Das Medium der Vorläufigkeit: Keine Spiele in Museen
Ich habe Der Fänger im Roggen nicht gelesen, Pet Sounds nie gehört, Citizen Kane nicht gesehen und Silent Hill nie gespielt. Alle genannten Titel gelten, ungeachtet ihres fortgeschrittenen Alters, als wahre Meisterwerke ihres jeweiligen Mediums, darum empfinde ich sie als kulturelle Bildungslücken, die ich Zeit meines Lebens zu schließen gedenke. Wäre ja auch zu peinlich, bei Jauch auf dem Stuhl zu sitzen und die 500€-Frage nach der Nachladetaste auf dem Gamepad nicht beantworten zu können.
“If hacking, broadly defined, were actually illegal, there likely would have been no video game industry.” (Mitch Stoltz)
Dass ich diese bei Silent Hill dennoch vermutlich niemals benutzen werde, hat den einfachen Grund, dass ich keine alte Playstation besitze. Während die Werke anderer Kulturmedien im Laufe der Jahre ohne Qualitätseinbußen auf aktuelleren Datenträgern konserviert werden konnten, geraten ausgerechnet zahlreiche Großtaten des jüngsten Mediums zunehmend in Vergessenheit. Und die Entertainment Software Association (ESA) tut ihr Möglichstes, dass sich an diesem bedauernswerten Zustand auch so schnell nichts ändern wird.
Ein Gesuch nach rechtlicher Erlaubnis für das Modifizieren älterer Titel und Systeme, um hierdurch, etwa aufgrund von Serverabschaltungen, unspielbar gewordene Spiele wieder spielbar zu machen, schmetterte die ESA umgehend ab. Dabei ging es in dem Gesuch nicht um den privaten Gebrauch, sondern explizit um die Nutzung für akademische und ausstellende Zwecke. Eine betrübliche Meldung, da das Verständnis für die Entwicklung und die Geschichte eines Kulturguts so nur lückenhaft dokumentiert und oftmals gar nicht mehr in seiner Gesamtheit nachvollzogen werden kann. Doch ist es auch verständlich, dass sich die Lizenzinhaber zu einem Zeitpunkt gegen eine solche Öffnung sträuben, zu dem sie mit HD-Remakes, Neuauflagen und Retronostalgie von einer Sehnsucht nach Gestern profitieren.
Die Befürchtung, die Legalisierung des Hackings (nicht zu Verwechseln mit Cracking) älterer Hard- und Software würde die Piraterie fördern, wirkt jedenfalls arg vorgeschoben, scheren sich doch Piraten seit jeher wenig um die aktuelle Gesetzeslage. Vielmehr liegt dieser ablehnenden Haltung eine Mentalität zu Grunde, die Videospiele als Produkt und geistiges Eigentum und nicht als verallgemeinerbares Kulturgut vorsieht. Bevor man nun aber diesen kommerziellen Gedanken verurteilt, sollte man sich vor Augen führen, dass Videospiele zunächst tatsächlich reine Unterhaltungsprodukte waren, die in Spielhallen nach Münzen verlangten, lange bevor ein beleibter Klempner dies auf der heimischen Röhre tat. Die Kunst wurde nicht kommerzialisiert, sondern dem reinen Kommerz ein neues Anspruchsdenken beiseite gestellt, mit dem nicht jeder übereinzustimmen scheint. Was im Interesse der spielenden oder dokumentierenden Personen liegt, oder gar der Menschen, die die betroffenen Spiele eigenhändig entwickelt haben, deckt sich leider nicht immer mit den Wünschen des Krawattenonkels mit den Bilanzordnern im Regal.
Dabei machen es einem Videospiele schon so schwer genug, ihr Wesen für die nächsten Generationen festzuhalten. Sie kommen zunehmend seltener in einer endgültigen Form daher, verändern sich innerhalb kürzester Zeit dramatisch, werden zu Wechselbälgern der Gefühle. Sie bilden ein Medium der Vorläufigkeit, das mit Patches, DLC-Schwemme, Mods und Onlineinteraktionen kaum noch einzufangen und wiederzugeben ist. World of Warcraft gibt es seit über 10 Jahren und wie ein künstlich geschaffenes Lebewesen ist es herangewachsen und mutiert, immer und immer wieder, um sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Und wenn in weiteren 10 Jahren die Server ihren Dienst quittieren sollten, wird niemand mehr mit eigenen Augen sehen können, was den langfristigen Reiz dieses Spiels ausgemacht haben könnte. Genauso wenig wird mir heute irgendein Emulator das Spielgefühl näherbringen, das andere mit Silent Hill verband, als Eiffel 65 noch die Charts dominierten und es sich befremdlicher Popularität erfreute, das Wort Maschendrahtzaun eigenwillig zu betonen.
“Ein nie endender Pfad.” (Quelle)
Ein Werk immer im Kontext seiner Entstehungszeit zu sehen, fällt aufgrund der enormen technischen Entwicklung bei Videospielen besonders schwer. Was ein Spiel wie Doom damals bedeutet hat, man kann es sich schlichtweg nicht mehr vorstellen. Lange Zeit war es deshalb auch nicht üblich zurückzuschauen, doch die Ära der großen Innovationen ist zu einem Halt gekommen. Während alle darauf warten, ob das mit der Virtual Reality dieses Mal auch wirklich etwas wird, laufen auf den neuen Konsolen aufgehübschte Spielversionen der alten und der Indiezweig ist dem Retrowahn erlegen, der mit simplen Spielmechaniken und Pixelart eine historische Epoche aufleben lässt, die man im Museum nicht zu sehen bekommen soll. Und während man mit gesenktem Haupt auf dem Abandonware-Friedhof steht, um den verblassenden Erinnerungen die letzte Ehre zu erweisen, ist es doch ein tröstender Gedanke, dass sich alles irgendwann wiederholt.