The Sarkeesian Effect: Scheiße rein, Scheiße raus

Leute! LEUTE!!! Sagt alles ab! Ich weiß, die Sonne scheint, es ist Wochenende und vielleicht wollte auch irgendwer von euch gerade auf eine Hilfsmission in den Sudan reisen, aber bitte, bitte sagt alles ab, denn er ist da! The Sarkeesian Effect, der lang herbeigesehnte Dokumentarfilm, der die Wahrheit über eine Frau erzählt, die nie selbst Videospiele gespielt hat und sie deswegen verbieten will. Soviel sei verraten: Es geht um den berüchtigten She-Devil Anita Sarkeesian! Also, zumindest teilweise. Und das ist auch eigentlich gar nicht der fertige Film. Denn Whiskey-Connoisseur und Kane-Double Davis Aurini hat sich mit seinem brusthaartoupierten Mettigel Jordan Owen während der strapaziösen Dreharbeiten ein wenig auseinandergelebt, so dass jeder jetzt sein eigenes Süppchen Hass gekocht hat. Und der Mann, der sich in seiner eigenen Stirn spiegeln kann, gibt als erstes eine Kostprobe davon ab, wie bitter bisweilen Karma schmeckt.

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Das ganze Spektakel beginnt mit einem Zusammenschnitt aus einer Laudatio auf die Bedeutung von Sarkeesians Arbeit für eine vielfältigere Repräsentation von Frauenrollen in Spielen und Bildern von ihr selbst, wie sie auf dem Weg zu einem Vortrag von Sicherheitspersonal begleitet wird. Ein geschickter Regiekniff, um die Doppelbödigkeit dieser falschen Schlange zu stilisieren, die sich auf der einen Seite für ihre Gehirnwäscherei von der Industrie feiern lässt, während ihr die Basis offenkundig nach dem Leben trachtet. Ist der Name Anita Sarkeesian also tatsächlich in einer lose zitierten Reihe mit Rosa Parks, Martin Luther King und Harvey Milk zu nennen oder sind das nur die Antwortmöglichkeiten auf die Einstiegsfrage bei Wer Wird Millionär, die jeden Social Justice Warrior direkt ins Schwitzen bringen? Während ich darüber nachdenke, euphemisiert Aurini aber auch schon Gamergate als Konsumentenrevolte und die animierte Introsequenz beginnt. Doch das Bild bleibt plötzlich stehen. Erst nach einigen Sekunden realisiere ich, dass die animierte Introsequenz tatsächlich nur aus einer Platzhaltergrafik besteht. Ein wohliger Schauer erfüllter Vorfreude fährt mir über den Rücken.

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“The Video Game Industry bowing down to a bully like none it has ever encountered before.” (Davis Aurini)

Und dieser geht auch die restlichen dreißig Minuten nicht mehr weg. Alles ist zwar ganz, ganz schlimm, aber eben auch unfassbar toll, weil es zeigt, was für behämmerten Bullshit-Babos zahllose „Konsumentenrevoluzzer“ jeden Monat ein Kanzlergehalt überwiesen, damit sie das strukturloseste, schlechtvertonteste und, in beiderlei Wortsinn, unterbelichtetste Stück Digitalfilm produzieren, das die Welt je gesehen haben dürfte. In schwankender Lautstärke werden zunächst zwanzig Minuten lang YouTube-Videos ohne jedweden erkennbaren Zusammenhang vorgespielt, die auf einer Grafik beständig nebeneinander herlaufen, welche mit ihrer 3-4-3-Einteilung an das Taktikbrett der holländischen Fußballnationalmannschaft erinnert. Es handelt sich wohlgemerkt um Fremdmaterial und nicht die eigenen Ergüsse, in denen Aurini mit Hart-Alk und Zigarre im Mund mit seinem Totenschädel über die Vorzüge der Sklaverei schnackt. Die ganzen Schnipsel sollen eigentlich von den Lügen und der Manipulation durch Sarkeesian erzählen, machen sie aber nicht so richtig, also werden härtere Geschütze aufgefahren: Experten-Interviews!

Für diesen Teufels-Move schreckt der ziegenbärtige Globus ohne Landmasse nicht einmal davor zurück, die Gespräche seines kloßteigigen Kollegen Owen einzubinden, obwohl dieser es ihm ausdrücklich untersagt hatte, nachdem der Streit um einen befreundeten Pick-Up-Artist eskaliert war (man möge es mir nachsehen, dass ich das nun nicht noch einmal google und verlinke, das Ganze nimmt mich auch so schon genug mit). Die Auswahl der Interviewpartner unterstreicht schließlich auch die Ernsthaftigkeit, mit der die beiden Muckels an das Projekt gehen. In saftigem Papyrus-Font, der kontroverserweise der seriöseren Alternative Comic Sans vorgezogen wurde, schlägt mir zunächst der Name Christina Parreira entgegen. Kommt mir unheimlich bekannt vor, und tatsächlich, sie ist ein Webcam-Girl! Parreira erzählt ein wenig athematisch von sexueller Selbstbestimmung, Karl Marx und Zensur, während die Kompetenzbestie Owen zum ersten Mal in einem seiner Videos mit dem für ihn charakteristischen Bademantel nicht gänzlich underdressed gewirkt hätte. Die Hoffnung bleibt, dass dieser in seiner Version des Films zurückkehrt.

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“The characters in the games are kind of like the porn stars, right?”
(Christina Parreira)

Aber auch Aurini war sich nicht zu fein, in einer Pflegeheimkantine Jason Miller zu treffen, eine bekannte(?) Hashtagpersönlichkeit, was heutzutage ja denselben Stellenwert hat wie Madonna in den 80ern. Miller trägt einen fetten Kunstpelz in einem geschlossenen Raum und sieht aus, als würde er die dicke Golduhr an seinem Handgelenk im nächsten Moment für den Gegenwert eines Happy Meals feilbieten wollen. Dann sagt er etwas über Ethik im Spielejournalismus und ich bin heilfroh, als das Webcam-Girl noch einmal kurz von ihrem Hund erzählen darf.

In den fröhlichen Reigen kontextloser Wortbeiträge fügen sich anschließend drei Frauen auf einmal ein, die abermals Owen in der Ikea-Fundgrube anno 1992 getroffen hat. Die drei Grazien erklären in der Folge, dass auch Frauen Massenmorde begingen und Klischees doch etwas ganz Tolles seien, weil man dank ihrer emotionalen Assoziationen nicht groß die Birne zum Glühen bringen müsse. Dazu hätte ich ja gerne mal die passenden Fragen gehört, aber derlei Sprechdurchfall kommt wohl auch ohne hinzugefügtes Abführmittel fröhlich sprudelnd an die Oberfläche. Und schon ist es auch wieder an der Zeit für die nächsten Feingeister. Denn wenn schon die Qualität der Gesprächspartner zu wünschen übrig lässt, soll wenigstens die schiere Anzahl jedwede Gegenrede erschweren.

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“There is this thing called Gamergate. It’s about ethics in games journalism.” (Jason Miller)

Es kommen folglich noch ein älterer Herr, der einen überdimensionalen Sandwich-Toaster als Laptop-Surrogat für mehr Glaubwürdigkeit vor sich aufgebahrt hat, der obligatorische Jack Thompson und ein wollbemützter Typ mit Zahnstocher im Mund, der seine Hände die ganze Zeit auf seinem Rücken verschränkt hält, als hätte ihn Mami gerade mit einem Schmuddelblättchen erwischt. Was sie alle sagen ist an dieser Stelle nicht mehr so entscheidend, denn längst ist klar, dass das hier alles ist. Das ist die große Enthüllungssause. Angeführt von zwei Soziopathen, die nicht einmal mit sich selbst klarkommen, wird Front gegen eine Einzelperson gemacht, die in diesem Film als Sammelbecken für die unterschiedlichsten Auswüchse von Empathielosigkeit und Weltfremdheit herhalten muss, ohne je mit einem Fünkchen nachhaltiger Kritik konfrontiert zu werden.

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“Gnargnarg nuschelnuschel hördörggnarg kau kau kau”
(Mann mit Zahnstocher)

In dieser Form ist The Sarkeesian Effect für den Dokumentarfilm am Ehesten das, was The Room für den Spielfilm ist. Ein kurios schlechtes Werk ohne Sinn und Verstand, voller Produktionsmängel und inhaltlicher Fehltritte, die zumindest für das ein oder andere Trinkspiel gut sein dürften. Natürlich könnte man fairerweise berücksichtigen, dass es sich nur um eine unfertige Preview-Version handelt, aber um Fairness ging es bei der Thematik ja von vornherein nicht. Und ganz ehrlich: Das ist es. Das ist alles, egal, was danach noch kommen mag. Shit goes in, shit comes out. Eine alte Redensart unter Video- und Tontechnikern, deren praktische Anwendung nun um ein äußerst amüsantes Beispiel reicher ist. Und es dürfte das erste Sarkeesian-kritische Video sein, dass häufiger von ihren Anhängern als ihren Gegnern geteilt wird.