Ludum Dare #23 – Reportage Teil 4/7

Ludum Dare #23 - Reportage

Ludum Dare #23 – Reportage Teil 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7

Ich heiße euch willkommen, Leserschaft von Superlevel!

Seit Freitag spiele und schreibe ich nun gut zwei Drittel der Zeit. 800 Spiele fanden bereits ihren Weg auf meinen Monitor, auf den ich mal gelangweilt, mal gebannt starrte. Heute feiere ich das Bergfest dieser Reportage: Über die Hälfte der Spiele sind getestet. Die erste Hälfte habe ich hinter mir, eine andere wartet noch. Ein Anfang, ein Ende – zwei Teile.

Das Wort “Teil” finde ich ebenfalls faszinierend. Er ist für mich undefinierbar. Was ist das schon: Ein Teil. Ist ein Teil nur ein einzelnes Fragment eines großen Systems? Lässt es sich einfach so von seinem Kontext abkoppeln, kann es für sich alleine stehen? Es heißt, dass das Ganze mehr als nur die Summe seiner Teile sei. Aber was bedeutet es dann, Teil von etwas zu sein, teilzunehmen, teilzuhaben? Sechs Spiele aus dem letzten Testdurchlauf treffen ihre eigenen Aussagen dazu. Eins davon ist mir darüber hinaus behilflich die Antwort auf eine ganz persönliche Frage zu finden: Was tue ich hier überhaupt?


Zur Essenz des Genres

A Super Mario Summary
(A Super Mario Summary)

Der legendäre Nintendo-Klempner Super Mario ist nicht nur innerhalb des Dunstkreises der Hardcore-VideospielerInnen einen Begriff, sondern im Laufe der Jahrzehnte zu einer Pop-Ikone mutiert. Für viele stellen die Spiele rund um den dicklichen Pilznascher so etwas wie die Quintessenz des Jump’n’Run- und Plattformer-Genres dar: Rennen, auf Plattformen springen, ab und ein auf einen Gegner hüpfen, Punkte einsammeln, möglichst unbeschadet zu einem Endpunkt kommen, und schon ist die ganze Sache gegessen. A Super Mario Summary scheint diese Vermutung zu bestätigen. In leicht veränderter Indie-Ästhetik wird uns eine auf das level- wie spieltechnische Minimum reduzierte Kopie von Super Mario Bros. präsentiert. Einerseits ist das mittlerweile über zweieinhalb Jahrzehnte alte Spiel hier komplett wiedererkennbar, aber auch das Plattformer-Genre an sich. Befreit von sämtlichen Schnörkeleien wie dem Unbesiegbarkeitsstern oder dem Instant-Wachstumsschub durch den Pilzverzehr, wird das Spielerlebnis selbst nur durch das Rennen, Springen, Überwinden von Hindernissen und das erfolgreiche Ankommen an einem Endpunkt erzeugt. All diese zusätzlichen Features mögen zwar das Erlebnis des Spiels positiv oder negativ beeinflussen, aber sind noch längst nicht dessen Kern. Sie wirken wie überflüssige Teile, die abgestreift werden müssen, um zur Essenz des Genres, aber auch des digitalen Spiels, an sich zu gelangen.

Dabei muss man allerdings präzisieren, was das erfolgreiche Ankommen genau meint. Zu verlockend erscheint die Annahme, dass die Spielfigur möglichst nicht sterben darf – sie muss am Leben erhalten werden, ein lebendiger Teil bleiben. Der Plattformer Crysthurl aber bescheinigt das Gegenteil: Der Tod des digitalen Stellvertreters wird zu einem grundlegenden Faktor der gesamten Spielmechanik. Hierbei spielt man ein winziges, dafür übermäßig starkes Wesen, das einen Block über den Kopf trägt und diesen an für die Lösung des Raumrätsels wichtige Stelle werfen kann. Doch ein Block alleine ist dafür nicht genug. Der Mini-Charakter muss in die Klippe in den sicheren Tod springen, damit er sich mitsamt einem weiteren neuen Block reproduzieren kann. Repetitiv steuern die SpielerInnen das kleine Wesen so, dass es wirft und stirbt, wirft und stirbt, wirft und stirbt – ein ewiger Kreislauf, bis man an das Ende gelangt. Crysthurl zeigt damit auf, dass abzählbare Leben oder Energiepunkte kein Grundbestandteil des Plattformers an und für sich sind. Das Herunterbrechen auf diese elementaren Teile, auf die Essenz, wird so für die SpielerInnen selbst erfahrbar gemacht.

Crysthurl
(Crysthurl)

Im Einklang mit der Umgebung

Boxed in

Doch gibt es so eine Essenz auch für das digitale Spiel an und für sich? Der Computerspieltheoretiker Jesper Juul schrieb dazu (in einem sehr empfehlenswerten Sammelband), dass es auf jeden Fall ein regelgebundenes System sei. Die SpielerInnen begeben sich damit in ein Regelsystem, das sie annehmen müssen. Sobald man spielt, partizipiert man an diesem System, um ein Teil dessen zu werden. Auch die Steuerung selbst ist insofern ein Regelsystem, als dass man seine eigene Figur in manchen Spielen nur nach links oder rechts laufen, aber nicht springen, fliegen oder durch den Boden graben lassen kann. Es wird den SpielerInnen einfach eine äußere Umgebung präsentiert, die festgelegt ist und nicht mehr geändert werden kann. In Boxed in wird diese Struktur aber insofern aufgebrochen, als dass man nicht eine einzelne Figur bewegt, sondern auch die Umgebung mitsteuern muss. Indem man die das Level (und damit auch die kleine Pixelfigur am Rande) enthaltene Box auch nach links, rechts, oben und unten schütteln kann, verändert man die physikalischen Gesetze darin. So werden die SpielerInnen gezwungen, gleich zwei Steuerungsebenen zu bedienen.

Inside My Radio
(Inside My Radio)

Das Spiel Inside My Radio hingegen setzt auf die bewährte Schiene einer nicht-steuerbaren Raumphysik, bindet aber alle Bewegungen der Spielfigur (von nach links und rechts gehen abgesehen) zusätzlich an einen weiteren, selten dazu verwendeten Faktor: Den Hintergrundsongs. Die SpielerInnen können den kleinen, grünen Kopfhörerklumpen nur auf Flächen springen oder blitzschnell zu einer Seite rasen lassen, wenn sie die Tasteneingaben genau an die Beats anpassen. Was zum Anfang nur holprig gelingen wollte, wird schnell zu einer reinen Gewohnheit. Im wortwörtlichen Sinne begibt man sich so in einen Einklang mit der Umgebung. Das scheinbar obskure Regelsystem wird für eine kurze Zeit zu einem natürlichen Teil der SpielerInnen.

Ich

Memento XII
(Memento XII)

Doch das Anpassen an Strukturen sämtlicher Art ist ein potenziell flüchtiger Moment, der nach langer Zeit vergessen werden kann. Was macht die Persönlichkeit eines Menschen und seine Identität also aus? Welche Teile gehören zum Menschsein? Das fantastische Adventure Memento XII greift genau diese Frage auf. Hier erwacht ein Greis in seiner Gefängniszelle bereits zum 4380. Mal. Seit zwölf Jahren besteht sein Leben aus einer reinen Routine. Auf einmal wird er auf drei zerrissene Teile einer Fotografie aufmerksam, die eine Frau namens Lydia zeigt. Die Spielumgebung wandelt sich plötzlich in einen hellen, warm leuchtenden Wohnraum um, in dem sich weitere Erinnerungsstücke an die Vergangenheit des Protagonisten finden lassen. Erinnerungen erweisen sich dabei nicht nur als die narrative Grundlage von Memento XII, um dem Charakter eine gewisse Vorgeschichte aufzubauen, sondern zeigen ihre eigene Relevanz in Bezug auf den Aufbau einer menschlichen Identität. Ohne das Wissen um die Vergangenheit kann niemand erkennen, wer er ist und was er warum tut. Das hier nicht weiter erläuterte Ende von Memento XII reicht den SpielerInnen diese Erkenntnis auf eine sehr harte, tragisch wunderbare Weise weiter.

Flyspeck
(Flyspeck)

Projiziert man diese Frage nach dem eigenen Ich auf sich selbst zurück, so muss man sich also fragen, was man getan hat; aber auch warum. Diese Frage stelle ich mir auch selbst bei dieser Reportage. Ich bin auf ein kurzes Adventure namens Flyspeck gestoßen, in dem als Nebencharakter eine kleine Katze namens Kitteh auftritt. Kitteh stellt tiefgründige, existenzielle Fragen, eben auch die, die schon im Bild ersichtlich wird: „„Are there fixed and accepted standards for judging artistic experiences or is art is best left to relative assesment?“ Ich musste bei diesem Satz schmunzeln. Diese Reportage kann tatsächlich von außen so ähnlich wirken, nämlich wie die Bewertung von digitalen Spielen als künstlerische Endprodukte.

Aber dem ist nicht so. Was ich hier mache, ist nicht etwa die Suche nach akzeptierten, objektiven Standards. Alles ist höchstgradig subjektiv. Ich versuche die besonders wichtigen Erfahrungen, die ich mit einigen wenigen Spielen mache, in einen Beitrag zu bündeln und euch, der Leserschaft, zukommen zu lassen. Es ist das Reichen einer Hand zu dem viel weitergehenden Potenzial dieses vergleichsweise jungen Mediums. Es sind Berichte über die Lebendigkeit, die darin schlummert. Digitale Spiele sind nicht nur einfache Unterhaltungsprodukte. Digitale Spiele können uns emotional und körperlich an sie koppeln, Wissen über die Struktur von Systemen und Ereignissen vermitteln, unser Bewusstsein erweitern. Man darf nicht zulassen, dass sie objektiven Bewertungskriterien wie fünf Sternchen für Grafik, Sound und Gameplay unterliegen; diese einzeln für sich bewertbaren Teile bilden eben noch nicht das Ganze. Diese Reportage ist mein persönlicher Versuch das zu verdeutlichen. Ein Teil von mir, meinem Ich.

Und sonst so?

Ansonsten gibt es morgen wieder den nächsten Beitrag und heute noch vier weitere Kurzempfehlungen. Viel Spaß!

Tondie and Zupe: Ein Tower Defense-Jump’n’Punch-Spiel, in dem von den Türmen hin zur Sprungfähigkeit bis einschließlich der Weltgröße absolut alles upgradbar ist.
Tiny Wor ds: Wer schon immer mal hunderte Tweets als Plattformen hochspringen wollte, ist hier bestens bedient.
Naos: Für die tägliche Dosis Surrealismus; kann Kopfschmerzen verursachen.
microrail: Ausgezeichnetes Puzzle-Design mit Bahngleisen in einem Mikroorganismus.
Atomsmash: Verdient einfach schon allein deshalb einen Ehrenplatz, da hier ein Commodore64 Disk Image programmiert wurde. Nostalgie!