Das zeitgenössische Penis-Selfie als Werk der Kunst
und politisches Statement.
Der Blick in den Spiegel lässt mich unsicher werden. Nervös teste ich ein paar Posen aus, spanne meine Armmuskulatur an, kneife den Hintern zusammen, lasse die Hand über mein krauses Brusthaar hinweg den Körper entlanggleiten. Lustlos stupse ich mein ebenso uneuphorisches Glied an, während mein Blick auf der Toilettenpapierhalterung im Hintergrund hängenbleibt. Sei’s drum: Fotos müssen her, denn SoldierDick201 will Fakten sehen.
“Kafkaesque” sagt er, kaum schicke ich ihm den ersten Schnappschuss, und ich bin verwirrt. Immerhin ist mir dank Robert Yangs Cobra Club nun aber bewusst, wie es sich anfühlen könnte, für eine begeisterte Schar homosexueller App-Nutzer Penisbilder zu schießen – begleitet vom rhythmischen Türklopfen meiner Mutter, die zunehmend empört anmerkt, dass das Badezimmer doch bitteschön auch ihr gehöre.
Während sich Succulent und Stick Shift vornehmlich (zugegebenermaßen wenig subtiler) Metaphern bedienten, thematisiert das neue Werk (Homo-)Sexualität sehr direkt. Über den gesamten Spielverlauf hinweg ist das Spiegelbild des nackten Protagonisten zu sehen, die Interaktion erfolgt über einige Schieberegler, mit denen der Zoom und Aufnahmewinkel der Kamera ebenso modifiziert werden kann wie der Erektionsgrad des abzulichtenden Genitals. Während es so gilt, umrahmt von Zahnbürsten und gekachelten Wänden halbwegs ästhetische Fotos anzufertigen, können eingehende Chatnachrichten von anderen Penisfotoenthusiasten beantwortet und nachfolgend bebildert werden.
Die reagieren fast ausnahmslos begeistert, verleihen ihren Gefühlen allerdings auf die seltsamsten Arten Ausdruck und verschwinden nach ein paar ausgetauschten Zeilen meist wieder. Lässt man sich auf den irritierend pokèmon- und literaturfokussierten Austausch ein und wählt eine der beiden positiven von vier zufallsgenerierten Antworten aus, verweisen einige der Gesprächspartner zusätzlich auf freischaltbare Funktionen im Spiel. Ehe ich’s mich versehe, lässt sich des Gemächts Umfang, Länge und Neigungswinkel verändern – oder eine Funktion aktivieren, dank derer das gute Stück wie ein Helikopterrotor und mit entsprechender Geräuschkulisse umherschlackert.
Yang macht keinen Hehl aus der inhärenten Komik der geschilderten Situation und übersteigert sie bewusst ins Groteske, um Kritik an der Gleichsetzung einer Vielfalt von Reglern mit tatsächlicher körperlicher Diversität zu üben. Denn, so sagt er, Hautfarben lassen sich nicht durch eine Farbpalette darstellen, weil sie zugleich soziale Konstrukte sind, mit denen bestimmte Erwartungen und kulturelle Unterschiede verknüpft werden. Nicht nur deshalb lohnt es sich auch diesmal, den zum Spiel verfassten Blogeintrag zu lesen, in dem der Entwickler seine Intentionen umfassend erläutert.
Daraus geht auch hervor, inwieweit Cobra Club Bezug auf John Olivers fantastisches Interview mit Edward Snowden nimmt. Es ist daher empfehlenswert, sich vor der Lektüre selbst an der Pimmelbildschöpfung zu versuchen. Und die wird selbst für jene interessant sein, die mit den dafür notwendigen Körperteilen ausgestattet sind, denn Fotostrecken von glitzernden, rotierenden Anaconda-Penes zu schießen, dürfte sich im privaten Dating-App-Alltag eher schwierig gestalten. Zum Glück gibt es Computerspiele, zum Glück gibt es Robert Yang.