Projekt erhält einen Slogan, ein ausgedachtes Genre, das die zentrale Idee auf den Punkt bringt. Hydorah ist ein “Weltraum-Fantasy-Abenteuer” und Viriax “medizinischer Arcade-Horror”. So hebt sich jedes Spiel von den anderen ab – auch wenn alle dreizehn auf seiner Webseite veröffentlichten Titel in die Kategorie “Retro” fallen. Eins seiner ersten Spiele wurde auch sein schwerstes: Hydorah. “Es ist das Spiel, von dem ich als Kind geträumt habe. Damals war es für mich völlig unmöglich, so etwas zu machen.” Aber er versuchte es trotzdem. “Ich habe drei Jahre harter Arbeit reingesteckt, während ich mich noch mit den Problemen in meinem echten Leben beschäftigen musste. Manchmal war es wirklich hart.”
Die Umsetzung seines Kindheitstraums hat Locomalito auch viel über seine eigenen Grenzen beigebracht, über die Balance zwischen Familie, Arbeit und Spielen. “Ich habe einen kleinen Raum für mich selbst geschaffen, wo mir niemand Druck machen kann. Ich mache die Spiele, die ich mir als Kind vorgestellt habe… während ich selbst spiele, auf kleiner Flamme, eine Sache am Tag und nur wenn ich die Energie dazu habe.”
“Making this game was my childhood dream. Its development almost took my sanity, but in the end I did it!”
Wenn er keine Spiele macht, arbeitet Locomalito in einer Designagentur. “Der Job ist gut, ich arbeite mit Leuten, die ich bewundere. Aber Auftragsarbeiten, auch wenn es eine kreative Arbeit ist, wird manchmal eintönig. Dann musst du deinen eigenen Kram machen, um mit dem Herz bei der Sache zu bleiben.” Es wirkt so, als wären Spiele nur sein Hobby, eine Freizeitbeschäftigung. Aber sein Geld mit etwas anderem zu verdienen gibt ihm genau die Freiheit, die er in der Spieleentwicklung sucht. “Es sind meine eigenen Hände, nicht die Werkzeuge von jemand anderem. Ich behalte meinen Job, damit ich mir keine Sorgen über irgendwelche Zahlen machen muss. Ich mache, worauf ich Lust habe, nach meinen eigenen Regeln.”
Auch die Art der Veröffentlichung macht deutlich, dass Locomalito nicht von, sondern für seine Spiele lebt. Jedes lässt sich kostenlos auf seiner Webseite herunterladen. Dabei würden sich die Retrospiele mit ihrer detailverliebten Grafik und dem forderndem Gameplay gut auf den digitalen Ladentheken machen, fallen sie doch genau in einen seit Jahren anhaltenden Trend. “Sie mit anderen zu Teilen macht es so schön. Es ist so einfach ein Spiel zu veröffentlichen und für die Leute ist es einfach, sie herunterzuladen – ohne Werbung oder so einen Scheiß. Bezahlte Spiele sind für viele ein Privileg, aber so kann ich sie dennoch erreichen.”
“Ten years has passed since I started this project, but I keep making and sharing my games in the wild of my own page for some crazy reasons.”
Ein weiterer Grund ist ganz pragmatisch: die Steuern wären so hoch, dass sich ein Verkauf über ein “Bezahl-was-du-willst”-Modell nicht lohnen würde. Die gelegentlichen Spenden sind zwar nicht mehr als ein Trinkgeld, ersparen ihm aber die ansonsten notwendige Bürokratie. Genaue Downloadzahlen kennt er nicht, da seine Spiele durch ihre freien Lizenzen auch auf anderen Servern gespiegelt werden können. Aber die Messbarkeit seines Erfolgs ist ihm ohnehin völlig egal. Wichtiger sind Erfahrungen der Leute, die sie spielen, “wie sie sich bei jedem Level und jedem Boss fühlen, wie sie sich fühlen, nachdem sie ihn besiegt haben. Das ist die Art von Feedback, wegen der ich weitermache.”
Eine Plattform wie die Xbox ist das Gegenteil der Freeware-Philosophie. “Es gibt vieles, das mich bisher von den großen Konsolen abgehalten hat, auch wenn ich immer wieder danach gefragt wurde.” Mit der Hilfe des Publishers Abbylight hat er diese Hürde überwunden, um das 2012 erschienene Maldita Castilla auf die Xbox One zu portieren. Eine Veröffentlichung auf Steam wird folgen. Die kostenlose Version bleibt trotzdem verfügbar, auch wenn sie eigentlich eine Konkurrenz darstellen sollte.
Gryzor87 und Locomalito, die Menschen hinter den Pseudonymen.
Seine Herangehensweise an die Spieleentwicklung hat das bisher nicht verändert. “Ich werde weiter Spiele in meiner Freizeit machen, also muss ich mir auch keine Gedanken über Verkäufe machen, oder ob sie bei den Leuten ankommen. Aber wenn es gut läuft, habe ich größere Mittel für meine nächsten Projekte. Und ich arbeite bereits an einem weiteren, kleinen Freeware-Spiel…”