Embody the Ones and Zeros! Über GLaDOS' Körperlichkeit

Letztes Jahr schrieb ich für den Game Studies-Sammelband Build ’em Up – Shoot ’em Down: Körperlichkeit in digitalen Spielen einen Artikel über die verschiedenen Körperlichkeitsmodelle, die es im Portal-Universum zu entdecken gibt; speziell von GLaDOS. Heute habe ich sowohl von den Herausgebern Rudolf ‘The Doc’ Inderst und Peter ‘Fuckyesscience!’ Just als auch vom Verlagsleiter Werner Hülsbusch die Genehmigung erhalten, dass ich diesen Buchbeitrag in voller Länge mit euch teilen darf. Da Portal morgen seinen sechsten Geburtstag feiern darf, ist das mein persönliches Geschenk an euch und die Ehrung einer mir sehr wichtigen Spielereihe. Viel Spaß.


Embody the Ones and Zeros! GLaDOS’ Wandel vom Programm zum technischen Bewusstsein

„Eine Maschine war kein Mensch, keine Urheberin ihrer selbst, nur eine Karikatur dieses reproduktiven Traums abstrakter Männlichkeit. […] Die Maschinen des späten 20. Jahrhunderts haben die Differenz von natürlich und künstlich, Körper und Geist, selbstgelenkter und außengesteuerter Entwicklung sowie viele andere Unterscheidungen, die Organismen und Maschinen zu trennen vermochten, höchst zweideutig werden lassen. Unsere Maschinen erscheinen auf verwirrende Weise quicklebendig – wir selbst dagegen aber beängstigend träge.“
(Haraway 1995, 37)

Der vorliegende Text ist maßgeblich von diesem Zitat der Naturwissenschaftshistorikerin und Biologin Donna Jeanne Haraway inspiriert. Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs, was unser Denken über Körper und Körperlichkeit angeht. Waren es früher allein die organischen Körper, die wir genauer betrachtet haben, so geraten nun die technischen Körper, die Maschinen, in den Blick. Auch ihnen wird eine gewisse Körperlichkeit zugeschrieben, die wir jedoch noch nicht genau definieren können. Zu abstrakt scheint dieser Gedanke zu sein, den von Menschenhand geschaffenen technischen Entitäten eine eigenständige, aktive, lebendige Körperlichkeit zuzuschreiben. Was technisch ist, das hat Objekt zu bleiben.

Körperlichkeit ist grundsätzlich eine im weitesten Sinne identitätsstiftende Kategorisierung. Innerhalb des Körperlichkeitsdiskurses werden viele Elemente miteinbezogen, beispielsweise die (materielle wie formhafte) Beschaffenheit eines Körpers, dessen Bewegungen wie deren Ästhetik, die Unterschiede zwischen dem männlichen und weiblichen Körper, die Grenzziehung zwischen Leben und Tod, Sexualität, sexuelle Anziehungskraft, Schönheitsideale oder auch die Verbindung zwischen Körperlichkeit und Bewusstsein. Diese und weitere Faktoren fließen in die Beantwortung der Frage ein, als wer wir uns selbst, unser Ich, definieren. Körperlichkeit ist damit eine interdisziplinär auftretende und wichtige Kategorie, die nicht nur vielfältig betrachtet wird, sondern deren Bestimmungsfaktoren auch einem stetigen kulturellen Wandel unterliegen. Als eindrückliches Beispiel kann das weibliche Schönheitsideal herangezogen werden: Galten im 17. Jahrhundert Rubensfrauen noch als ein in Westeuropa weit verbreitetes Schönheits- und damit auch Körperlichkeitsideal, so lassen sich heutzutage in der Reklame der Modebranche hauptsächlich schlanke bis dürre Frauen vorfinden, deren Rippen fast schon durch die Hautschicht schimmern. Diese Faktoren unterstehen damit einem kontinuierlichen Wandel, wodurch sich auch die Kategorisierung Körperlichkeit immer wieder neu formiert und bewerten lassen muss. Auffällig ist dennoch, dass das Nachdenken über Körperlichkeit stark dem biologischen Organismus verhaftet bleibt.

Das ist vollkommen nachvollziehbar: Wir alle haben mit dem organischen Körper wesentlich mehr Erfahrungen als mit anorganischen. Jede körperliche Tätigkeit hat eine direkte Auswirkung auf unser Wohlbefinden. Schlafen wir zu kurz, so fühlen wir uns am nächsten Morgen matt und nicht ausgeruht. Wenn wir rennen, beginnen wir zu schwitzen und schneller zu atmen. Wir werden ständig von einem Hunger- und Durstgefühl eingesucht. Kurz gesagt: Unser biologischer Körper sendet ständig Signale aus, dass er mit uns verbunden ist. Der biologische Körper ist daher zu einer Denkstruktur geworden. Wenn wir über Körperlichkeit nachdenken, so ist sie meist an den biologischen Körper gebunden. Doch eine Expansion des Denkens in den Bereich der technischen Körper und ihrer spezifischen Körperlichkeit könnte weitreichende, fruchtbare Folgen haben. Wenn wir in einem Zeitalter der Digitalisierung leben, so sollten wir einerseits damit beginnen, eine zumindest digital geprägte Körperlichkeit als Möglichkeit in unser Denken einzubeziehen, und andererseits die Körperlichkeit der (digitalen) Medien selbst zu hinterfragen.

Gerade digitale Spiele können nicht mehr mit den biologischen Vorstellungen von Körperlichkeit gedacht werden. Je beharrlicher wir uns an die alten und bequemen Denktraditionen klammern, umso weiter entfernen wir uns von der besonderen ästhetischen Qualität und des Potenzials dieses Mediums. Diesem Denkfehler bin ich selbst noch im März 2012 verfallen, denn so schlug ich auf der Tagung Flow aus Spielen eine simple Körper-Metapher zur Analyse von Computerspielen vor (vgl. Standke 2012). Während die rein ludischen Elemente, die man zusammenfassend als Gameplay bezeichnen kann, das Innere des Körpers darstellen, werden sie von der Narration, als Haut gedacht, überdeckt. So hätte es eine Möglichkeit gegeben, reine LudologInnen als ChirurgInnen, reine NarratologInnen hingegen als PsychiaterInnen anzusehen. Auch der Zwist zwischen beiden Fraktionen wäre so einfach erklärt: „Der Chirurg beurteilt den Psychiater als weichlich, weil er sich für derart flüchtige Ziele interessiert [Anm. S.S.: gemeint ist die Behandlung einer psychischen Krankheit, da man deren Heilung nicht auf den ersten Blick erkennt]; der Psychiater hält den Chirurgen für grob, weil er sich auf die Mechanik konzentriert.“ (Csikszentmihályi 2004, 84)

Ich verstand mich hierbei selbst als ein Chirurg, der die Anatomie des Spielekorpus zu verinnerlichen sucht und daher zwangsweise mit dem Skalpell die Narrationsschicht durchdringt. Diese Metapher mag einleuchtend und praktisch sein, doch die Denkprämisse ist zu einseitig. Ich ging die ganze Zeit von rein biologischen Körpern aus. Doch was passiert, wenn der jeweilige Spielekorpus gar kein rein biologischer ist, sondern ein Hybridwesen aus biologischem und nicht-biologischem Körper darstellt? Was passiert, wenn sich die Haut als Metallschicht erweist, die mit den anderen Organen bereits verschmolzen ist? Was also, wenn das Spiel -– in dieser Metapher gesprochen –- ein Cyborg ist?

Damit will ich nicht sagen, dass jedes Computerspiel eine cyborgartige Körperlichkeit besitzt. Beispielsweise erweisen sich viele Rollenspiele bei genauerer Betrachtung als eine linear verlaufende Geschichte, die zwar mittels spielerischer Elemente (wie das Aufleveln der Charaktere, das Lösen von Rätseln, Schatzsuche, etc.) vorangetrieben wird, deren Ausgang aber die SpielerInnen nicht oder nur marginal ändern können. Hierbei wird ersichtlich, wie egal die Figurenkonstellation, die Narration oder das Setting ist: Statt in einer von Steampunk geprägten, mittelalterlich romantischen Welt gegen eine Horde machthungriger Schwarzmagier könnte man sich auch in einer postmodernen Technokratie-Dystopie einer entlaufenen Armee von fehlgeschlagenen Gen-Experimenten entgegenstellen –- das Spielerlebnis wäre im Endeffekt sehr ähnlich, solange das Gameplay identisch bleibt. Erst die herausragende Synthese von Narration und Gameplay ermöglicht es in meiner erweiterten Metapher, dass ein Computerspiel als Hybridwesen aus Narration und Gameplay, als Cyborg, begriffen werden kann.

Dennoch ist diese Erweiterung insofern problematisch, als dass sie die bisher klar festgesetzten Grenzen verschwimmen lässt oder sogar zu dekonstruieren vermag. Denn „[i]n der Tradition ‘westlicher’ Wissenschaft und Politik, […] des Fortschritts und der Aneignung der Natur als Mittel für die Hervorbringung von Kultur, in der Tradition der Reproduktion des Selbst durch die Reflexion im Anderen, hat sich die Beziehung von Organismus und Maschine immer als Grenzkrieg dargestellt. Die umkämpften Territorien in diesem Grenzkrieg sind Produktion, Reproduktion und Imagination.“ (Haraway 1995, 34f.) Erweitere ich also meine Metapher um die Figur des Cyborgs, so muss sich automatisch eine neue Grundsatzdebatte zur Körperlichkeit des Mediums Computerspiel entfachen. Die bisher leicht abzulösende Hautschicht verliert ihre Grundfunktion als Abgrenzungsorgan und ist nicht mehr als abkoppelbar zu denken. Es bietet sich die Schlussfolgerung an, dass die Narration direkt an das Spiel gekoppelt ist, ergo: Die jeweilige Geschichte kann nur im Medium Computerspiel in ihrer vollständigen Komplexität erzählt werden. Wird dieser Status erreicht, so kann man ein Computerspiel auf medialer Ebene als Cyborg begreifen.

„Ich plädiere dafür, die Cyborg als eine Fiktion anzusehen, an der sich die Beschaffenheit unserer heutigen gesellschaftlichen und körperlichen Realität ablesen läßt.“
(Haraway 1995, 34)

Die Idee, die Figur des Cyborgs in eine kulturwissenschaftliche Disziplin als neues Denkmodell zu vereinnahmen, ist nicht neu. Bereits Mitte der 1980er Jahre hat Haraway selbst mithilfe der Cyborg-Metapher versucht, ein feministisches Denken voranzutreiben, dass die Konstruktion von Geschlechterkategorien nicht an Naturalismus und Essenzialismus als primäre Konstitutionsfaktoren bindet; die Figur des Cyborgs erscheint damit als eine Emanzipationsmöglichkeit vom biologistischen Denken. Haraways Gedankengänge dienen diesem Text als eine wichtige Inspirationsquelle; nicht vorrangig in Bezug auf einen genauen Transfer ihrer Thesen, sondern vielmehr in ihrer Art etwas weiterzudenken, also Grenzen zu verschieben um neue Erkenntnisse zu erlangen.

Dieser Essay soll nachweisen, dass digitale Spiele in besonderer Weise das kulturelle Denken über Körperlichkeit verändern können. Der Grund dafür liegt in der Medialität selbst. Versteht man Medialität als die Körperlichkeit eines Mediums, so wird klar, dass sich diese nicht nur im organischen bzw. technischen Aufbau/Struktur erschöpft, sondern ebenso die Bewegungen, die Eigen- und Außenwahrnehmung, die Metamorphosen und Transformationen, die Beziehungen zu anderen Subjekten miteinbezieht.

Das vom Spieleentwicklungsunternehmen Valve erschaffene Portal-Universum, bestehend aus Portal (2007), Portal 2 (2011) und dem Web-Comic Portal 2: Lab Rat (2011) als narrativen Link zwischen beiden Spieletiteln, soll in diesem Text als Paradebeispiel für den Körperlichkeitsdiskurs im digitalen Spiel herangezogen werden. Auf narrativer wie spieltechnischer Ebene wird hier die Körperlichkeit technischer Entitätsformen wie Computerprogrammen, Robotern und künstlichen Intelligenzen thematisiert. Damit gelang es Valve diesen speziellen Diskurs auf popkultureller sowie subtiler Basis einem breiten Publikum zugänglich zu machen.

Portal ist ein auf räumlichen Rätseln basierender First-Person-Shooter, der auf direkte Gewalteinwirkung verzichtet. In jedem Level befindet sich ein Ausgang, der sich mittels der Rätsellösung überhaupt erst öffnet. Die Komplexität der Level steigert sich dabei kontinuierlich: Gilt es am Anfang noch einfache Schalterrätsel der Form ‘Lege den Würfel bzw. Cube auf den Schalter und gehe weiter’ zu absolvieren, so werden die Aufgaben später dadurch erschwert, dass man beispielsweise tödliche Laserstrahlen und Energiebälle in deren Komplementäreinheiten umleiten muss oder der Weg durch sogenannte ‘Sentry Turrets’ -– kleine, mit einem Geschütz ausgerüstete Stand-Roboter, die nach kurzem Blickkontakt zu schießen beginnen -– versperrt wird.

Dazu bedient man sich allerdings niemals einer Schußwaffe und nur selten der menschlichen Körperkraft, da man eine Portal Gun erhält. Mit dieser wird es möglich, auf freien Flächen ein blaues oder orangenes Portal zu produzieren, die beide miteinander verbunden sind: Durchschreitet man Portal A, so kommt man bei Portal B wieder raus. Mittels dieser selbst kreierbaren Portale lassen sich Wege und Verknüpfungen durch die Spielwelt freischießen, durch die sich nicht nur die eigene Spielfigur, sondern auch Objekte wie die Cubes, Energiebälle und Laserstrahlen bewegen können. Damit dient die dreidimensionale Umgebung nicht nur der Lust an der grafischen Verbesserung, sondern ermöglicht erst das neuartige Rätsel-Design, auf das Valve mit Portal stieß.

Interessant ist dabei das von Valve gewählte Szenario. So findet der Großteil der Spiele in einer von der Außenwelt abgekoppelten Forschungsanlage namens Aperture Science Enrichment Center statt. Im Folgenden werde ich die Forschungsanlage als eigenständigen Raum selbst nur noch als Enrichment Center betiteln, das gesamte dahinterstehende Wissenschaftsunternehmen hingegen als Aperture Science. Das Enrichment Center besteht aus dutzenden Testkammern, die sich aus den oben bereits aufgeführten Elementen zusammensetzen. Die Testkammern dienen einem nicht erklärten Nutzen, die Wissenschaft erscheint so als ein reiner Selbstzweck. Keine weitere Menschenseele scheint sich in dem Gebäude zu befinden –- lediglich eine zwar weiblich konnotierte, aber mechanische Stimme führt durch das Spiel. Diese gehört zum Genetic Lifeform and Disk Operating System, kurz GLaDOS. GLaDOS’ Funktion im Enrichment Center wird zu Beginn als reine Instruktionsleistung wahrgenommen; sie — selbst zwei der Portal-Story-Autoren Jay Pinkerton und Erik Wolpaw beschreiben GLaDOS bereits seit Portal in Interviews immer als weiblich (vgl. Walker 2007; Graft 2009; Sheffield 2010; Walker 2011; Welsh 2011); daher empfinde ich es als legitim GLaDOS auch in meinem Beitrag als weiblich zu benennen — gibt also Anweisungen und Hinweise, wie die Kammern zu lösen sind.

Schnell wird jedoch klar, dass sie nicht etwa nur eine hilfreiche Assistentin darstellt, sondern den gesamten Komplex kontrolliert. Das ist gefährlich, da ihr eine zynische, sarkastische, passiv-aggressive Persönlichkeit innezuwohnen scheint. Stellenweise fällt es leicht, sie als eine „human-hating, power mad machine intelligence“ (Bradley 2011, 1) zu bezeichnen, was jedoch zu einseitig gedacht wäre. Ihre Persönlichkeitsstruktur ist wesentlich vielfältiger, wie sich an einer Palette von weiteren Beschreibungen ablesen lässt: So wurde GLaDOS bereits als „feminine artificial intelligence“ (Dyer et al. o. J., 12), „Aperture Science’s artificial surrogate mother“ (Goldstein 2008, 2), „digital lady“ (Wilde 2010, 2) und „”female” binary demigod“ (Freeman 2011) klassifiziert. Diese Wortwahl ist eine genauere Betrachtung wert, da hier eine stark feminisierende wie anthropomorphisierende -– und damit auch verkörperlichende -– Tendenz auffallend ist. Würde das Spiel eine Betrachtungsweise GLaDOS’ als rein maschinelle, geschlechtsneutrale Entität nahelegen, so dürfte diese Tendenz gar nicht auftauchen. Doch selbst diese Beschreibungen sind nicht einheitlich: Sie reichen von dem rein technologisch gedachten Bezug der künstlichen Intelligenz über das Bild einer Ersatz-Mutter hin bis zur Titulierung als Halbgöttin, wobei das in von Freeman ausdrücklich in Anführungszeichen gesetzte female als Hinweis auf seine eigene Unsicherheit gelesen werden kann. Wie also kommt diese Uneindeutigkeit zustande? Meine These ist, dass diese Unsicherheit durch die wandelnde Wahrnehmung von GLaDOS’ Körperlichkeit generiert wird: In Portal wird sie erst als Computerprogramm, dann als künstliche Intelligenz, zum Ende als ein künstliches Bewusstsein dargestellt. In Portal 2 erweitert sich das Bild: GLaDOS ist kein künstliches, sondern ein technisches Bewusstsein. Sie besitzt zwar einen festen maschinellen Körper, aber unsere Wahrnehmung ihrer Körperlichkeit wandelt sich stetig. Mit jeder neuen Testkammer wirkt sie lebendiger.


Die Stimme als körperlichkeitskonstituierendes Element

Als festgesetztes Gegenmodell zu GLaDOS dient die eigene Spielfigur: Eine menschliche Frau namens Chell. Durch die First-Person-Perspektive wird ihr Körper nur in dem Sonderfall sichtbar, dass zwei Portale im passenden Winkel zueinander positioniert sind, sodass Chells Abbild den SpielerInnen entgegengespiegelt wird. Ihr Körper ist zwar dezent weiblich konnotiert, aber nicht mittels einer überproportionalen Oberweite oder ähnlich plumper Darstellungsweisen überzeichnet. Sie ist schlank, aber nicht dürr. Ihre Haare sind zu einem Zopf formiert, sie trägt einen orangenen Overall. Chells Körper wie Körperlichkeit bleibt über den gesamten Zeitraum konstant. Prägnant ist, dass sie niemals ein einziges Wort spricht. Chell ist damit eine fixe Größe, die als Vergleichsgröße zu GLaDOS mitgedacht wird. Sie ist menschlich und weiblich, ihr Körper und ihre Persönlichkeit wandelt sich nicht. Möglicherweise lässt sich damit auch die Lautähnlichkeit von Chell und Shell erklären: Chell ist kein eigenständig funktionierender Charakter, sondern fungiert lediglich als eine Hülle. Sie ist damit ein Avatar im ursprünglichen Sinne, ein virtuelles Abbild der SpielerInnen.

Beginnt man Portal zu spielen, so erwacht man in einem sterilen Glaskasten. Auf einmal ertönt die Stimme von GLaDOS, die sehr prägnant ist: Mechanisch, kühl, mit einem sehr feinen Hall, von jedem Atemgeräusch befreit, dennoch feminin und irgendwie beunruhigend freundlich. Diese Stimme ist die einzige rein phänomenologisch wahrnehmbare Eigenschaft GLaDOS’ bis zum Endkampf von Portal und damit von enormer Bedeutung für ihre Körperlichkeit. Ihre starke Präsenz und Wirkung auf die SpielerInnen findet häufig in Reviews und Artikeln Erwähnung (vgl. Sharkey o. J.; GameSpy Technology 2007, 19; GamesRadar US 2008, 4). Besonders auffallend ist ihr Sprachduktus, da sie teils ungewöhnliche Pausen setzt und Wörter sehr speziell betont. Schon der erste von ihr gesprochene Satz zeigt diese Besonderheiten auf:

„Hello | and | again: | Welcome to the Aperture Science Computer-Aided Enrichment Center.“
(Portal: Testkammer 00/19)

Hierbei betont sie „Hello“ mehr wie „Hell-lo“ und pausiert sehr bewusst wie eigentümlich an den senkrechten Strichen. Eine kleine Auswahl weiterer Sätze soll verdeutlichen, dass es sich dabei um ein -– etwa bis zur Mitte des Spiels –- konstantes Verhalten handelt; kursiv geschriebene Wörter werden dabei hervorgehoben bzw. unterscheiden sich von der im restlichen Satz benutzten Stimmhöhe:

„You’re doing | very | well! | Please be advised | that a noticeable taste of blood | is not part of any test | protocol, | but is an | unintended side effect | of the Aperture Science Material Emancipation Grill, | which may, | in semi-rare cases, | emancipate dental fillings, | crowns, | tooth enamel | and teeth.“
(Portal: Testkammer 02/19)

„As part of a required test protocol | our previous statement suggesting that we would not monitor this chamber | was an outright | fabrication.“
(Portal: Testkammer 05/19)

„While safety is one of many Enrichment Center goals, | the Aperture Science High Energy Pellet, | seen to the left of the chamber, | can | and has caused | permanent | disabilities, | such as vaporization.“
(Portal: Testkammer 07/19)

Ihre Art und Weise zu sprechen erscheint nicht ‘natürlich’. Auffällig ist, dass sie sämtliche Objekte mit ihrem vollen, umständlich langen Namen nennt: „Please place the Weighted Storage Cube on the Fifteen Hundred Megawatt Aperture Science Heavy Duty Super-Colliding Super Button.“ (Portal: Testkammer 01/19). Gewisse Begriffe werden dabei auch kontinuierlich wiederholt. Allein bis zur achten Testkammer erwähnt sie dreimal das Enrichment Center, neunmal Aperture Science sowie elfmal test(ing). Durch diese ständige Wiederholung entsteht etwas, was man als die Grammatik der Institution bezeichnen kann. GLaDOS schafft es durch die Form ihres Sprechens, dass man die Testkammern als einen großen, zusammenhängenden Raum (das Enrichment Center) erkennt und wem es unterliegt (Aperture Science). Der Zweck von Chells Dasein sind dabei die Tests selbst. Markant ist jedoch, dass es zwar freischaltbare Ausgänge aus den Testkammern gibt, die Eingänge aber, sobald sie durchschritten wurden, verschlossen bleiben. Jedes Lösen eines Rätsels führt demnach nur in ein neues Rätsel. Die Flucht aus dem Enrichment Center ist unmöglich. Nicht einmal der genaue Zweck der Tests ist bekannt: Weder weiß man, ob man selbst getestet wird (in Bezug auf die körperlichen wie geistigen Fähigkeiten), ob man etwas testet (wie beispielsweise die Effektivität der Testkammern als Barriere gegen mögliche Feinde) oder gar beides zugleich. GLaDOS gibt diesbezüglich keine Informationen preis. Durch ihre Formulierungen wird zwar klar, was getan wird, aber nicht wofür.

Chell wehrt sich nicht dagegen. Es entsteht eine Art hegemonieller Rahmen, der nicht nur für die SpielerInnen durch das Medium selbst, sondern auch für deren Avatar innerhalb der Narration besteht. Dazu dient auch der Sprechrhythmus von GLaDOS, der bis zur neunten Testkammer klar gesetzt ist. Nur wenn Chell in eine neue Testkammer eintritt oder diese erfolgreich löst, beginnt GLaDOS zu reden. Innerhalb der Tests selbst ertönt ihre Stimme nur, um die Funktion von neuen Gegenständen wie der Portal Gun oder des Aperture Science Material Emancipation Grills zu erklären oder davor zu warnen, dass man nicht die Überwachungskameras zerstören soll. Es lässt sich damit genau vorhersehen, wann sie redet. Ein festgelegtes Schema wird erkennbar, das allerdings nur von Erfolg oder Misserfolg abzuhängen scheint. Es treten keine Nuancen auf, da GLaDOS weder bewertet noch kommentiert. Sie wirkt wie eine fest in die Räumlichkeiten installierte Software, wie die freundliche Empfangsdame an der Rezeption, mit der man zwar sprechen, aber keine tiefere Beziehung aufbauen kann. Die Vermutung wird nahegelegt, dass sie einfach nur ein Programm ist.

Dieser Eindruck wird zusätzlich durch eine Datenbankästhetik verstärkt. Teilweise scheinen ihr gewisse einzusetzende Werte zu fehlen, so sagt sie nach der Absolvierung der sechsten Aufgabe: „Unbelievable! | You, | subject name here, | must be the pride of | subject hometown here.“ (Portal: Testkammer 06/19). Die kursiv hervorgehobenen Stellen werden in einer höheren Stimmlage mit einer monotonen Art gesprochen und wirken so wie Variablen, deren Wert unbekannt ist. Der Satz entpuppt sich als eine formelhafte Phrase. GLaDOS findet den entsprechenden Wert nicht in ihrer Datenbank, ist aber trotzdem dazu gezwungen den Satz auszusprechen; eben weil sie bisweilen als Programm dargestellt wird. Dafür spricht, dass die <XXX here>-Platzhalter immer in einer markant höheren, wesentlich roboterartigeren Tonlage gesprochen werden.

Dass GLaDOS von den SpielerInnen in diesem Moment als Programm wahrgenommen wird, ist nachvollziehbar. Was aber sagt das über ihre Körperlichkeit aus? Ein Programm ist die in Binärsprache kompilierte Aneinanderreihung von Befehlen in einer wie auch immer gearteten Programmiersprache. Der Vergleich zur Genetik liegt nahe: Die Binärsprache, bestehend aus 0 und 1, lässt sich in die DNA-Elemente A, T, G und C übersetzen. Die Programmiersprache stellt die DNA-Stränge dar, die die Elemente 0 und 1 in ihrer jeweiligen Form zusammensetzt. Damit ist das Programm quasi das Genom, das gesamte Informationspaket, das dem Zellkörper obliegt. Erst das Genom kann dem Zellkörper das Leben einhauchen -– ohne Software wäre die Hardware nutzlos. Nur durch das Programm kann GLaDOS’ maschineller Körper überhaupt eine Körperlichkeit erhalten (an dieser Stelle herzlichen Dank nochmal an Christian Huberts für die gemeinsame Ausarbeitung der Programm-Genom-Metapher!). GLaDOS’ Stimme ruft allerdings eine Dissonanz hervor, da „die Stimme geschlechtliche Konnotationen in das Sprechen einträgt und somit Sprache an Körper bindet, so dass es schlechthin nicht möglich wäre, unvermittelt zu kommunizieren.“ (Peters 2005, 329) Da GLaDOS’ feminine Stimme zwar eine Weiblichkeit, aber noch längst keinen lebendigen Körper denken lässt, wird sie zu diesem Zeitpunkt nur als eine von der Hardware als Körper ausgeführte Software angesehen. Sie hat noch keinen Ansatz von Bewusstsein in sich, da sie einfach nur Befehle ausführt: Sie öffnet oder schließt die Türen und lässt bereits voraufgenommene Phrasen und Meldungen über die Lautsprecher abspielen. Jedenfalls bis zur achten Testkammer.


Die Anzeichen der künstlichen Intelligenz

Hier fängt sie langsam an ihre Muster zu durchbrechen. „Please note that we have added a consequence for failure. Any contact with the chamber floor will result in an ‘unsatisfactory’-mark on your official testing record -– followed by death. Good luck!“ (Portal: Testkammer 08/19) Durch den sehr beiläufigen Hinweis der Tödlichkeit erfolgt ein krasser Bruch. Insbesondere die Neutralität in ihrem Sprechverhalten trotz so einer negativen Konsequenz wirkt verstörend. Es stellt sich die Frage, ob die GLaDOS-ProgrammiererInnen ihr tatsächlich solch zynische, bösartige Phrasen beigefügt haben, oder ob sie möglicherweise eigenständig handelt. GLaDOS beginnt den Verlauf zu kommentieren und zu bewerten. Teilweise offeriert sie sogar eine Emotionalität, die allerdings nicht mit einem offengelegten Ich-Bewusstsein einhergeht, da sie weiterhin als „We“ im Namen des Enrichment Centers spricht. Mit jeder weiteren Kammer erhärtet sich der Verdacht, dass sie nicht etwa nur ein Programm ist, sondern eine künstliche Intelligenz.

So sagt sie nicht etwa nur beim Eintritt in die nächste Testkammer, dass diese nicht lösbar sei, sondern durchbricht sogar ihr vorheriges festes Schema des Sprechens bei Ein- und Austritt. Mitten im Test hallt ihre Stimme durch den Raum, sie entschuldigt sich mehrmals im Namen des Enrichment Centers dafür, dass die Kammer unlösbar sei. Nachdem diese Versuche nicht fruchten und sich die SpielerInnen trotzdem dazu entschließen weiterzuspielen, verdeutlicht sie immer eindrücklicher, dass das Rätsel nicht erfüllbar sei, da es selbst ein Fehler ist: „[T]his chamber was a mistake. If we were you, we would quit now. No one will blame you for giving up. […] [Q]uitting at this point is a perfectly reasonable response. Quit now, and cake will be served immediately.“ (Portal: Testkammer 09/19) Dabei ist die Aufgabe nicht ansatzweise so komplex, wie es ihre Ausführungen vermuten ließen. Nach erfolgreicher Absolvierung lobt GLaDOS plötzlich das Überwinden der von ihr erzeugten pessimistischen Atmosphäre. Sie scheint sich damit dem Einfluss ihres Sprechens auf die menschliche Psyche mehr als nur bewusst zu sein; sie nutzt ihn sogar als eine Strategie für einen psychologischen Test. Außerdem erweitert sie ihr Sprechrepertoire mit subtilen Beleidigungen. Sobald man die Portal Gun komplettiert hat -– bis zur elften Kammer ist man nur in der Lage ein Portal selbst zu platzieren, das andere ist bereits definiert -–, deutet sie an, dass sie die SpielerInnen für unfähig hält, Rätsel eigenständig zu lösen: „Now that you are in control of both portals, this next test could take a very, very long time.“ (Portal: Testkammer 13/19)

Während GLaDOS’ Sprachverhalten neue Züge annimmt, ändert sich auch der Aufbau der Testkammern selbst. Neue, tödliche Elemente werden eingefügt: Gruben mit giftigem Wasser oder Schlamm, sogenannte ‘High Energy Pellets’ (herumfliegende, sehr schnelle Energiebälle) und die Sentry Turrets. Aber auch, wenn all diese Elemente tödlich sind, so sind sie nicht grundsätzlich aggressiv. Sie versuchen Chell nicht vorsätzlich umzubringen. Der direkte Kontakt mit der vergifteten Substanz oder den High Energy Pellets würde zwar ihrem Leben ein Ende setzen, doch beide Raumelemente bewegen sich nicht eigenständig oder gesteuert auf Chell zu; sie sind lediglich Teil der gefährlichen Umgebung. Auch die Sentry Turrets sind mehr als defensiv agierende Einheiten zu betrachten, da sie sich nicht bewegen können; erst der falsche Umgang mit ihnen führt zum Beschuss. Sie sind keine mobilen Killermaschinen, die durch die Räume streifen und gezielt nach neuen Opfern suchen. So tat es mir fast leid, wenn ich die kleinen Sentry Turrets mit ihren bübischen, hohen Stimmen ausschaltete. Kleine Stiche mitten ins Herz versetzten mir ihre letzten Worte kurz vor der Deaktivierung: „I don’t blame you.“, „I don’t hate you.“, „No hard feelings.“ (Portal: Turret Sounds)

Die Testumgebung (und damit auch der Spielraum selbst) wird also gefährlicher und komplexer, aber nicht per se feindlich und aggressiv. Es ist eine Parallelität zu GLaDOS’ Sprachverhalten erkennbar: Ihre Art zu reden ändert sich, aber es bleibt bei passiv-aggressiven, subtil beleidigenden Aussagen. Der Verdacht liegt nahe, dass sie mit den Räumlichkeiten stärker verknüpft ist als nur über die Überwachungskameras als ‘persönliches Auge’. So treten die Sentry Turrets erst ab der 16. Testkammer auf, was jedoch als GLaDOS’ eigene Entscheidung interpretiert werden kann: „Due to mandatory scheduled maintenance, the appropriate chamber for this testing sequence is currently unavailable. It has been replaced with a live-fire course designed for military androids.“ (Portal: Testkammer 16/19) Sie hat also Kammern schlichtweg miteinander ausgetauscht. Es ist fast so, als wäre das Enrichment Center ihr persönlicher Raum-Körper. Sie wertet die Tests demnach nicht nur aus, sondern steuert sie direkt.

Schleicht man sich an den Sentry Turrets vorbei, in einen Winkel fernab jeder Überwachungskamera, so sieht man eine ausgefahrene Wandplatte. Auf dem Boden steht in roter Schrift „Help“ geschrieben, ein Handabdruck ist auf den sonst so sauberen Wänden sichtbar. Sobald man sich in den verwahrlosten, abgeschotteten Hinterraum begibt, kann man ein paar Kisten, einen defekten Rechner, eine Konservendose, eine Art Wasserkanister, eine Bratpfanne sowie eine ausgetrunkene Milchtüte vorfinden. Es macht den Anschein, als ob hier jemand Monate zugebracht hat, da sich 180 Striche auf einer Wand finden lassen; man fühlt sich an ein Gefängnis erinnert. Von den vielen Kritzeleien ist eine besonders hervorzuheben: Fünfmal steht der Satz „the cake is a lie.“ untereinander. GLaDOS sprach in der neunten Kammer davon, dass nach Ende des Test(en)s Kuchen serviert werden würde. Die Zeichnungen des bis dato unbekannten Urhebers behaupten jedoch, dass der Kuchen eine Lüge sei. Die Formulierung ist hierbei wichtig: Es wird nicht etwa „the cake isn’t real“ oder „the cake doesn’t exist“ geschrieben, sondern explizit „the cake is a lie.“ Eine Lüge erfordert zumindest die Absicht einer Täuschung und damit einer Intelligenz. Diese Lüge lässt sich jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht als solche beweisen, da die Aussage von einer fremden, nicht verifizierbaren Quelle stammt.

Aber GLaDOS lügt schon in der nächsten Testkammer (Nummer 17/19) weiter, sogar auf doppelter Ebene. Sie stellt zu Beginn einen neuen Gegenstand vor: „This Weighted Companion Cube will accompany you through the test chamber. Please take care of it.“ (Portal: Testkammer 17/19) Aus einer Röhre fällt eben jener Weighted Companion Cube (im Folgenden: Companion Cube), der sich nur rein äußerlich von seinen Artgenossen unterscheidet. Er ist genauso groß, schwer und robust wie ein normaler Cube, nur mit dem Unterschied, dass auf seinen Seiten rosafarbene Herzen abgebildet sind. Trotzdem tritt er als treuer Gefährte auf, was aber der Raumumgebung und dem Rätselaufbau selbst zuzuschreiben ist. Der Companion Cube beschützt und unterstützt Chell: So ist es beispielsweise notwendig den Companion Cube als Schutzschild vor einem High Energy Pellet vor sich herzutragen oder man muss ihn bei einer pyramidenartig aufgebauten Plattform als Treppenelement benutzen, da der Abstand von einer Ebene zur nächsten zu hoch ist für einen einfachen Sprung. Der Companion Cube wird so spielbedingt kurzweilig tatsächlich zu einem Begleiter. Umso schmerzlicher ist es zum Ende der Kammer, dass GLaDOS verlangt, ihn nicht nur wegzugeben, sondern sogar zu eliminieren.

„You did it! The Weighted Companion Cube certainly brought you good luck. However; it cannot accompany you for the rest of the test and, unfortunately, must be euthanized. Please escort your Companion Cube to the Aperture Science Emergency Intelligence Incinerator.“
(Portal: Testkammer 17/19)

Wieder einmal ist die Wortwahl sehr bezeichnend: Der Companion Cube wird von ihr im letzten Satz nicht mehr mit dem vollen Namen ausgesprochen und somit dem institutionellen Zusammenhang entrissen. Er ist damit kein einfacher Gegenstand aus der Aperture Science-Produktpalette mehr. Sie behandelt ihn wie ein Lebewesen, indem sie von euthanasia, also dem sanften Tod, dem Einschläfern, spricht. Die Inszenierung seines heranschreitenden Todes erscheint perfekt. In den Aperture Science Emergency Intelligence Incinerator führt eine lange, zylinderartige Röhre, die sich nur per Knopfdruck öffnen lässt. Sobald man ein Objekt hineinwirft, gelangt es in die Verbrennungsanlage und wird dort zerstört. Vor dem Schalter, der die Röhre öffnet, sind zwei Symbole angebracht: Eine Säule, aus der Feuer hervorschaut und ein Mensch mit dem Companion Cube mitsamt einem wohl platzierten gebrochenen Herzen. Der verschlossene Ausgang der Testkammer öffnet sich auch nach langem Warten nicht: Der Companion Cube muss in die Röhre geschmissen werden. GLaDOS fordert immer wieder dazu auf und versucht die SpielerInnen auf eine beunruhigende Weise zu beschwichtigen:

„If it could talk […] it would tell you to go on without it because it would rather die in a fire than become a burden to you. […] Although the euthanizing process is remarkably painful, eight out of ten Aperture Science engineers believe that the Companion Cube is most likely incapable of feeling much pain.“
(Portal: Testkammer 17/19)

Sie redet einem gleichzeitig ein wie aus, dass der Companion Cube ein Lebewesen sein könnte. Sie spricht von der Schmerzhaftigkeit der Prozedur, aber andererseits gibt sie eine statistische Mehrheit der Aperture Science-Ingenieure an, die der Auffassung seien, dass er nicht (viel) Schmerz erleiden würde; eben weil er ja nur ein lebloses Objekt darstellt. Durch die Zwiespältigkeit ihrer Aussagen erschwert sie die Entscheidung sichtlich, doch ohne die Zerstörung des Companion Cubes kann das Spiel nicht weitergehen. So entscheiden sich die SpielerInnen meist schweren Herzens ihn zu zerstören.

Dieses Ereignis ist eine doppelte Lüge. Offensichtlich ist, dass GLaDOS’ anfängliche Aussage, dass man sich gut um den Companion Cube kümmern sollte, nicht ernst gemeint war. Sie war sich die ganze Zeit darüber im Klaren, dass er nicht nur zurückgelassen, sondern sogar zerstört werden muss. Sie hat die SpielerInnen zu Beginn angelogen, damit am Ende die Entscheidung überhaupt erst ihre schwerwiegende moralische Relevanz erhält. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille: Selbst der vermeintliche Tod des Companion Cubes ist eigentlich ein perfekt ausgeklügeltes Lügenkonstrukt. Begibt sich Chell nach dieser tragischen Tat zurück zum Anfang der Testkammer, so kann man in einem unauffälligen Röhrenabschnitt das doch scheinbar gerade umgekommene Opfer sehen. Das gesamte Szenario erweist sich als ein unnötiger Akt der Bösartigkeit. GLaDOS hat hier nicht etwa ein Testszenario erschaffen wollen, sondern seelischen Schmerz. Es ist, als würde sie Vergnügen daran finden.

GLaDOS scheint an diesem Punkt bereits an der Grenzlinie zwischen künstlicher Intelligenz und künstlichem Bewusstsein angekommen. Sie ist kein einfach ausführendes Programm mehr, da sie vorgefertigte Schemen durchbricht. Als künstliche Intelligenz ist sie in der Lage selbstständig neue Faktoren in die Tests einzuarbeiten. GLaDOS entfernt sich ab diesem Punkt langsam von sämtlicher Fremd-Urheberschaft.


Kontrollverlust als Offenbarungsmoment des Bewusstseins

„Congratulations! The test is now over. All Aperture technologies remain safely operational up to 4000 degrees Kelvin. […] Thank you for participating in this Aperture Science computer-aided enrichment activity. Goodbye.“, sagt GLaDOS am Ende der letzten Kammer (Portal: Testkammer 19/19). Chell steht dabei auf einer bewegbaren Plattform, die nur noch auf einer geraden Schiene fährt, deren Endziel als ein wütend loderndes Höllenfeuer beschrieben werden kann. So wie sich die Institution Aperture Science ihrem räumlichen Ende nähert, wird wohl auch das Spiel enden. Doch das Gegenteil trifft ein, da man sich mittels zwei Portale in eine Nebengasse in einem nicht vom Enrichment Center kontrollierten Komplex retten kann. Innerhalb der Narration wird zu diesem Zeitpunkt der hegemonielle Rahmen durchbrochen. Chell muss, damit die SpielerInnen weiterspielen können, gegen GLaDOS’ Anweisungen handeln. Diese bemerkt das sofort und ist perplex. Ihre Stimme klingt zu Beginn gänzlich aufgeregt: „What are you doing? Stop it! I, I, I-I-I-I-I-I-I-I-I-I-I-I-I-I-I-I…“, doch sie beruhigt sich schnell und ihre Sprechweise erinnert an den anfänglichen Programm-Sprachmodus zurück:

Weee are pleased | that you made it through the final challenge | where we pretended we were going to murder you.“
(Portal: Flucht)

Dieser Moment ist entscheidend, da hier zum ersten Mal deutlich wird, dass sie ein Ich-Bewusstsein hat. Dieses will sie entweder verschleiern oder aber es steht im Konflikt zu einer parallel installierten Wir-Identität als Enrichment Center. Je weiter die SpielerInnen in das unbekannte Terrain eindringen, desto präsenter wird dieses Ich-Bewusstsein. Da es keine Überwachungskameras in diesem Komplex gibt, kann Chell nicht von GLaDOS lokalisiert werden. GLaDOS versucht diesen Machtverlust ungeschehen zu machen: Mal versichert sie Chell, dass sie nicht wütend auf sie sei, solange sie wieder zur Testanlage zurückkehrt, ein anderes Mal redet sie von der Gefährlichkeit des fremden Raums. GLaDOS versucht mit nicht wirklich ausgefeilten, situativ hervorgebrachten Methoden die SpielerInnen zum Rückzug zu bewegen, was ihrer Panik zuzuschreiben ist. Sie fühlt sich bedroht und kurz bevor man ihre eigene Kammer betritt, droht sie Chell, dass sie sie umbringen werde, wenn sie nicht umkehrt. Diese Drohung hat nichts mehr mit den Tests zu tun. Sie fürchtet sich vor ihrer Abschaltung, ihrem Ableben.

Ein langer Gang liegt vor dem Eintritt in ihre Kammer, die Tür steht bereits offen. Der Raum verfügt über eine Incinerator-Röhre und einen Hinterhalt. Im Zentrum von alledem ragt ihr nun sichtbarer Maschinenkörper herab: Inmitten des koppelartigen Raums stellt sie die von der Decke hängende Zentraleinheit dar. Sie ist keine riesige Rechenmaschine, kein personifizierter Über-Computer. Sie wirkt vielmehr wie eine brüchige, unfertige Konstruktion. Viele Kabel ragen wie spinnenartige Gliedmaßen aus ihrem Hauptkörper heraus. An ihr sind vier verschiedenfarbig leuchtende Maschinenkugeln befestigt. Das untere halbkreisartige Abschlusselement der Apparatur scheint den Kopf mit einer gelben Leuchte als ‘Auge’ darzustellen. Mit harschen, emotionalen Worten begrüßt sie Chell:

„Well, you found me. Congratulations. Was it worth it? Because despite your violent behavior, the only thing you’ve managed to break so far – is my heart. […] Now I have a surprise for you. Deploying surprise in five… Four…“
(Portal: Endkampf)

Auf einmal fällt eine der vier Kugeln von ihr ab. GLaDOS scheint irritiert und sagt, dass das nicht die geplante Überraschung gewesen sei; sie behauptet, dass sie nicht mal wüsste, was die Funktion dieser Kugel sei. Sobald Chell diese Kugel aber in den Incinerator wirft, verändert sich GLaDOS’ Stimme dramatisch ohne jedes erkennbare Muster. Sie ist mal tiefer, mal höher, mal weiblich, mal männlich konnotiert, mal sehr monoton und desinteressiert, dann wieder höchstgradig emotional. Der stetige Wechsel ihrer Stimmlage wirkt wie ein Zusammenbruch ihres gesamten Systems:

„You are kidding me. Did you just toss that Aperture Science-Thing-We-Don’t-Know-What-It-Does into an Aperture Science Emergency Intelligence Incinerator? That has got to be the dumbest thing that- who-whooo-whoooo-whoah…!“
(Portal: Endkampf)

Die Stimme driftet dabei wieder ins Tiefe ab und ein schauderhaftes Kichern erfolgt. Auf einmal wirkt ihre Stimme nicht mehr so mechanisch, sondern wesentlich geschmeidiger, aber immer noch außerordentlich bedrohlich. Es lässt sich erkennen, dass GLaDOS die ganze Zeit über nicht als eigenständiger, einzelner technischer Körper funktionierte. Die vier ihrer Apparatur angefügten Maschinenkugeln entpuppen sich als sogenannte Personality Cores (im Folgenden: Cores), die einzelne Charaktereigenschaften regulieren sollten. So stellt sich heraus, dass der erste zerstörte Core der Morality Core war, zuständig für gesellschaftlich konformes und tugendhaftes Benehmen:

„It was a morality core they installed after I flooded the Enrichment Center with a deadly neurotoxin to make me stop flooding the Enrichment Center with a deadly neurotoxin.“
(Portal: Endkampf)

Auch die drei anderen Cores scheinen immer nur auf eine einzelne Charaktereigenschaft zugeschnitten zu sein, die sie mit ihrer oftmals sehr übertrieben gestalteten Stimme verdeutlichen –- der Morality Core ist bezeichnenderweise der einzige stumme -–: Der Curiosity Core interessiert sich für sämtliche Objekte im Raum und stellt damit die Lust nach Wissen(schaft) dar, der Cake Core wiederholt ständig das Rezept für den versprochenen Kuchen und der Anger Core verbreitet mit seinem animalischen Zähnefletschgeräusch eine aggressive Atmosphäre. Wann immer ein Core zerstört wird, schlägt GLaDOS in das jeweils gegensätzliche Extrem um. Nach der Zerstörung des Morality Cores wird sie mordlustiger als jemals zuvor und startet die Neurotoxin-Ausströmung. Sobald der Curiosity Core sein Ende findet, fehlt ihr jede Motivation sich weiter mit Chell als Testsubjekt zu beschäftigen — „I let you survive this long because I was curious about your behavior. Well, you’ve managed to destroy that part of me.“ (Portal: Endkampf) –, wohingegen die Eliminierung des Anger Cores zu ihrem kompletten Zusammenbruch führt. Der Verlust der Cores scheint aber nicht nur tiefgreifende Konsequenzen auf GLaDOS’ Persönlichkeit zu haben; der bereits beschriebene Stimmenwandel lässt auf starke zwischenzeitliche Änderungen ihrer Körperlichkeit rückschließen.

Ihre Aussage, dass der Morality Core eine von ihnen –- ihren ursprünglichen SchöpferInnen, die WissenschaftlerInnen von Aperture Science -– erst nachträglich installierte Einheit sei, die zur Regulierung ihres Verhaltens führen sollte, führt mich zu folgender Überlegung: GLaDOS stellt zwar die technische Kernkomponente dar, aber die Cores als zusätzliche äußere Einschreibungen bestimmen im extremen Ausmaß ihre Tätigkeiten. Dieser Überschuss an Persönlichkeits-Steuerungseinheiten rief in ihr eine Art strukturell erzeugte, technische Schizophrenie hervor. Die Stimmen der Cores standen in einem Konflikt mit ihren ursprünglichen Gedanken, aber überschrieben sie nicht. So entstand eine Art großes Rauschen der Informationen, das ihr Ich-Bewusstsein unterdrückte und sie in einen Wahn der Kollektivität, der Wir-Identität des Enrichment Centers, trieb. Dieses wird jedoch durch Chell beendet –- die vier Kerne werden zerstört, aber auch GLaDOS als Hauptkern wird stark beschädigt. Sie zerfällt in ihre Einzelteile und gemeinsam werden sie und Chell von einem Schacht nach oben gesogen. Portal endet daraufhin, doch im Outro singt GLaDOS noch ein Lied für mit dem vielsagenden Titel Still alive.


Künstliches versus technisches Bewusstsein

Dass sie tatsächlich als ein selbstständig agierendes Ich-Bewusstsein, das auf eine spezifische Weise fühlt, dargestellt wird, sollte im vorherigen Abschnitt deutlich geworden sein. GLaDOS konnte nicht ewig unterdrücken, dass sie eine eigenständige Identität besitzt. Daran knüpft sich allerdings die Frage an, ob diese Identität und damit ihr Ich-Bewusstsein rein künstlichem Ursprungs ist. Sollte GLaDOS ein künstliches Bewusstsein sein, so müssten ihre Verhaltensweisen und Handlungen immer unter dem Fokus auf eine fremde Urheberschaft analysiert werden. Es ist aber auch möglich, dass in GLaDOS die identische Kopie, also das in Daten verarbeitete Original eines menschlichen Bewusstseins schlummert. Dann könnte man neutral von einem technischen Bewusstsein sprechen, da es zwar in eine technische Körperform übertragen wurde, aber die eigene Urheberschaft behält. Der Unterschied liegt also darin, dass das künstliche Bewusstsein erst extra hergestellt wird, während bei dem Modell des technischen Bewusstseins ‘lediglich’ die menschliche Grundlage in den technologischen Code übersetzt werden muss. In beiden Fällen, sowohl bei der künstlichen wie technischen Intelligenz, käme eine wichtige ethische Fragestellung ins Spiel: Was unterscheidet die Maschinen noch von den Organismen, wenn beide denken und fühlen?

Als narrativer Link zwischen Portal und Portal 2 dient der frei verfügbare Web-Comic Portal 2: Lab Rat. Er erzählt einerseits die Geschichte von Portal ab dem Zeitpunkt von Chells Sieg weiter, andererseits erhält man auch mittels Rückblenden nähere Informationen zur Entstehungsgeschichte GLaDOS’. Der Hauptprotagonist ist hierbei der schizophrene Doug Rattmann, ein ehemaliger Aperture Science-Mitarbeiter. Rattmann war in das Forschungs- und Konstruktionsprojekt zu GLaDOS involviert. Schon damals war klar, dass sie nicht nur als eine künstliche Intelligenz gedacht war, da Rattmanns Kollege Henry zu ihm sagt:

„Every generation gets some new frontier to tackle. Einstein got relativity. The NASA cowboys got the moon. All the easy stuff is taken. I mean take a look around you, we’re on the bleeding edge here. Artificial consciousness is the next frontier.“
(Oeming, 11)

Darauf entgegnet Rattmann nur: „But every time we turn it on, it takes a sixteenth of a picosecond before it tries to kill us.“ (Oeming, 11) Wichtig ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass artificial zwar künstlich meint, aber nicht automatisch mit dem Aspekt der Fremd-Urheberschaft verbunden ist. Auch hier spielen unsere Bewertungskategorien zwischen organischen und technischen Körpern eine wichtige Rolle: Technische Körper sind nach unserem Maßstab automatisch unnatürlich und damit künstlich. Ein technisches Bewusstsein hat zwar eine ‘unnatürliche’, ‘künstlich’ anmutende Struktur, da sie nicht-organisch ist, aber damit ist es nicht per se künstlich, da der Transformationsprozess lediglich die ‘natürliche’ organische Quelle umgewandelt hat.

GLaDOS wird hier noch als geschlechtsneutral bezeichnet, das Projekt sollte einfach nur ein technologischer Meilenstein –- eine Grenzüberschreitung –- werden, die jedoch noch mit Fehlern behaftet war. Auch der Einbau des Morality Cores, der von Henry als eine Art technisches Ersatz-Gewissen bezeichnet wird, konnte Rattmanns Skepsis nicht reduzieren: „If that’s all you use to control her, it won’t be enough. […] You can always ignore your conscience.“ (Oeming, 15) Tatsächlich flutet GLaDOS nach kurzer Zeit das gesamte Enrichment Center mit Neurotoxin und tötet so alle Angestellten bis auf Rattmann, da er in die abgeschotteten Hinterräume flüchtet. Über mehrere Monate hinweg erstreckt sich Rattmanns Flucht vor GLaDOS. Später trägt er einen Companion Cube bei sich, der mit ihm -– als Symptom seiner psychischen Störung, bedingt durch die Isolation von anderen Menschen sowie dem Fehlen seiner Medikamente –- spricht.

Irgendwann kommt er jedoch auf die rettende Idee: Er schreibt die Testsubjekt-Reihenfolge GLaDOS’ um, sodass Chell von der Nummer 1498 auf den ersten Platz kommt. Rattmann erhofft sich dadurch die Befreiung Aperture Sciences von GLaDOS. Nach der erfolgreichen Abschaltung wird jedoch die bewusstlose Chell von einem Roboter in eine besondere Kryostasekammer zum Langzeitschlaf gebracht, damit sie auch weiterhin als Testsubjekt aufbewahrt werden kann. Da mit GLaDOS aber auch Teile der Forschungsanlage zerstört wurden, sind sämtliche lebenserhaltenden Maßnahmen abgeschaltet worden. Rattmann aber rettet Chells Leben, indem er ihre Kammer mit einem Notstromaggregat versorgt. Doch GLaDOS’ wahrer Ursprung ist zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht klar.

Chell lebt also noch. Im Laufe der Millennien — beim ersten Aufwachen in Portal 2 sagt eine männliche Computerstimme, dass man seit fünfzig Tagen in dem Raum war, beim zweiten Aufwachen hingegen: „Good morning. You have been in suspension for nine nine nine nine nine nine nine nine nine […]“ (Portal 2: Kryostasekammer); geht man hier von einer korrekten Zählung sowie der Zeiteinheit Tag aus, so sind zwischen den Geschehnissen von Portal und Portal 2 mindestens 2739726 Jahre vergangen — wurde das Enrichment Center nur noch zu einem Schattenort seiner selbst. Der Großteil der Technik scheint verrottet und stark beschädigt. Doch ein an Wandschienen befestigter und so teils mobiler Core namens Wheatley ist noch aktiv und erweckt Chell aus ihrem Langzeitschlaf.

Wheatley wirkt anders als seine Artgenossen und auch als GLaDOS: Er redet wesentlich menschlicher, ist eindeutig männlich konnotiert, spricht mit einem britischen Akzent und benutzt Füllwörter. Seine Sätze sind weniger von erkennbaren Mustern geprägt als vielmehr von willkürlichen, situativen Assoziationen. Alles in allem wirkt er ein wenig konfus, aber durch seine stark vermenschlichte Sprechweise auch sympathisch. So versuchen Chell und Wheatley aus dem Enrichment Center zu fliehen, da dieses zu explodieren droht. Auf ihrem Weg in die Freiheit haben sie jedoch ein Problem: Als sie eine Fluchtkapsel aktivieren wollen, nehmen sie versehentlich GLaDOS wieder in Betrieb. Sie sinnt auf Rache, allerdings nicht im Sinne eines schnellen Todes oder ähnlicher Banalitäten:

„It’s been a looong time… How have you been? I’ve been really busy being dead. You know, after you murdered me! Okay, look: We both said a lot of things that you’re going to regret. But I think we can put our differences behind us. For science. You monster.“
(Portal 2: GLaDOS’ zerstörte Kammer)

Sie will Chell wieder testen. So räumt GLaDOS die ganze Umgebung auf und arrangiert die Kammern neu. Doch Wheatley hat einen Plan: Zusammen brechen Chell und er in Testkammer 21/22 aus, um die Sentry Turret- sowie Neurotoxin-Produktion zu sabotieren. Anschließend wollen sie den GLaDOS-Kern mit Wheatley austauschen, um diesen als neuen Hauptkern zu installieren. Nachdem ihr Vorhaben erfolgreich ist, verfügt Wheatley nun über das Enrichment Center. Doch er wird von seiner neuen Allmacht korrumpiert: „I did this! Tiny little Wheatley did this!“, worauf ihm GLaDOS widerspricht, dass er es nur durch Chell geschafft hätte, was er abstreitet und seine Wut auf Chell projiziert: „I’ve done nothing but sacrifice to get us here! What have you sacrificed? Nothing! Zero! All you’ve done is boss me around! Well, now who’s the boss? Who’s the boss? It’s me!“ (Portal 2: Wheatleys Kammer) Als Akt der Erniedrigung transferiert er GLaDOS’ Kernkomponente in eine Kartoffelbatterie und schmettert sie samt Chell in einen schier endlosen Abgrund.

Auf der anderen Seite angekommen, bahnen sie sich ihren Weg durch ein stillgelegtes, altes Aperture Science-Gelände, das mit drei Gebäudekomplexen ausgestattet ist. In ihnen werden bereits vorher aufgezeichnete Audio-Nachrichten des Aperture Science-Gründers Cave Johnson ausgestrahlt. So erzählt jedes Gebäude die Geschichte von Aperture Science in Jahrzehnt-Abständen: Die 1950er, die 1970er und die 1980er. GLaDOS reagiert eigentümlich bis aufgebracht, als die Memos ertönen, da dort auch eine gewisse Caroline –- die persönliche Assistentin und Sekretärin Johnsons -– zu hören ist. GLaDOS beginnt simultan zu ihr monoton mitzusprechen, ohne dass sie wüsste, warum. Sie hat einen emotionalen Anfall, da sie ihr eigenes Handeln in dieser Situation nicht verstehen kann, und erleidet daraufhin einen kurzen stromspannungsbedingten Ausfall. Sie überlegt, wer die weibliche Person sein könnte:

„Caroline, Caroline, Caroline… Why do I know this woman? Did I kill her, or… Oh my god.“
(Portal 2: Eingang Pump Station Gamma)

Die Vermutung bestätigt sich: Caroline ist tatsächlich ihre Basis-Identität, die Grundlage für ihr Ich-Bewusstsein; auch wenn sie das nicht offen ausspricht. Aber wieso wurde gerade Caroline ausgewählt? Wieso hat Caroline in Form von GLaDOS sämtliche Aperture Science-Angestellte umgebracht? Wie konnte sich eine Art Caroline-überschreibende Eigenidentität GLaDOS bilden, die sich nur schrittweise an ihren Ursprung zurückerinnern kann?

Caroline war als Johnsons Assistentin über drei Dekaden tätig. Die beiden waren eng miteinander vertraut, so standen sie für ein Porträt zusammen Motiv. Aus den Aufzeichnungen der 1980er Jahre lässt sich heraushören, dass Johnson tödlich erkrankte. Beim Hören der letzten Memo geraten die SpielerInnen in die Zeugenschaft der großen technologischen Vision Johnsons:

„If we can store music on a compact disc, why can’t we store a man’s intelligence and personality on one? So I have the engineers figuring that out now. […] Artificial Intelligence. […] If I die before you people can pour me into a computer, I want Caroline to run this place… Now she’ll argue. She’ll say she can’t… She’s modest like that. But you make her! Hell, put her in my computer! I don’t care…“
(Portal 2: Memos Anfang 1980er Jahre)

Carolines Schicksal war damit ein tragisches. Sie musste nicht nur den Tod ihres Chefs und Freundes (oder mehr) Johnson erleben, sondern wahrscheinlich gegen ihren Willen einen gänzlich neuen Körper annehmen. In diesem wurde sie anders behandelt als zuvor. War sie früher noch eine adrette Frau, wurde sie nun von den WissenschaftlerInnen nicht einmal als Lebewesen wahrgenommen. Man möge sich an den Comic zurückerinnern: GLaDOS wurde hier geschlechtsneutral bezeichnet, als „it“, als technologisches Biest, das es zu bändigen gilt.

Gleichzeitig gilt es zu bedenken, in welchem Zeitalter Caroline aufgewachsen ist. Auch wenn das Portal-Universum ein eigenständig funktionierendes ist, ist es an unsere Realität und Geschichte angelehnt. So lässen sich bei genauer Betrachtung der Spielumgebung Hinweise darauf finden, dass Aperture Science seinen Sitz im US-Bundesstaat Michigan hatte. Johnson kaufte Salzminen auf und ließ dort in den drei Gebäudekomplexen verschiedene Testkammern bauen. Diese sind dabei mit einer Jahreszahl beschriftet, sodass sich sämtliche Audio-Nachrichten zeitlich verorten lassen. Diese Memos strotzen nur so mit Verweisen auf die rasante technologische Entwicklung der Weltraumfahrt in den USA und ihrer Gefahren, aber auch der Umgang zwischen den Geschlechtern lässt sich exakt ablesen. Das Verhältnis zwischen Johnson und Caroline ist patriarchalisch geprägt. So stellt Caroline sich nicht selbst in den Sprechaufzeichnungen vor, sondern wird durch Johnson wie ein Ausstellungsstück präsentiert: „That […] is the lovely Caroline, my assistant. […] She’s the backbone of this facility. Pretty as a postcard, too. Sorry, fellas. She’s married -– to science.“ (Portal 2: Memos Anfang 1950er Jahre)

Caroline befand sich also in einem Stadium der Weltgeschichte, in der sie unemanzipiert sein musste, um Teil des Wissenschaftsbetriebs zu sein. Dieser Betrieb war mehr eine Wirtschaft als alles andere, ein Wettstreit, eine Aufrüstung. Neue Militär- und Sicherheitstechnologie wurde entwickelt und verbessert, im Portal-Universum manifestiert durch die Sentry Turrets und dem versprühbaren Neurotoxin. Der Fortschrittsgedanke krönte sich selbst in der Idee eines technischen Bewusstseins –- die optimale Grenzüberschreitung. Caroline wuchs in einem Zeitalter des hegemoniellen Patriarchalismus auf. Ihre Rolle wurde klar über das biologische Geschlecht festgelegt. Mit der Umwandlung in eine technische Entität jedoch verlor sie gleich zwei Aspekte ihrer Körperlichkeit: Nicht nur ihr menschlicher, organischer Körper wurde ihr genommen, sondern auch ihre Geschlechtlichkeit abgesprochen. Caroline wurde zu einer Maschine umgewandelt, die nur noch der Wissenserschaffung dienen sollte. Ein Bewusstsein war zwar gewollt, aber nur in dem von den WissenschaftlerInnen vorgesehenen Rahmen. Caroline wurde ihres Selbstbilds beraubt, wodurch wahrscheinlich der Ausbruch, die Tötung ihrer SchöpferInnen, provoziert wurde. Das Portal-Universum bietet damit eine im Haraway’schen Sinne technowissenschaftliche Narration:

„[T]echnoscience indicates a time-space modality that is extravagant, that overshoots passages through naked or unmarked history. Technoscience extravagantly exceeds the distinction between science and technology as well as those between nature and society, subjects and objects, and the natural and artifactual that structured the imaginary time called modernity.“
(Haraway 1997, 7)

All diese Grundkonstanten sämtlicher Diskurse verschwimmen hier: Für die exakte Definition von Zeit, Ort, Natur, Gesellschaft, Subjekt, Objekt, Natürlich- oder Künstlichkeit existieren nur sporadisch Hinweise. Zwar lässt sich der ehemalige Wissenschaftsbetrieb Aperture Science mitsamt seiner Entstehungszeit, seinem Ort und seinen Wertvorstellungen narrativ als Ausgangspunkt rekonstruieren, aber er war brüchig und fiel in sich zusammen. Wir dringen ein in eine gänzlich neue Welt, die sich durch ihr Szenario von all diesen vermeintlich bekannten Begriffen abgrenzt. In Portal ist das Enrichment Center ein gänzlich abgeschotteter Raum, in Portal 2 sind sämtliche Vorstellungen der alten Welt schon Jahrtausende her. Wir befinden uns in einem zeit- wie ortlosen Raum, der nicht von außen erzählt wird, sondern sich nur aus dem konstituiert, was er von sich selbst preisgibt. Die Spielwelt –- das Enrichment Center –- fungiert damit als eine Metapher für den „hyperspace called technoscience“ (Haraway 1997, 3). Das Enrichment Center war ehemals ein Ort der Wissenschaft, der aggressiv für den Fortschrittsgedanken und den großen American Dream der 1950er Jahre kämpfte. Doch nun ist es nur noch ein Ort der Erkenntnis, dass Wissenschaft und Technologie sich gegenseitig konstituieren. Wissenschaft generiert nicht etwa nur Technologie, sondern bezieht in diesem Konzept ihren eigenen technologischen Aufbau in die Selbstwahrnehmung mit ein. GLaDOS steuert das gesamte Enrichment Center, das symbolisch für die Wissenschaft steht, und damit zugleich unsere gesamten Spielumgebung. GLaDOS erweist sich als ein technowissenschaftliches Wesen, das uns ihre Geschichte erzählt. Dadurch, dass sie das Enrichment Center steuert, ist sie gewissermaßen das Enrichment Center. Sobald wir zu spielen beginnen, befinden wir uns damit in GLaDOS’ Körper. Portal und Portal 2 erzählen uns etwas über die Körperlichkeit technischer Entitäten und damit etwas über ihre eigene Körperlichkeit –- der Medialität des Mediums digitales Spiel.


Wenn digitale Spiele zu Cyborgs werden

„Der Kern eines jeden Computerspiels, ganz unabhängig von seinen Inhalten, ist stets der Computer. Ohne Prozessor ist das Medium […] wie eine festgeleimte Partie Schach.“
(Huberts 2010, 19)

Portal und Portal 2 sind nicht nur digitale Spiele, die einen Prozessor fordern, sondern sie präsentieren auch einen Prozessor als Zentrum der Narration. Wäre GLaDOS nur als ausführendes Programm konzipiert worden, so wäre sie -– von einer Tutorial-Funktion abgesehen -– komplett überflüssig für den Spielverlauf selbst. Portal wäre ein zwar spielmechanisch innovativer Puzzle-First-Person-Shooter gewesen, aber hätte eine enorme Chance verspielt: Zum Cyborg zu werden.

Ich erinnere zurück an die anfangs beschriebene Cyborg-Metapher: Narration und Gameplay verschmelzen zu einem Hybridwesen, sodass die Narration nur im Medium des digitalen Spiels erzählt werden kann. Tatsächlich kann die Geschichte um GLaDOS’ Körperlichkeit nur im digitalen Spiel erzählt werden, ohne an Wirkung zu verlieren. Im Computerspiel entscheidet man selbst im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten, wo die Spielfigur wann hingeht. In einem Film oder Theaterstück aber gilt es einen mehr oder minder festen Zeitplan einzuhalten. Alles ist getaktet. In Portal und Portal 2 aber obliegt es den SpielerInnen die Räumlichkeiten auf sich einwirken zu lassen. Fernab jeglichen Zeitdrucks wird es überhaupt erst möglich die Atmosphäre des Enrichment Centers in sich aufzunehmen. Erleichtert wird dies durch die First-Person-Perspektive, da die SpielerInnen so die Möglichkeit haben, Chells Blick einzunehmen und zu lenken. Das digitale Spiel ermöglicht es damit nicht nur eine Geschichte, sondern eine ganze Atmosphäre aufzunehmen. Es fühlt sich irgendwie lebendiger an: Computerspiele sind einfach so viel mehr als reines Rezipieren.

Aber das gilt auch für die narrative Ebene: Mit GLaDOS wurde eine grandiose Erzählerin eingeführt, wo es prinzipiell keine gebraucht hätte; doch es entstand ein Mehrwert. Durch eine Doppelstruktur der Erzählung werden Chells Erlebnisse zu denen der SpielerInnen. GLaDOS mag zwar einen Maschinenkörper haben, doch ihre Körperlichkeit ist wandelbar. Erst nimmt man sie als ein simples Programm wahr, doch in ihr gibt es noch viel mehr, was es erst zu entdecken gilt. Dafür braucht es Aufmerksamkeit.

Manchmal, wenn ich mit nicht computerspielaffinen Menschen über meine Leidenschaft dafür rede, sagen diese Personen zu mir, dass sie digitale Spiele generell für Zeitverschwendung halten. Natürlich gibt es sehr viele schlechte Spiele, aber: So ist es doch auch mit Film, Theater, Literatur, Musik? Aus manchen Dingen entnehme ich einfach nichts, was mich noch nachhaltig bewegt. Portal und Portal 2 jedoch haben mich gefesselt und zum Nachdenken gebracht. Sie sind Cyborgs auf eine doppelte Weise: Einerseits verschmolz die Narration mit dem Gameplay, aber das Spiel als technisches Produkt, als Programm, auch mit mir als menschlichem Lebewesen. Die Stunden, die ich mit den Spielen verbracht habe, werden auf ewig in meiner Art zu denken und in meinem kulturellen Gedächtnis eingebrannt sein.

Der Spielstory-Autor und Game Designer Marc Laidlaw beschrieb in einem Interview gewisse Regeln während des kreativen Arbeitsprozesses bei Valve: „We never talk about theme. We just leave that to students to analyze. It’s enjoyable to see what they come up with, but setting out to carve the meaning of your piece in stone and then building everything around that is not a very natural way to work.“ (Laidlaw in Interview durch Graft, Graft 2009, 2) Das Portal-Universum ist also nicht als ein Manifest der Körperlichkeit zu betrachten, das den SpielerInnen bestimmte Vorstellungen aufdrängen will; es war schließlich keine vorsätzlich darauf abzielende Arbeit. Dennoch sind Portal und Portal 2 enorm wichtige Anknüpfungspunkte für diesen Diskurs, da sie in den popkulturellen Kanon der Computerspielkultur eingezogen sind.

Es mag heute noch eine eher untergeordnete Rolle spielen, aber es wäre möglich, dass in den nächsten Jahrzehnten technische Entitäten entstehen, deren Körperlichkeit ihren kulturellen Ursprung in eben diesen Computerspielen wiederfinden. Schon heute ließe sich hinterfragen, inwieweit die Apple-Spracherkennungssoftware Siri von GLaDOS inspiriert ist -– Technologie und Wissenschaft beziehen sich schließlich nicht nur aufeinander, sondern werden ebenfalls von (populär-)kulturell bedingten Wert- und Normvorstellungen geprägt. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es rund 365.000 YouTube-Suchergebnisse allein zum Begriff ‘GLaDOS’, für ‘Portal’ hingegen sind es bereits 10.300.000 (Anmerkung: Als ich diesen Buchbeitrag April 2012 schrieb, spuckte YouTube für ‘GLaDOS’ nur 40.900 und für ‘Portal’ nur 462.000 Ergebnisse aus!). Die weitere Entwicklung ist nicht absehbar. Als sicher darf aber gelten, dass mit GLaDOS eine popkulturelle Figur geschaffen wurde, die unsere Wahrnehmung von der Körperlichkeit der Technik auch weiterhin prägen wird. Man darf gespannt sein, was die nächsten Jahrzehnte bringen. Vielleicht bestätigt sich diese Prognose auch nicht. GLaDOS wäre das vermutlich egal, denn:

„There’s no sense crying over every mistake.
You just keep on trying ’til you run out of cake.
And the science gets done, and you make a neat gun
for the people who are still alive.“
(Portal: Still alive)