Ludum Dare #24 – Reportage Teil 6

Ludum Dare #24 - Reportage Teil 6

Ludum Dare #24 – Reportage Teil 1 / 2 / 3 / 4 / 5 / 6 / 7 / 8 / 9 / tl;dr

Na endlich — Level 100 erreicht!
Na endlich — den Highscore geknackt!
Na endlich — alle Achievements freigeschaltet!

Computerspiele scheinen von einem Fortschrittsgedanken geradezu durchwuchert zu sein. In jedem winzigen Detail ist es möglich, sich zu verbessern. Immer weiter, besser, schneller. Diese Parallele teilen Spiele mit der Evolutionstheorie, von der einige AnhängerInnen glauben ableiten zu können, dass alles auf einen perfekten Zustand hinsteuert. Bedeutet Evolution also konstante Progression, ständiger Fortschritt? Drei Ludum Dare #24-Beiträge scheinen dieser Ansicht zu widersprechen.

“In Wahrheit […] ist Fortschritt nichts anderes als ein unbestimmtes Sehnen nach Vollkommenheit, nach jener Ganzheit […], ursprünglichen Heiligkeit, aus der der Mensch hervorgegangen ist, von der ihn die Wirklichkeit trennt.”
— Quelle: Epoch Times-Kolumne Ropers neue Welt der Etymosophie


(How evolution really works? von keenblaze)

How evolution really works? ist nicht nur eine Frage, die ich mir beim Schreiben dieser Reportage immer wieder stelle, sondern auch der Titel eines wunderbaren Einzelsequenzen-Spiels. In kleinen Lektionen werden humorvoll einzelne Aspekte der Evolutionstheorie veranschaulicht. Dies geschieht, in Bezug auf den Fortschrittsgedanken, äußerst vieldeutig. So will das kleine Pixelwesen eine Box erkunden, die jedoch bei Berührung sofort explodiert. Im zweiten Anlauf kann der Avatar nicht mehr springen und verschwindet betroffen grummelnd nach rechts. In der darauffolgenden Station geht es hingegen darum, dass es durch die ständige Wiederholung eines Sprunges seine Bewegungsfähigkeiten verbessert. Während im ersten Beispiel also der Körper eingeschränkt werden muss um weiterzukommen, muss er sich bei der zweiten Aufgabe komplett entfalten — das ist irritierend.

Das Problem dabei liegt in der fehlenden klaren Definition von Fortschritt. Weder kann man Stärke, Fortpflanzungs- und Überlebensdrang, Technik, emotionale sowie objektive Intelligenz oder gar Intellekt als Fortschritt bezeichnen. Fortschritt ist nichts weiter als ein idiotisches Konstrukt. Fortschritt ist eine Ideologie ohne universellen Maßstab — und damit nur ein Lückenfüller für etwas, für das man keine Worte findet. Das Wort Fortschritt, benutzt als für ein sich alleinstehendes Gut, ist nicht nur schwach-, sondern sogar unsinnig. Es gibt keinen allgemein gültigen Fortschritt, sondern immer nur innerhalb einer festgelegten Ebene. Entschuldigung, das musste sein.


(Curse of Hardai von Incredible Ape)

Die Sinnlosigkeit des Fortschrittsgedankens wird besonders deutlich in Curse of Hardai. Gefangen in einem mit tödlichen Lasern, rotierenden Geschosskreuzen und tiefen Schluchten verzierten Tempel, versucht man vergebens aus diesem herauszurennen. Das Spiel ist endlos, ständig werden neue Level aus den drei Grundelementen zusammengemixt. Die Spielenden können zwar immer weiter voranschreiten, aber mit welchem Ziel?

Ohne jegliche Gewinnbedingung wird das gesamte Spiel zu einer Farce und zugleich zu einer wichtigen Metapher. Ohne ein Ziel kann man zwar weiter-, aber nicht automatisch ankommen. Unter diesem Aspekt ließe sich auch das Spiel LEVOLUTION! in diesen Kontext einordnen: Natürlich kann ich immer weiterkommen und mich verspotten lassen, wenn ich etwas nicht schnell genug schaffe, aber letztlich springe ich so oder so nur in die Schlucht. Immer wieder. Fortschritt adieu.

“Natürliche Zuchtwahl wirkt […] durch Erhaltung und Häufung solcher Abweichungen, welche dem Geschöpfe […] unter den organischen und unorganischen Bedingungen des Lebens, welchen es […] ausgesetzt ist, nützlich sind. Das Endergebnis ist, dass jedes Geschöpf einer immer größeren Verbesserung im Verhältnis zu seinen Lebensbedingungen entgegenstrebt.”
— Quelle: Charles Darwin


(Go Back von Aceria)

Der arme Darwin müsste sich im Grabe wälzen, wenn er die radikalen Interpretationen seiner Schriften bezüglich des Fortschrittsgedankens mitbekommen würde. Nur so konnten sich solche menschenverachtende Strömungen wie beispielsweise die eines nationalsozialistisch ausgerichteten Sozialdarwinismus herauskristallisieren. Es widert mich an. Ja, Darwin schreibt, dass sich Lebewesen in einem größeren Maßstab verbessern — aber eben “im Verhältnis zu seinen Lebensbedingungen”.

Wozu also Fortschritt suchen, wenn kein äußerer Grund dazu besteht? Wozu muss man gleich in sämtliche Richtungen die widerlich gierigen Pranken strecken, wenn man das Potenzial des eigenen Wesens noch nicht einmal im Ansatz ausgeschöpft hat? Es ist mir unbegreiflich. Umso wundervoller erscheint mir das minimalistische Puzzle-Spiel Go Back. Mit der äußerst intuitiv erlernbaren Maussteuerung und einem ausgeklügelten Rätsel-Design konnte es mich eine halbe Ewigkeit an sich binden. Zurückgeworfen auf meine eigene Persönlichkeit versuche ich nur eine einzelne Sache zu perfektionieren: Mit einem einzelnen Linksklick den Würfel an seinen Bestimmungsort zu katapultieren.

Mehr brauche ich nicht — Perfektion immer gerne, unreflektierter Fortschritt niemals.

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Der Handel mit Zuchtkatzen kann schon sehr kuriose Formen annehmen, besonders wenn Chemikalien im Spiel sind: Von einer geflügelten Mutanten-Schlammgesicht-Katze bis hin zur Nichte von Nyan-Cat ist hier alles möglich.

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Eine recht herausfordernde Space Invaders-Adaption, in der die Aliens mit jedem neuen Level mutieren.

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Parallel müssen zwei Steinzeitmenschen gesteuert werden, damit ein kleines Pflänzchen heranwachsen kann. Muss man zuerst nur bestimmte Orte zeitgleich aufsuchen, muss man später noch das Wetter durch Stammestänze regulieren und Feinden ausweichen. Niedliche Grafik inklusive.