Ludum Dare #24 – Reportage Teil 1
Mit lediglich vier zusätzlichen Einreichungen (1.406 Spiele) hat das Ludum Dare #24 seinen Vorgänger überholt. Das ist überraschend, wenn man den früheren Anstieg betrachtet: Es sind keine 1800+ Spiele geworden, sondern eben ‘nur’ 1.406. Woran liegt’s? Daran, dass Kongregate einen Geldpreis für die drei besten Spiele bietet und daher die Befürchtung bestand, dass die Teilnehmenden ihre Motivation möglicherweise nicht mehr nur aus dem Spaß bezögen? Oder liegt die Schuld vielleicht doch beim gewählten Oberthema Evolution? Ist das Ludum Dare etwa zu einer langweiligen Angelegenheit mutiert?
Bislang habe ich 150 Spiele getestet — hauptsächlich die Einreichungen der ‘ersten Stunde’ — und darf feststellen: Nein.
— Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes
Doch genug der Polemik. Welche genauen Gründe der nur sehr geringe Anstieg hat, dem werde ich im weiteren Verlauf der Reportage gründlicher nachgehen, doch vorerst bleibe ich beim bereits angeschnittenen Thema der Mutation. Wenn man an Mutationen denkt, so sieht man meist groteske Kuriositäten, abscheuliche Hässlichkeiten oder pizzafressende Riesenschildkröten vor dem inneren Auge. Sie scheinen merkwürdig zu sein, obwohl auch sie nichts weiter als ein Teil des Lebens — spezieller noch der Evolution — darstellen. Aus diesem Grund wird der erste Artikel der Ludum Dare #24-Reportage sich mit drei Spielen beschäftigen, die entweder Mutationen als Spieledesign-Element nutzen oder auf abstrakter Ebene sogar selbst eine sind.
(The Silver Spire von charliecarlo)
Natürlich bieten Spontanmutationen kaum noch ein revolutionäres Potenzial für Spielemechanik. So sind die plötzlichen Weiterentwicklungen von Pokémon im gewissen Sinne auch eine Mutation — nur durch das Erreichen eines bestimmten Levels oder durch Zugabe von Chemikalien (‘Sonderbonbons’, natürlich…), etc. ändern sich ihre Gestalt mitsamt Statuswerte radikal. Plötzliche Mutationen bringen also eine komplette, irreversible Änderung des Äußeren und der damit verbundenen Fähigkeiten hervor.
Ein Spiel, was diesen Umstand herausragend eingebunden hat, ist The Silver Spire. Hierbei steuert man ein winziges Wurmwesen in einer äußerst feindseligen Umgebung. Stacheln bedecken den trockenen Boden, einige mit tödlichen Strahlen ausgestattete Kreaturen schreiten auf und ab, brutale Artgenossen versperren den weiteren Weg. Die ganze Zeit betrachtet ein riesiges Auge das kleine Geschöpf, das sich nicht einmal wehren kann. Doch etwas ist auffällig: An manchen Stellen wachsen bläuliche Beerensträucher. Ernährt sich das Wesen davon, so kann es nach einer bestimmten Menge zu einem neuen Wesen mutieren. Erst durch die mit der Weiterentwicklung einhergehenden Veränderungen — wie Beinmuskulatur und ringförmige Krallen — wird es möglich, neues Terrain sowie Nahrungsquellen zu erschließen. Die recht düstere Stimmung und das zentral auf den/die Spielende/n gerichtete Augen lassen The Silver Spire zu einem kleinen Genuss werden.
Anmerkung:
Leider besitzt die Originalversion noch einige Fehler, sodass es in ihr nicht möglich ist, das Spiel bis zum Ende durchzuspielen. Es wurde jedoch bereits eine überarbeitete Version zusätzlich angeboten.
(Journey of life von 1176Studios)
Journey of life hingegen hat kein so festgelegtes Konzept. Es ist vielmehr eine Ansammlung von Mini-Spielen, die auf charmante Weise die Evolutionsgeschichte der armseligen Lebensform Tragusours bis hin zum Menschen mittels Darwin-Zitaten wiedergibt. Mit einer Prise pubertärem Humor werden dabei verschiedene Grundsätze der Evolution erklärt: Von Fressfeinden hat man sich fernzuhalten, man sollte sich statt mit seinem eigenen Cousin lieber mit einem Wesen des anderen Geschlechts paaren und natürlich muss man seine Nachkommen schützen. Hier wird die Mutation mehr als Stilmittel verwendet, damit die einzelnen Mini-Spiele ein geschlossenes erzählerisches Format, quasi eine Art Über-Erzählung, erhalten.
— Charles Darwin
Journey of life ist dabei kein überragendes Spiel. Die Aufgaben sind sehr simpel gestrickt, denn so geht es meist nur darum Objekten auszuweichen, Objekte zu finden bzw. einzusammeln oder aber ständig eine Taste zu drücken. Wohl aber konnte es durch sein naives, fast schon kindliches Konzept mich für ein paar Minuten fesseln und zum Durchspielen animieren. Ich konnte schon fast spüren, was für einen Spaß die EntwicklerInnen von 1176Studios bei der Erstellung gehabt haben mussten. Und hey: Eine knackige, pseudointellektuelle Aussage gibt’s am Ende gratis dazu.
(Snake Evolves von epicSpeedTurtle)
Ein Spiel jedoch ist eine wunderbare Ausnahmeerscheinung für mich gewesen. Auf mindestens zwei Ebenen wurde hier eine Mutation dargestellt. Snake Evolves spielt sich zu Beginn wie das Original, wandelt sich jedoch nach einer bestimmten Punkteanzahl urplötzlich in eine erweiterte Version. Die erste Mutation beruht auf rein visueller Ebene: Es lassen sich statt der Pixelschlange erste schuppenartige Konturen erkennen. Der Wandel von Stufe Zwei zu Drei hingegen betrifft dann — neben der immer realistischer werdenden Grafik — zusätzlich die Steuerung und damit das Spiel selbst: Plötzlich kann die Schlange sich nicht nur waagerecht oder senkrecht, sondern auch diagonal bewegen. Es gibt auch noch eine weitere, die finale Stufe, von der ich aber nichts vorwegnehmen möchte. Der Bruch ist zu genial und zu schön — ich empfehle hier es unbedingt selbst auszutesten.
Snake Evolves unterscheidet sich dadurch beispielsweise von Snakes On A Cartesian Plane, indem es nicht verschiedene Variationen darbietet, sondern eigentlich immer nur die Originalversion bedient. Doch die Mutation der Pixelschlange hin zum immer realistischeren Grafikkonstrukt betrifft eben nur die visuelle Ebene und ist daher nur ein Aspekt, denn gleichzeitig ist Snake Evolves auch eine grandiose Kurzgeschichte über die Evolution von Computerspielen in den letzten Jahrzehnten mit folgender Aussage: Es mögen sich gewisse Komponenten wie die Grafik oder die Steuerung ändern, aber eigentlich bleiben die Spielekonzepte immer gleich.
Hach, Ludum Dare, deine Meta-Spiele lassen mein akademisch geprägtes Herz immer wieder aufhüpfen.
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