Drachenväter – Interview mit Thomas Hillenbrand und Konrad Lischka

Über 340 UnterstützerInnen, bisherige Crowdfunding-Einnahmen von über 15.000 Euro, zwei prominente Initiatoren: Die Spiegel Online-Journalisten Thomas Hillenbrand und Konrad Lischka arbeiten sich derzeitig erfolgreich an einer Kulturgeschichte des (Pen’n’Paper-)Rollenspiels ab. Im Zentrum der Publikation steht das Kultspiel Dungeons & Dragons, wodurch sich der Buchtitel Drachenväter begründen lässt. Bereits vor einem Monat haben wir ein Choose-your-own-Interview mit den beiden veröffentlicht — da das Startnext-Projekt aber in einer Woche ausläuft, wollen wir das Interviewmanuskript an dieser Stelle nochmal als vollständig lesbare Variante präsentieren. Viel Spaß damit!

„Millionen Menschen spielen “World of Warcraft”, “Eve Online” oder “Farmville”. Diese Abenteuer in virtuellen Welten gehen zurück auf “Dungeons & Dragons”, das erste Rollenspiel. “Drachenväter” erzählt die Geschichte dieser Spiele von 1974 bis heute.“

Ahoi Thomas, ahoi Konrad! Erst einmal besten Dank für eure Bereitschaft, euer Projekt ausgiebig vorzustellen. Fangen wir doch gleich mal mit der Ursuppe an: Wie kam euch überhaupt die Idee für solch ein Unterfangen?

Thomas Hillenbrand Das ist alles Konrads Schuld. Als Dave Arneson und Gary Gygax — die Erfinder von Dungeons & Dragons — vor einigen Jahren starben, schrieb er zwei Nachrufe auf Spiegel Online. Daraus wurde dann eine Serie über die Geschichte des Rollenspiels. Irgendwann haben wir überlegt, dass man daraus ein Buch machen könnte. Werner Fuchs von Das Schwarze Auge hat damals gesagt: ‘Ihr müsst das machen. Außer euch wird es keiner tun.’ Und da haben wir uns gedacht: Wenn der das sagt, dann ist das ja fast wie ein Auftrag von Gandalf. Also mussten wir’s durchziehen.

Eine wundervolle Anekdote, die aber auch schon zu einer weiteren Frage führt: Zwar ist nun der erste Anstoß eurerseits klar, aber wer unterstützt euch dabei? Anders gefragt: Wer sind eure PartnerInnen?

Konrad Lischka Uns ist sehr wichtig, dass da ein professionell gemachtes Buch herauskommt. Deshalb haben wir die Wuppertaler Agentur wppt engagiert: Die machen Kataloge und Kunstbände und helfen uns bei der gestalterischen Umsetzung. Für Druck und Vertrieb arbeiten wir mit Monsenstein & Vannerdat zusammen, einem kleinen Verlag aus Münster. Das Korrektorat macht Ulf Ritgen, ein erfahrener Lektor, Übersetzer und eingefleischter Rollenspieler.

Das ist natürlich fantastisch, wenn die PartnerInnen sich dem Projekt auch mit einem Funken Eigenliebe für Rollenspiele heraus widmen. Wahrscheinlich ist das auch notwendig für euer Vorhaben, schließlich wollt ihr ja die Rollenspielgeschichte von 1974 bis heute erarbeiten. Aber was bedeutet das für euer Buch? Ist es eine Chronik — oder gar eine Ansammlung von persönlichen Anekdoten?

Thomas Drachenväter ist ein klassisches Sachbuch, was bedeutet, dass unsere persönliche Rollenspieler-Biografie da komplett außen vor bleibt. Stattdessen beschreiben wir, wie aus Kriegs- und Strategiespielen auf der einen und fantastischer Literatur auf der anderen Seite eine völlig neue Art des Erzählspiels entstand und wie es in den Folgejahren die Welt eroberte. Das Buch hat eine zeitliche und inhaltliche Abfolge, es ist eine komplette Kulturgeschichte des Rollenspiels.

Warum aber muss ein Buch dieser Art unbedingt noch in Print gedruckt werden? Reicht heutzutage dafür nicht beispielsweise eine Online-Veröffentlichung als eBook? Seht ihr eure Zielgruppe noch derartig im alten Medium verwurzelt?

Konrad Unser Buch ist keine Bleiwüste, sondern ein aufwendig gelayoutetes, farbiges Coffeetable-Book mit Dutzenden Fotos. Soetwas sieht auf eReadern eigentlich immer scheiße aus. Wir glauben, dass wir die Opulenz der Pen’n’Paper-Rollenspiele nur adäquat zeigen können, wenn wir optisch alle Möglichkeiten haben — und die hast du momentan nur bei Printtiteln. Die einzige Alternative wäre, eine eigene App für Zehn-Zoll-Tablets zu programmieren. Aber das ist erstens sehr teuer, zweitens schließt es viele Menschen aus, die kein solches Gerät haben und drittens ist nicht gesagt, dass man das gescheit programmiert bekommt. Deshalb ist Print aus unserer Sicht in diesem Fall König.

Durchaus nachvollziehbar, auch wenn ich diesen Fokus auf Print ein wenig schade finde. Immerhin gibt es ja bei eurer Startnext-Kampagne leider nicht mal ein einzelnes eBook-Crowdfunding-Goodie. Wieso eigentlich nicht?

Thomas Ganz einfach weil wir glauben, dass das eBook von Drachenväter kein hochwertiges, vollständiges Produkt ist. Das aufwendige Layout, die Optik, die Grafiken –- all das geht in der rein digitalen Version verloren. Wir wollen da keine Kompromisse machen, deshalb verkaufen wir das eBook deshalb nicht einzeln. Die Digitalversion ist eher als zusätzlicher Service gedacht, nicht als ein Stand-Alone.

„Ihr solltet dieses Projekt unterstützen, damit die Kulturgeschichte des Rollenspiels endlich geschrieben werden kann. Noch sind viele der damaligen Akteure am Leben und bei guter Gesundheit und können befragt werden.“

Ich verstehe. Irgendwo ist das ja auch eine begründete Haltung, schließlich zählt bekanntermaßen ja der Inhalt einer Publikation immer noch mehr als die Form, daher also nun die Standardfrage: Gibt es vielleicht schon was zu lesen? Eine kleine Leseprobe?

Konrad Ja, wir haben die Gliederung sowie ein Probekapitel veröffentlicht, damit sich die Leute ein Bild machen können. Außerdem wären da ja noch die Artikel, die wir über die Jahre rund um das Thema bei Spiegel Online geschrieben haben. Die sind auch alle noch im Archiv verfügbar.

Bei diesen Texten wirkt es so, als sei auch der inhaltliche Fokus stark auf die analogen Versionen der Rollenspiele konzentriert. In welchem Umfang wird sich Drachenväter auch mit Digital(rollen-)spielekultur, also der Entwicklung von digitalen (Rollen-)Spielen befassen?

Thomas Der Kern des Buchs ist die Entstehung der Pen’n’Paper-Rollenspiele. Wenn es die nicht gegeben hätte, hätte es auch keine Computerrollenspiele gegeben. Die Erfinder von Ultima und Konsorten waren ja in ihrer Jugend allesamt Dungeons & Dragons-Kellerkinder. Wir haben aber am Ende ein relativ umfassendes Kapitel, das die einflussreichsten Computerrollenspiele beschreibt und erklärt, welche Mechanismen sie aus Pen’n’Paper-Spielen übernommen haben.

Eine schöne Angelegenheit! Ich freue mich darauf — wenn mein Portemonnaie mir denn den Erwerb gewährt, harhar! Wie viel wird das gute Dingelchen denn eigentlich am Ende kosten?

Konrad Wenn man über Startnext als Unterstützer ‘vorbestellt’, dann kostet das Buch 35,00 EUR. Wir wissen noch nicht, wann und in welcher Form es Drachenväter später regulären Buchhandel geben wird. Aber es ist ziemlich sicher, dass es dann teurer sein wird — das sagen wir nicht, damit die Leute jetzt auf jeden Fall vorbestellen, sondern weil es die Wahrheit ist. Wir müssten dann Kleinstauflagen im Digitaldruck machen, was wesentlich teurer ist als der Offset-Druck, in dem wir die Unterstützer-Auflage realisieren.

Bei 320 Seiten mitsamt Illustrationen ist dieser Preis ja noch ein richtiges Schnäppchen. Was wird denn eigentlich geleistet, wenn noch weitere Tausende Euro mehr in das Projekt fließen? Gibt es Stretchgoals?

Thomas Wir feilen gerade noch an den Stretchgoals. Wenn wir deutlich mehr als die benötigten 10.000 € einspielen, werden wir das Geld vor allem in die Buchausstattung selbst investieren: Eine schönere Bindung, besseres Papier, schickerer Umschlag. Auch in das Layout könnte man noch investieren – also weitere Bilder und Repros, Grafiken, du weißt schon.

Das klingt alles in allem ja doch sehr ausgefeilt. Wie bewertet ihr eigentlich eure Rolle als erfahrene, bekannte Journalisten dabei?

Konrad Zusammen haben wir mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Redaktionsarbeit und das hilft uns bei diesem Projekt enorm, das merken wir schon. Zum einen beim Schreiben, zum anderen aber vor allem bei der Recherche. Dieses Projekt läuft ja bereits seit drei Jahren, wir haben hunderte Quellen ausgewertet und mit Dutzenden von Spieledesignern gesprochen. Da kann man leicht in der Fülle des Materials ersaufen.

Na, dann mal Prost! Mit eurem Fachwissen könntet ihr doch mal eine Kurzprognose zur Zukunftsperspektive für Pen’n’Paper abgeben?

Thomas Vor einigen Jahren haben viele geglaubt, das Ding sterbe schnell aus — aber das erwies sich als totaler Quatsch. Die Zahl der Spieler mag rückläufig sein, aber das Internet hat die Szene enger zusammenrücken lassen und sie zusätzlich belebt. Es gibt wahnsinnig viele tolle neue Projekte wie 13th Age, FATE oder Numenera. Ich glaube außerdem, dass man in ein paar Jahren ganz selbstverständlich mit Leuten spielen wird, die nicht in derselben Stadt wohnen, also über Virtual Reality-Technologie. Es wird noch eine ganze Weile weitergehen. Diejenigen, die mit 40 immer noch nicht mit Pen’n’Paper aufgehört haben, die spielen auch noch mit 75 im Altersheim.

Eine wunderbare Vorstellung. Hast du eigentlich noch eine kleine, private Pen’n’Paper-Rollenspielanekdote parat, Thomas?

Thomas Woran ich mich immer erinnern werde, ist der wohl schnellste Abgang, den ich je bei einem Charakter erlebt habe. Wir spielten Rolemaster und ein Spieler hatte sich in tagelanger Arbeit unter Verwendung Dutzender Zusatzregeln einen Great Man Barbarian gebastelt, die schlimmste Kampfmaschine aller Zeiten. Der war ein Munchkin-Traum, er kämpfte mit zwei Zeihandschwertern, die er über Kreuz auf dem Rücken trug. Ich glaube, außer Two Weapon Combo und Quick Draw konnte der nichts. Aber bereits beim ersten Encounter würfelte der Spieler des Barbaren einen Quick Draw. Er legt eine 01 hin, gefolgt von einer 96, dann noch irgendwas Hohes, ein krass negatives Erbebnis. Der Spielleiter sagte dann nur so: “Tja, bei dem Versuch, Deine Schwerter über Kreuz zu ziehen, schneidest Du dich. Würfel mal einen Slash Critical, sagen wir A.” Was macht der Spieler? Der würfelt eine 100! Damit hatte sich der Superduper-Barbar bei dem Versuch, seine schicken Schwerter zu ziehen, quasi selbst die Rübe runtergesäbelt. Dann musste er eine neue Figur basteln, was wieder drei Tage gedauert hat. Herrlich!

Oh Gott, wie absurd! Ganz großes Kino! Allerbesten Dank für diesen grandiosen Abschluss — ich wünsche euch viel Erfolg bei der Realisierung des Projekts und freue mich schon auf die Lektüre! Macht’s gut!