Kind oder Tintenfisch?
Multiplayer-Shooter wie Battlefield, Call of Duty oder Titanfall lösen bei mir die gleiche Reaktion aus wie ein älterer Fisch: Die Nase wird gerümpft, ein Schaudern durchzieht den ganzen Körper und der Blick wird abgewendet. Wie bei dem Fisch wurde diese Reaktion allerdings zuerst schmerzhaft erlernt. Vor einigen Jahren schwärmte mein Umfeld so von Battlefield 3, ich erlag dem Gruppendruck und erstand das Spiel, auch um die Neugierde gegenüber dem (für mich) neuen Genre zu stillen. Nach gut fünf Stunden verstaute ich meine Anschaffung in die hinterste Ecke der Kommode, wo sie wohl heute noch weilt. Innerhalb dieser Stunden erlebte ich Frustration, Wut, Enttäuschung, Langeweile … und konnte die Lobpreisungen der Presse und Freunde schlichtweg nicht verstehen. Ich überzeugte mich selbst davon, dass das Genre und ich einfach nicht kompatibel sind und begann, einen Bogen um die Spiele zu machen. Dann kam Splatoon. Und mit dem Spiel die Realisation, dass es nicht das Grundkonzept war, welches mich damals zur Weißglut brachte, sondern dessen Umsetzung und die damit verbundenen Probleme.
Splatoon hat ein einfaches Ziel: Bedecke die Arena mit deiner eigenen Farbe, möglichst ohne von den Gegnern getroffen zu werden. Kurzum: Ein Battle Painters mit Kampfgeräten. Als Kind Tintenfisch Kind Tintenfisch Inkling ballert man so auf alles, was sich (nicht) bewegt und nutzt dabei eine Vielzahl an Waffen: Von einem überdimensionierten Pinsel bis zu einer Maschinenpistole ist alles vorhanden, wovon Paintballer nur träumen können. Spezialfähigkeiten wie Farbminen, ein Schutzschild oder die Umwandlung in einen unverwundbaren Kraken runden das Arsenal ab. Jede Kombination erfordert dabei einen anderen Spielstil, welche alle ihre Daseinsberechtigung haben. Selbst mit der allerersten Waffe kann man so auf den oberen Rängen noch kräftig mitmischen.
Das Abschießen von Gegnern gerät dabei oftmals in den Hintergrund. Wer nur für eine Sekunde nicht damit beschäftigt ist, Farbe auf dem sauberen Boden zu verteilen oder die lästige Kontrastfarbe des Gegners zu überdecken, spielt Splatoon eh falsch. Das sagt nicht irgendwer, das sage ich, Superlevels bester Splatoon-Spieler. Und weil man nun ständig dabei ist, die Arena möglichst schnell in ein Gemälde von Jackson Pollock zu verwandeln, kommt keine Langeweile auf. In Battlefield 3 verbrachte ich einen großen Teil meiner Zeit damit, auf einen gegnerischen Angriff zu warten, ein Opfer zu suchen oder mit einem Buggy zur Kampfzone zu fahren. Splatoon hat keine Zeit für diese lahmen Lückenfüller. Sobald das Intro endet, ticken die drei Minuten Spielzeit gnadenlos runter, Farbe bedeckt die Arena, Tintenfische schwimmen panisch umher. Konflikte entstehen dabei automatisch, da grössere Flächen von beiden Seiten eingenommen werden möchten. Selbst dann steht es dem Spieler allerdings frei, diese zu ignorieren und sein Glück an einem anderen Ort zu suchen. Erwischt es einen doch, springt man innerhalb von Sekunden zurück zu einem seiner Teammitglieder, ohne mühsam einen Buggy suchen zu müssen. Das Spiel ist schnell, das Ziel ist einfach: Nur wer den meisten Boden bedeckt hat, bekommt die meisten Punkte am Ende. Wie oft man gesplatted wurde oder jemanden gesplatted hat, spielt keine Rolle.
Die Zugänglichkeit, welche Nintendo damit gewinnt, macht sich auch an weiteren Stellen bemerkbar. Die Steuerung wurde einfach gehalten, gewisse Aktionen wurden sogar miteinander kombiniert. Das Nachladen erfolgt mit einem Wechsel in die Tintenfisch-Form, mit welcher man sich in der eigenen Farbe zudem schneller fortbewegen oder tarnen kann. Ein Knopf führt hier so drei Aktionen aus – Rennen, Ducken und Nachladen. Auch das Gyroskop trägt zu einer einfacheren Steuerung bei und ermöglicht ein präziseres und natürlicheres Zielen gegenüber dem Analogstick, sofern man sich genügend damit beschäftigt. Splatoon ist nicht nur ein Spiel für alle Altersklassen, es ist ein Shooter für alle Altersklassen, wofür ich Nintendo nicht genug loben kann.
Generell ist es diese Zugänglichkeit, welche mein Interesse an Splatoon überhaupt wecken konnte. Während Battlefield 3 überforderte und jegliche Motivation durch die zu hohen Anforderungen vernichtete, macht Splatoon innerhalb der ersten fünf Sekunden Spaß. Es kam niemals Frustration auf, obwohl ich wie in Battlefield 3 nicht selten von besseren Spielern gandenlos überrolt wurde, weil jedes Spiel ein Erfolgserlebnis war, sei es, weil man für nur 15 Sekunden ungestört den Boden bemalen konnte oder einen Gegner gesplatted hat. Und genau durch diese fehlende Frustration entwickelte ich Lust auf mehr, begann mit den verschiedenen Waffen zu experimentieren, beschäftigte mich mit deren Werten, änderte meinen Spielstil und plante für jede Arena eine ideale Route. Ich tauchte in die Kleiderläden ein und stöberte durch die stylischen Kleidungsstücke, welche Eigenschaften wie bspw. die Laufgeschwindigkeit oder Defensive verbessern. Ich vertiefte mich von alleine im Spiel, weil ich es wollte – nicht, weil es von mir verlangt wurde.
Auch sonst hat Nintendo fast alles eliminiert, was mein bisheriges Erlebnis versauerte. Die Wartezeiten in der Lobby verbringt man mit einem Doodle Jump ähnelndem Minispiel, welches oftmals gnadenlos unterbrochen wird, weil die Gruppe zu schnell zusammengestellt wurde. Selten war ich so froh, wenn die Suche nach einem Spiel länger dauerte. Die Lobby ist dabei dank dem fehlenden Voice Chat frei von defekten und trommelfellplatzenden Mikrofonen, Schimpfwörter und Beleidigungen bleiben aus. Kommuniziert wird nur über das Miiverse, welches die kreativen oder vorhersehbaren Inhalte nicht nur in der Plaza an die Wände pflastert, sondern auch oder auch in der Arena. Kreativität und Talent werden hier gefördert und zur Schau gestellt und tragen so erheblich zum Charme vom Spiel bei. Dass die bunten Farben und der freshe Soundtrack auch über eine längere Zeit ansprechend sind, versteht sich von selbst.
Trotz allem ist Splatoon nicht ohne Fehler. Aktuell sind nur acht mickrige Maps enthalten, von welchen pro Modus nur jeweils zwei zur Auswahl stehen, bevor nach zwei Stunden gewechselt wird. Ich warte so noch heute darauf, auf der Map namens Kelp Dome zu spielen, obwohl diese bereits vor mehreren Tagen freigeschaltet wurde. Auch die aktuelle Anzahl der Modes, Splat Zones und Turf War, kann mit nur zwei Tentakeln abgezählt werden. Hinzu kommt, dass das Spiel mit Freunden auch nicht perfekt ist, da die Teams ständig durchgewürfelt werden und man nicht zwangsläufig miteinander spielt. Und trotzdem empfinde ich diese Probleme als Kleinigkeiten, weil das Spiel selbst ohne einen großen Umfang einfach Freude bereitet.
Splatoon dekonstruiert insgesamt das Genre auf seine Knochen und wirft diese für einen bunten Mantel weg. Es fokussiert sich nicht auf das Töten der Gegner, sondern deren Interaktion mit der Umwelt. Es macht genau das richtige, um ein guter Shooter zu sein: Es distanziert sich so weit wie möglich von dem Genre. Es ist die nächste Evolutionsstufe, eine neue Generation und genau dafür liebe ich es.