Geht das Indie richtige Richtung?

Was zum Teufel sind eigentlich Indie Games? Nicht nur seit der A MAZE Keynote über die Kommerzialisierung von Indie Games und dem kürzlich veröffentlichten EA Indie Bundle wird darüber diskutiert, was der Begriff “Indie” überhaupt aussagt. Entwickler selbst werden häufig genug von der Presse gefragt und sind oft um eine Antwort verlegen. Sind Indie Games Spiele von unabhängigen Entwicklern? Kleine Downloadtitel? Innovative Kunstprojekte? Puzzle-Plattformer im 8-Bit-Stil? Ein schädliches Label?

Wenn über “Indie” gesprochen wird, dann meist darüber, was es sein soll, nicht was es ist. Ich möchte versuchen, einen Ansatz zu geben, der erklärt, warum sich niemand wundert, dass Journey genauso unter Indie läuft wie Super Meat Boy — bei Zynga und EA aber alle auf die Barrikaden gehen.

Indie ist ein Begriff, der mit vier verschiedenen Faktoren assoziiert wird: Dem Geschäftsmodell der Entwickler, dem Format der Spiele, den Spielen selbst sowie dem “Indie-Ethos”. Alle Faktoren spielen eine Rolle dabei, warum ein Spiel oder ein Entwickler als “Indie” angesehen wird. Je nachdem, welche Faktoren wie gewichtet werden, ergeben sich unterschiedliche Indie-Begriffe. Aber der Reihe nach.

Das Geschäftsmodell

Wenn von Indie-Definitionen gesprochen wird, dann leider nur sehr wenig über die Spiele selbst, sondern vor allem über Geschäftsformen. Das Spektrum reicht von der einzelnen Spielemacherin, die in ihrer Freizeit Spiele für ein paar Freunde macht, bis zur Multimillionen-Dollar-Firma mit über 200 Angestellten, die sich über einen großen Publisher finanziert, oder selbst Publisher ist (Hallo, Valve). Daumenregel: Je weniger ein Spielemacher nach einer “Firma” oder — bloß nicht! — einem Konzern aussieht, desto mehr Indie. Und wenn GmbH hinter dem Studionamen steht, dann klingeln sowieso Alarmglocken. Sorry, Deutschland. In dem Sinne: Team Meat ist Indie, Bioware nicht. Wie schwammig aber die Definition “Indie sind Spielemacher, die unabhängig von Publishern sind” ist, zeigt Epic, die Macher von Shootern wie Gears of War. Epic ist ein großes Studio, das sich komplett selbst finanziert. Sie sind unabhängig von Publishern, in ihrer Größe und Abhängigkeit von klassischen Distributionswegen aber so anders als der einsame Flashgame-Entwickler, dass sie kaum noch in dieselbe Kategorie passen.

Das Format

Indiespiele sind Downloadtitel, Mainstreamspiele werden im Handel verkauft. Das ist natürlich viel zu simpel, aber Teil der Erwartungen an Indiespiele. Sie sind kleine Titel, die man kostenlos oder für wenig Geld in digitaler Form erwirbt. Die “richtigen” Spiele haben eine Verpackung (in der dann doch nur ein Registrierungscode für Steam oder Origin beiliegt). Indie ist nicht Vollpreis, kostet also nicht 60 Euro, und kommt nicht in einer DVD-Box. Und wenn, dann soll das etwas Besonderes sein. Man schaue sich nur die wunderschönen Ausgaben von Limbo oder Binding of Isaac von Head Up Games an, um zu sehen, dass hier nicht reguläre Spiele verkauft werden, sondern Sammlerstücke. Bei Spielen wie Hard Reset oder Serious Sam 3, die von dieser Preis- und Veröffentlichungsnorm abweichen wird man misstrauisch. 29 Euro? Kann das noch Indie sein?

Die Spiele

Hier wird es spannend. Ist Indie gar ein Genre? “Natürlich nicht!“, würden sich Kritiker und Spielemacher echauffieren. Klar, Indie ist ein Label, keine Beschreibung eines Spiels. Es ist aber auch eine Erwartungshaltung. Indie sind Puzzle-Plattformer und Adventures, Chiptunes und bunte Pixel, simple Spielmechaniken mit komplexen Folgen. Shooter sind nicht Indie, vor allem nicht, wenn sie versuchen, realistisch zu sein. Indie-Spiele scheinen ein gewisses Etwas zu haben, das sie auf den ersten (oder zumindest zweiten) Blick als Indie auszeichnet. Eine eigene Ästhetik, eine Verspieltheit, die Titeln wie Gears of War oder Assassin’s Creed fehlt. Je näher ein Indie-Spiel an populäre Genres und Ästhetiken kommt, desto weniger erscheint es als Indie-Spiel. Und je weiter es sich von der populären (wenn auch diffusen) Indie-Ästhetik entfernt — Hardcore-Strategiespiele, Text Adventures, Oldschool-Rollenspiele — desto weniger wird es als eines dieser hippen Indiespiele wahrgenommen, die in der Ecke mit FEZ und Super Meat Boy rauchen und die Asche in leere Gläser schnipsen.

Das Ethos

Cactus ist Indie, Zynga nicht. Warum eigentlich? Um als Indie zu gelten, müssen Entwickler eine nicht genau definierbare Einstellung zu Spielen beweisen. Am wichtigsten im Indie-Wertekatalog ist eine leichte Abneigung gegen die Arbeit mit Publishern und Anzugträgern. Kunst darf durchaus als Schlachtruf benutzt werden, muss aber nicht. Hauptsache die kreative Vision des Spiels als Meisterwerk steht an erster Stelle, und Geld wird erst kurz vor der Obdachlosigkeit wichtig. Je weiter die Entwickler von dieser Einstellung abweichen und je näher sie ins andere Extrem (Ka-ching!) kommen, desto schwieriger wird es, als Indie-Entwickler zu gelten. Zynga ist der Teufel, trotz Unabhängigkeit und kleinen Spielen mit niedlicher Optik, weil der Kern jedes Spiels offensichtlich darin liegt, Spieler süchtig zu machen und sie dazu zu bringen, Geld auszugeben. Wenn Geld an erster Stelle steht, dann hilft weder Format noch Preis. Als Indie gelten Entwickler dann nicht mehr.

Fazit

Indie ist ein komplexer Begriff, der einerseits sehr viel zu tun hat mit der Geschäftsform eines Entwicklers, andererseits aber vom Entwickler verlangt, eine gewisse Attitüde zu zeigen. Eine Mischung aus irrem Coder-Genie, Künstler und Punk. Das ist schwer und sicherlich ein Grund, warum es auch viele junge Entwickler gibt, die keine Lust haben auf diese Szene. Sie schreibt ihnen vor, wie sie sein müssen, um erfolgreich zu sein.

Gleichzeitig erklärt dieser Ansatz, warum manche Entwickler als Indie gelten und manche nicht. thatgamecompany ist zwar garantiert nicht unabhängig, dank Jenova Chen und Kellee Santiago als Befürwortern der Spiele-als-Kunst-Argumentation sowie formell ins Indie-Format passenden Spielen, wird nicht viel protestiert, wenn das Hochglanzspiel Journey unter Indie verbucht wird. Für wen der Indie-Ethos nicht an erster Stelle steht, der wird nicht verstehen, warum das EA Indie Bundle so scharf kritisiert wurde.

Rehabilitiert das jetzt den Indie-Begriff? Nein. Es bleibt ein Label, das ebenso hilfreich wie problematisch ist. Wir sollten uns nur besser bewusst darüber werden, was wir meinen, wenn wir Indie sagen. Und — vielleicht noch wichtiger — nicht vergessen, dass das Label “Indie” Spielemachern helfen soll, statt sie nur unnötig einzuschränken. Außer Zynga. Fuck, Zynga.

Das soll jetzt nicht das letzte Wort sein, das Format lässt sich auch ergänzen. Was meint ihr? Was ist Indie? Wann hört Indie auf, Indie zu sein? Sollten Indie Games einfach nur Indie Games sein?