Sag' mal weinst du oder ist das der Regen?
Ist es eine Katze? Ist es eine Schnecke? Ja! Der zweidimensionale Survival-Platformer Rain World hat mein zweitliebstes Videospiel-Genexperiment aller Zeiten zur Spielfigur, nur knapp geschlagen von dem aus Fleischresten zusammengekneteten Super Mario aus Spore. Ich war tatsächlich vom ersten Moment an hin und weg, als ich die Screenshots sah, doch das Leben als Katzenschnecke ist entgegen der süßen Bilder kein Zuckerschlecken. Es ist vielmehr ein Fliegenfressen, denn die Tage sind von einem ständigen Überlebenskampf geprägt, bei dem ein einzelner Bissen darüber entscheiden kann, ob nach den von sintflutartigen Regenfällen heimgesuchten Nächten ein weiteres Mal das Tageslicht zu mir durchbricht. Selten zuvor stand das nackte Überleben bei einem Spiel so sehr im Vordergrund. Doch so ein Selbsterhaltungstrieb lässt sich nur schwer vermitteln, wenn da nichts weiter ist, dass den Wunsch nach Leben rechtfertigt.
“Rain World should be an existential experience: unforgiving and even occasionally unfair.”
Wie Radfahren lernen ohne Stützräder fühlt es sich an, wenn ich versuche, die vertrackte und von Tunneln durchzogene Welt in Rain World zu erkunden. Mein Rad hat zudem keinen Lenker und hinten einen Platten, sodass ich mich fast durchgehend ziemlich überfordert und unzureichend unterstützt fühle. Ein kleines Insekt versucht mir ein wenig Hilfestellung zu bieten, doch es redet in Symbolen, die ich zunächst noch nicht verstehe. Meine Katzenschnecke hat verschiedene Schwerpunkte, die nur schwer zu kontrollieren sind. Sonst hießen sie vermutlich auch Leichtpunkte. Die Steuerung fühlt sich dadurch einzigartig an und erlaubt viele Feinheiten und Kniffe, die scheinbar unerreichbare Regionen zugänglich machen. Doch sie ist auch unheimlich frickelig und fehleranfällig, was bei mir zunehmend für Frustration sorgt. Zu oft stürze ich in einen Abgrund, statt auf der gegenüberliegenden Plattform zu landen. Zu oft finde ich mich zwischen den scharfzahnigen Kiefern äußerst agiler Urzeit-Krokodile wieder, weil mein eigenes Gesäß den Zugang zu einem rettenden Schacht versperrt. Und somit auch zu einem großen Teil der teils wundervoll gestalteten Kulissen in Rain World.
Dessen grundsätzliches Problem liegt in seiner mangelhaften Transparenz. Es weigert sich, seine Symbole zu erklären, seine Funktionen offenzulegen und mir eine Perspektive aufzuzeigen, die mich trotz all der Frustmomente zum Weitermachen animiert. In den ersten Tagen mit Rain World ging diese Art der Mittelfingerattitüde sogar so weit, dass sich die erschlossenen Bereiche der Karte zurücksetzten, sobald meine Katzenschnecke das Zeitliche segnete. In einem Spiel, in dem so viele Aspekte, wie etwa das Nahrungs- und Gegnervorkommen, zufallsgeneriert sind, ist es fatal, wenn man zudem die räumliche Orientierung wegnimmt. Dies wurde glücklicherweise nun auch vom Entwicklerteam eingesehen und mit dem ersten Patch behoben. Rain World ist dadurch kein Deut weniger erbarmungslos und nach wie vor streckenweise unfair, nur weiß ich jetzt immerhin, wie knapp ich den rettenden Unterschlupf verpasst habe, wenn mich der Regen wieder einmal davon spült.
Ich mag, nein, ich liebe es, wenn mich ein Spiel herausfordert und versucht, alles aus mir herauszukitzeln. Doch während andere fordernde Spiele darauf bedacht sind, mir durch den Prozess des Scheiterns den Weg zum Ziel aufzuzeigen, will Rain World mich einfach nur scheitern sehen. Es ist ein unheimlich schön anzusehendes und wunderbar animiertes Scheitern, aber eben auch eines, das meine persönliche Investition mit Gleichgültigkeit bestraft. Nachdem sich ein weiteres Mal der Regen gelegt hat und sich die mechanische Tür meiner Zuflucht entriegelt, trete ich nicht aus ihr heraus. Ich bleibe einfach liegen. Ein befriedigendes Gefühl von Kontrolle und Sicherheit, das mir so lange verwehrt geblieben ist.
Ein akzeptiertes Schicksal ist eben doch leichter zu ertragen als der ewige Kampf gegen das Unvermeidliche.