Wir haben sechs Games-Expertinnen gefragt,
was sie von diesem Jahr von Virtual Reality,
Nintendo und der Zukunft des
Indiegames erwarten.
Der Februar steht vor der Tür, die letzten Rückblicke auf 2016 sind geschrieben und es ist endgültig an der Zeit, nach vorne zu schauen: Was erwartet Spieler_innen in diesem Jahr? Kann Nintendo mit ihrer neuen Konsole Switch wieder ganz oben mitspielen? Wird Virtual Reality mit Geräten wie dem Rift, Vive und PlayStation VR endlich den großen Durchbruch erleben? Und wie ist es nach all dem Gerede über eine “Indiepocalypse” um die kleinen Kreativen bestellt?
Wir haben ein paar Expertinnen aus Akademie, Spieleentwicklung und Journalismus gefragt, welche Erwartungen, Wünsche und Befürchtungen sie mit dem Jahr 2017 verbinden.
Lea Schönfelder
Gamedesignerin (Perfect Woman), ustwo games, @LeaSchonfelder
„Ein Wunsch: In der Spieleindustrie arbeiten größtenteils Menschen, die sich sehr ähnlich sind. Meistens sind sie eher jung, technik-affin und ihr größtes Hobby ist Computerspiele spielen. Ich wünsche mir, dass in der Zukunft Menschen mit unterschiedlichsten Grundvoraussetzungen und Interessen in unserer Branche arbeiten, damit wir nicht auf der Stelle treten und unser Medium sich weiter entwickeln kann.
Eine Befürchtung: Spiele machen in Deutschland wird immer mehr und immer ausschließlicher als Business gesehen. Wir alle wollen mit Spielen Geld verdienen. Aber wenn Revenue eine höhere Priorität hat als ein gutes Spiel zu machen, schaden wir der Glaubwürdigkeit unserer Branche – und damit auch ihrer Wirtschaftlichkeit.
Eine Vorhersage: Wir werden 2017 viele Spiele spielen, die sich mit der Realität auseinander setzen. Indies sowie große Studios werden die Möglichkeit wahrnehmen, gesellschaftliche Entwicklungen zu kommentieren. Spiele werden um Verantwortung gehen, um Gerechtigkeit, um Konkurrenz, Neid und um Liebe. Da freu ich mich drauf.“
Kristin Knillmann
ehemalige Chefredakteurin bei GIGA GAMES, @kristinthefox
ehemalige Chefredakteurin bei GIGA GAMES, @kristinthefox
„Wunsch: Ein Revival der Handhelds. Als berufstätige Irre mit wenig Zeit liebe ich meine diversen Handhelds für mobiles Spielen in der Bahn. Für die einen ist die PS Vita tot, für mich persönlich ist sie der heiße Scheiß, den ich jeden Tag in die Hand nehme, um noch kurz diese eine Visual Novel zu lesen oder eine Runde in meinem liebsten Indie-Game zu drehen. In der großen Menge hat die mobile Sony-Konsole – zumindest bezogen auf den europäischen Markt – nicht viel verloren: Wer heute mobil spielt, macht das meistens direkt auf dem Smartphone, das sowieso immer in der Tasche des Vertrauens herumlungert.
Während der Mobile-Markt also immens wichtig geworden ist, reizen mich seine Spiele auf eine ganz andere Art und Weise als die der nischigen Handhelds: Ich habe viele Favoriten auf meinem iPhone, die mit eigenen Ideen am Start sind. Aber keines davon verschlinge ich für mehrere Stunden am Stück. Bei meiner Vita sieht das ganz anders aus: Dort ist die Spielauswahl zwar klein, aber die ungewöhnlichen Geschichten – viele von ihnen japanischer Herkunft – reizen mich so sehr, dass ich den Akku gern am Stück leer spiele. Davon hätte ich gern noch mehr: Zum Beispiel einen neuen Handheld, der sowohl vom Hersteller als auch von 3rd-Party-Entwicklern mit tollen, seltsamen Spielen unterstützt wird. Oder den Game Boy als Neuauflage mit vielen integrierten Klassikern – wie neulich beim NES Mini. Oder halt einfach eine erfolgreiche Nintendo Switch, die in ihrer Hybrid-Form prima als Unterwegs-Konsole fungieren kann – wenn denn die richtigen Games ihren Weg auf die Plattform finden.
Vorhersage: 10/10-Regen für Persona 5. Hypetrains sind etwas ganz Böses, ich weiß. Und trotzdem bin ich mir jetzt, Monate vor dem Release von Persona 5, bereits sicher, dass das Spiel so einige 10er-Wertungen absahnen wird. Es ist ein gutes Zeichen, dass sich die japanischen Fans, die Persona 5 bereits seit letztem Herbst spielen dürfen, in Foren vor Freude derart überschlagen. Nicht selten ist davon die Rede, dass der Titel den Vorgänger Persona 4 (Golden) bei Weitem schlagen kann – und selbst der durfte damals in 2013 bereits die ein oder andere 10 von 10 feiern. Dass Teil 5 womöglich noch besser wird, sehen übrigens auch all diejenigen, die sich einen Trailer oder GIFs zum Spiel ansehen: Selten triefte ein Spiel so dermaßen vor Style wie dieses. Alles fließt, die Farben stimmen und jede Animation sitzt. Dass der Mix aus Dungeon Crawler, Dating Sim und Rollenspiel spielerisch ebenfalls was kann, wissen alle, die einen der Vorgänger gespielt haben. Der Rest von euch darf mir auch einfach so glauben.
Befürchtungen: Der Durchbruch von VR bleibt aus. Im letzten Jahr hatte ich meine ersten Berührungen mit der virtuellen Realität. Sowohl HTC Vive als auch PlayStation VR begeisterten mich beim ersten, zweiten, dritten Ausprobieren, und auch nach Stunden des Spielens wurde ich noch nicht müde, alle verfügbaren Spiele und Programme für die moderne Hardware zu testen. Inzwischen sind einige Monate vergangen – und die VR-Brillen liegen, so wie ich es mir immer wieder vorab gedacht habe, in der Ecke herum und fangen Staub.
Keine Frage: Die virtuelle Realität im eigenen Wohnzimmer erleben zu können, ist ein massiver Fortschritt. Auch außerhalb des Gamings deckt die Technologie spannende Bereiche ab. Und doch bleibt der kommerzielle Erfolg (noch) aus, denn: Die überzeugende Software fehlt. Manche Spiele lösen Motion Sickness aus, andere sind einfach nicht kreativ genug und wiederum andere taugen maximal als Demo mit smarten Ideen. Große umfangreiche Spiele? Titel, die sich vom Genre oder perfekt angepassten Ideen für die VR-Hardware eignen? Gibt es noch nicht wirklich. Das anstehende Resident Evil 7 kann hier einen Schritt in die richtige Richtung gehen – ich befürchte aber, dass der große VR-Durchbruch auch in diesem Jahr noch nicht kommen wird.“
Alice Wilczynski
Videoredakteurin bei 4Players
Videoredakteurin bei 4Players
„Sonys VR-Headset PlayStation VR ging 2016 mit einem üppigen Spiele-Aufgebot an den Start. Die anfänglich euphorischen Verkaufsprognosen von 2,6 Millionen Verkäufen wurden laut SuperData mittlerweile auf 750,000 korrigiert. Ein Grund für das geringe Interesse könnte das Fehlen einer “Killer-App” sein. Mit Resident Evil 7 erscheint für Fans des Survival-Horrors im Januar zwar ein kleines VR-Highlight, doch interessante Ankündigungen sucht man, bis auf den kommenden VR-Shooter Farpoint, 2017 vergebens. Ich hoffe sehr, dass die PlayStation VR dieses Jahr erneut mit tollen Spielen befeuert wird. Es wäre sehr schade, wenn Sonys Headset ein ähnliches Ende wie die PS Vita findet.
Kennst du ein gutes Koop-Spiel, das man auch offline spielen kann? In den letzten Jahren fiel es mir immer schwieriger, diese Frage zu beantworten. Auch wenn mich das Launch-Line-Up der Nintendo Switch mit seinen schnarchigen Konzepten enttäuschte, gibt es Hoffnung. Spiele wie 1-2-Switch!, Has Been Heroes und Snipperclips werden vor allem als Koop-Erfahrung überzeugen. Ich bin gespannt, ob die Nintendo Switch es schafft, dass „Rudelspiele“ wieder mehr in den Fokus zu rücken.“
Jana Reinhardt
Gamedesignerin bei Rat King, Indie Arena Booth, @RottenHedgehog
„Für dieses Jahr interessieren mich drei Themen ganz besonders: Die Nintendo Switch, VR und wie es mit den App-Stores und Bundles weitergeht.
Im Grunde hat die Switch keine Kerninnovation wie die Wii damals 2006, aber der Fokus auf die Controller Joy-Cons und deren Features lässt doch auf eine perfekte Multiplayerkonsole hoffen. Wenn Nintendo jetzt noch den Onlineservice auf die Reihe kriegt und die Portierungsmöglichkeiten für Indies flüssig funktionieren, könnte das vielleicht eine kleine Local-Multiplayer-Revolution auslösen. Die Lust, Multiplayergames zu entwickeln, ist bei Indies enorm gestiegen. Allein die Verkaufszahlen auf Steam sorgen bisher nicht unbedingt für Begeisterung.
Wenn die Konsole hält, was die Werbevideos versprechen, wird die Switch außerdem den Weg für neuartige Spielkonzepte ebnen. Johann Sebastian Joust lässt grüßen, aber auch Blödsinn wie Wettmelken oder eben das angekündigte 1-2-Switch. Die Joy-Cons stehen im Mittelpunkt und kommen fast ohne Bildschirm aus. Das ermöglicht physisches Spielen, das nicht nebeneinander, sondern miteinander stattfindet. Ich wünsche mir, dass Nintendo offen für Konzepte ist und es ihnen in Zukunft auch mal gelingt, nicht nur hauseigene Titel an die Leute zu bringen, sondern dass sich unabhängige Produktionen für die Entwickler genauso rechnen.
Das gleiche Gefühl löst VR bei mir aus. Ich bin – je mehr ich mich gerade wieder ins Virtuelle stürze – beflügelt von den Möglichkeiten. Oder bin ich nur begeistert wie enthusiastisch Neulinge reagieren? Bei dem offenen Mund, den VRgins machen, möchte man direkt zum Apostel der neuen Religion werden. Ich wünschte nur, es wäre alles noch etwas zugänglicher, günstiger und warum machen eigentlich nicht mehr VR-Cafés auf? Spiele gibt es inzwischen genug. Die Schlangen beim Holocafé in Düsseldorf und auf der Gamescom sollten für sich sprechen. Dabei muss es nicht gleich die Vive sein. Ich habe die große Vive-Verschenkphase leider verpasst und schau mir daher gerade eher Google Cardboard-kompatible Systeme an. Am Wochenende gab’s bei uns Familientreffen und ich hab meine 360°-Urlaubsfotos mit der VR-Brille gezeigt. So fängt die Zukunft an. Der VR-Spiele-Markt scheint gesättigt. Wer die Vive wollte, der hat sie.
Daher könnten die großen Innovationen dieses Jahr eher bei Filmen und Fotos zu finden sein. Die sind für Normalverbraucher auch wesentlich zugänglicher. Ich glaube, was VR gerade dringend braucht, ist vom hohen Tech-Freak-Ross geholt zu werden. Hoffentlich gelingt das mit einer Weiterverbreitung der günstigeren Systeme 2017, damit sich in Zukunft mehr Cardboard-Benutzer zu den Technik-intensiveren Brillen hinreißen lassen.
Mein Wunsch für 2017 ist, dass die Mobile App Stores – aber auch Steam – endlich mal eine Überarbeitung finden. Für mich ist der AppStore am Ende. Die wenigsten verdienen ohne dickes Marketing noch über einen längeren Zeitraum an ihren Titeln. Und bei Steam setzt sich das Problem fort. Nach fast fünf Jahren und dem Mantra, Valve plane sowieso Greenlight abzuschaffen, würde ich mir wünschen, dass es 2017 endlich mal soweit ist. Wozu noch? Und bitte stellt doch endlich Leute ein, die diesen verdammten Store vernünftiger kuratieren! Sonst droht nur das gleiche Schicksal wie dem Appstore. Niemand will das, weder Spieler noch Entwickler! Vor lauter Müll findet man gar nichts mehr. Okay, klar, bei aktuellen PC-Spielen brauchen das viele auch nicht. Aber wer mal versucht hat, eine sinnvolle Liste an Multiplayer- oder VR-Games zu suchen, ist wirklich aufgeschmissen. Da helfen auch Tags nur bedingt weiter.
Achja, noch was: Ich feiere jeden Bundle-Anbieter, der das Handtuch wirft. Da werden wir uns 2017 sicher wieder von einigen überflüssigen Stores verabschieben. Und kommt mir jetzt nicht mit, dann müsst ihr Entwickler bessere Spiele machen. Mit der Entwertung von digitalen Produkten werden Spiele nicht besser. Entwickler gehen nur Risiken ein, wenn sich die Plattform lohnt. Egal ob Steam, AppStore, Switch oder VR.“
Rae Grimm
Head of GamePro.de, @freakingmuse
Head of GamePro.de, @freakingmuse
„Das Konzept einer Konsole, auf der ich problemlos unterwegs weiter spielen kann, finde ich super. Allerdings brauche ich hierfür die passenden Spiele und daran mangelt es mir beim Nintendo Switch persönlich noch. Mario, Zelda und Skyrim sind zwar schön und gut, allerdings fehlen mir bisher neue, originelle Ideen, die zeigen, dass die Switch auch ins Wohnzimmer von Leuten gehört, die keine Hardcore-Nintendo-Fans sind und mehr als die übliche Zielgruppe ansprechen. Bisher sind im Lineup die üblichen Verdächtigen und einige Spiele, die es schon seit Jahren auf anderen Plattformen gibt. Gute Spiele, aber die große Überraschung fehlt noch. Ich hoffe, dass daran rasch etwas geändert wird, damit sich nicht die Fehler der Wii U wiederholen.
Weil wir gerade beim Thema Überraschungen sind: Das vergangene Jahr fiel unter anderem dadurch auf, dass einige AAA-Titel hinter den Erwartungen zurück blieben und das obwohl sie durchaus gut und noch dazu Teile von großen Franchises waren. Vielleicht war aber genau das eines der Probleme. 2017 kann daran vielleicht etwas ändern, denn neben Fortsetzungen bekannter Reihen sind einige neue Marken am AAA-Horizont. Hoffen wir, dass sie mit frischen Ideen, Charakteren und Settings der Blockbuster-Müdigkeit entgegen wirken können.“
Valentina Hirsch
Journalistin, Bloggerin, Pixelmacher(in), @Silbendrechsler
Journalistin, Bloggerin, Pixelmacher(in), @Silbendrechsler
„Virtual Reality bleibt ein teures Nerd-Gadget. Punkt. Ich bin mir da ziemlich sicher. Auf der Achterbahn durchs Gruselkabinett zu rauschen oder à la Sons of Anarchy aus dem Van mit getönten Scheiben heraus auf Verfolger zu ballern macht Spaß. Richtig viel sogar. Ungefähr eine halbe Stunde und dann ist gut. Und das ist mit 400 Euro einfach weit zu teuer. So enthusiastisch das teilweise gefeiert wird bzw. zum Thema des Jahres 2016 wurde. Ich fürchte, das spiegelt nicht unbedingt das wirkliche Bedürfnis viele Spieler ab. Und die Verkaufszahlen – zumindest von Sonys VR-Brille – stützen diese These. Moment: Doom VR? Mitten im Gemetzel sein? Das könnte spannend sein. Bestimmt eine halbe Stunde lang!
Und sonst? Erwarten uns zwei neue Konsolen. Ganz bald die Nintendo Switch und ganz viel später, zu Weihnachten, die XBox Scorpio. Bei Switch bin ich verhalten optimistisch, dass das was wird. Scorpio ist zwar nicht nichts, aber in diesem Segment noch eine neue Konsole? Naw… Zugegebenermaßen weiß man noch nicht allzu viel über Scorpio, außer dem, was das offizielle Video verspricht: „It’s a monster!“. Mehr Leistung, mehr Immersion, heißt es da unisono. Ich bin da skeptisch: Technik allein macht nichts besser. Ich habe jedenfalls noch keinen Film gesehen, der in 3D besser war als in 2D.
Mein Wunsch: Mehr Thema! Peter Molyneux macht noch mal ein Spiel, das so gut ist wie Fable 3. Und wenn er dafür wieder drei Anläufe braucht. Warum ich ausgerechnet die Fable-Reihe anführe? Weil der Mann oder das Team dahinter überhaupt mal ein Thema hatte, mit dem sich das Spiel auseinander gesetzt hat. Nebenbei war Fable 3 ein dramaturgisch gutes Spiel mit allen Dingen, die ein Action-Adventure so braucht. Und im Grundtenor ging es um das Gut/Böse-Thema und wie schwer es ist, einfach nur eins von beiden zu sein. Ich würde mir mehr Kreative wünschen, die überhaupt mal ein Thema durchdeklinieren. Auch im Bereich abseits von emotionalen Indie-Titeln.
Wie wäre es zum Beispiel mit Zeitgeist-Themen, statt dem drölfmillionsten Zombie-Spiel? Natürlich ist das auch ein bisschen Zeitgeist, wenn man sich näher damit befasst. Und wirklich, ich mag Zombies grundsätzlich, aber das ist nicht direkt ein Thema. Ich meine eher sowas wie beispielsweise Watch_Dogs, wo es um Vernetzung geht. Ein Thema, das in Literatur und Film wer-weiß-wie-oft durchgespielt wird, nur Spiele verlassen ganz selten angestammte Themen-Bereiche.
Spielerisch befürchte ich (noch) mehr vom Gleichen. Apokalypse und Prinzessinnen retten. Bewährtes muss nicht schlecht sein, aber wenn schon more of the same, dann ist es bestimmt doch wieder ein SSX-Spiel, das nicht so gut ist wie seinerzeit auf der PlayStation 2.“
Was erwartet ihr vom Jahr 2017? Stimmt ihr den Expertinnen zu oder seid ihr ganz anderer Meinung? Diskutiert zusammen mit unserer Community in den Kommentaren!