Wachstumsschmerzen: Ein Medium in der Adoleszenz

Wann immer jemand in den letzten Jahren behauptete, Videospiele seien erwachsen geworden, hätte ich am liebsten eine unverhältnismäßig starke Wutreaktion gezeigt, für die ich aber dann doch zu besonnen bin. Dennoch ist mir diese Aussage bis heute zuwider. Videospiele begleiten mich seit Anfang der 1990er Jahre, seit einer Zeit also, in der wir beide noch in den Kinderschuhen steckten. Die Annahme, wir wären gemeinsam aufgewachsen und erwachsen geworden mag da zwar naheliegen, mein Gefühl sagt mir aber etwas völlig anderes: Ich bin erwachsen, Videospiele sind es nicht. Und wir können auch nicht zusammen alt werden.

Peter Pan

“I’m youth, I’m joy, I’m a little bird that has broken out of the egg.”
(Peter Pan)

Es gibt eindeutige Indizien dafür, dass zumindest ich erwachsen geworden bin. Im Geschäft siezt man mich und fragt, ob ich wohl eine Payback-Karte besäße. Man verlangt nicht mehr nach meinem Ausweis, wenn ich für eine Gruppe Siebtklässler harten Alk und Vanille-Zigarillos kaufe. Außerdem musste ich SWAG erst nachschlagen und bin mir dessen Bedeutung trotzdem nicht hundertprozentig sicher. Alles in meinem Leben ist ein wenig seriöser und langweiliger und das Bedürfnis, zu wissen, was gerade Phase ist, lässt spürbar nach. Gleichzeitig lese ich wieder irgendwo, wie erwachsen Spiele doch geworden seien und fasse mir an meinen schrumpfenden Schädel. Sind sie doch gar nicht. Können sie zu diesem Zeitpunkt auch gar nicht sein. Denn diese Aussage suggeriert zwei völlig abwegige Grundannahmen und Lesarten der Videospielgeschichte. Etwa, dass Spiele zunächst kindisch und unreif waren. Ziellos und trotzig verschwendete Zeit, ohne Sinn und Verstand. Unkultiviert, wenn man so will.

Die zweite Interpretation erschließt sich aus der ersten: Videospiele sind Kinderkram. So wie man gern einsame Männer bei „Schwiegertochter gesucht“ als soziophobe Peter Pans darstellt, wenn sie in ihrem Jugendzimmer stolz ihre Modelleisenbahn präsentieren, so schrullig wird mit einer solchen Aussage das Bild eines Erwachsenen gezeichnet, der in den 90ern einen Controller in der Hand hielt. Doch waren Spiele in ihrer Gesamtheit vor der Jahrtausendwende nicht spürbar kindischer oder kindlicher als sie es heute sind. Nur das Bild der Menschen, die Freude an ihnen hatten, war von derlei Vorurteilen durchdrungen. Wenn man also sagt, Videospiele seien erwachsen geworden, meint man vielmehr die öffentliche Wahrnehmung des Mediums und seiner Anhänger, nicht die Spiele an sich. Es ist nicht mehr als ein nett gemeinter Wortlaut, der den Wert eines Kulturguts anhand seiner technischen und ökonomischen Entwicklung bemisst und dabei Gefahr läuft, dessen frühe Meisterwerke zu banalisieren. Und nicht zuletzt auch die Aufrichtigkeit und Legitimität der empfundenen Freude, die sie hervorgerufen haben.

ellie

“Man, you lived in a strange time.” (Ellie)

Als langjähriger Videospieler fühle ich mich aber manchmal tatsächlich wie ein Vater, dem das Heranwachsen seines geliebten Kindes viel zu schnell geht. War es denn nicht erst gestern, dass ein kleiner Pixelhaufen in 128 Farben unbeholfen über meine alte Röhre krabbelte? Heute kann ich die Farben und Animationen gar nicht mehr zählen, die Ellie in The Last of Us so real wirken lassen. Auf der einen Seite möchte ich diesen Fokus auf technologische Aspekte so gerne verdammen, auf der anderen kann ich aber auch nicht leugnen, dass diese einen immensen Einfluss auf die Qualität vieler Geschichten und Charaktere haben, die heutzutage über meinen Bildschirm flimmern. Dass aber auch die Technologie noch lange nicht mit Anzug und Schlips jeden Morgen ins Büro pendelt, sollte nicht zuletzt durch die beeindruckenden Innovationen in Sachen Bewegungssteuerung und Virtual Reality überdeutlich geworden sein. Man vergisst ja gerne, dass zwischen Kindheit und Erwachsensein die vielleicht aufregendsten Jahre liegen, die zeitgleich zu unseren prägendsten gehören. Die Literatur wurde ja auch nicht mit Shakespeare erwachsen, der Film nicht mit der Reifeprüfung, auch wenn es der Titel zugegebenermaßen suggerieren könnte. Deren Entwicklung lässt sich nicht ohne Weiteres in derlei humanistische Metaphern kleiden, um sie begreifbar zu machen, gleiches sollte für Spiele gelten. Da aber auch mir andere Beschreibungen oft zu abstrakt erscheinen, gilt für Ellie, solange sie ihre Füße noch unter meinen Tisch stellt, sie in meinen Augen nicht erwachsen ist.

OculusRift1

“We’re going to be remembered as the dorky looking goggles that people were putting on in the beginning.” (Brendan Iribe)

Doch ich spüre, dass sich unsere Wege irgendwann trennen werden und sie ausziehen wird. So wie die eigenen Eltern nur noch Bryan Adams hören und denken, Lady Gaga sei doch dieser große Hit von Queen, so sind mir gerade diese bahnbrechenden Fortschritte in Sachen Kinect und Oculus Rift unheimlich suspekt und fremdartig. Ich interessiere mich plötzlich eher für Retrospiele, weil diese bis heute auf eine gewisse Art und Weise meine Gegenwart geblieben sind. Und es beruhigt mich ungemein, dass sich gerade im Indie-Bereich so viele Entwickler nach demselben, klassischen Gameplay zurückzusehnen scheinen. Doch für das Medium als solches sind sie ein Gift, das dessen Entfaltung hemmt. Für mich mag Tetris noch heute das perfekte Spiel sein, aber ich gestehe ein, dass dies wohl meiner schwindenden Anpassungsbereitschaft geschuldet ist. Irgendwann wird man nicht mehr erwachsen, sondern ist nur noch alt. Spiele wie The Vanishing of Ethan Carter sind mein Rollator, weil ich mich in kompetitiven Titeln mittlerweile der Jugend geschlagen geben muss. Und auch wenn wir eines Tages auseinander gehen werden und, Gott bewahre, der Kontakt gänzlich abreißen sollte, bin ich mir sicher, dass ich dennoch unendlich stolz darauf sein werde, was aus meinem Baby geworden ist.