Ein Spiel über das Treiben lassen
und das Getrieben sein.
Musik: Chuck Ragan – The Flame in the Flood
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“Do not idle” mahnt das Schild, neben dem als unmissverständliche Warnung ein Skelett liegt. In der sterbenden Welt von The Flame in the Flood gibt es keinen Ort zum Verweilen. Stattdessen geht es immer weiter, den Fluss hinab. Für die Frage, ob an dessen Ende wirklich die erhoffte Rettung wartet, bleibt keine Zeit. Stillstand ist der Tod.
There’s a silence that may be heard loud and clear
In the simple, wild, and natural cadence
The Flame in the Flood hält sich nicht damit auf eine Erklärung für den Untergang der Zivilisation zu geben, sondern zeigt dessen Folgen: Zerstörte Häuser, verlassene Städte und die Natur, die Stück für Stück Land zurückerobert. Als namenlose Reisende, nur “Scout” genannt, mache ich mich mit dem Hund Aesop auf den Weg, um in dieser hoffnungslosen Welt nicht die Hoffnung zu verlieren. Meine Motivation ist pragmatischer: Nahrung, sauberes Wasser und wärmende Lagerfeuer sind rar gesät. Also geht es auf einem improvisierten Floß den Fluss hinab.
Bei Anlegestellen lassen sich Vorräte aufstocken und das Floß reparieren. Gelegentlich warten dort andere Überlebende. Es sind einsame Gestalten, die mich nicht nur mit etwas Essbarem, sondern auch mit Ratschlägen versorgen. Verwilderte Kinder oder Friedhofsgärtner, die davon reden, dass wir uns alle gegenseitig den Rücken freihalten müssen, statt nur an uns selbst zu denken. Ich höre ihnen zu, klettere wieder auf mein Floß und lasse sie auf ihrem kleinen Stück Land inmitten der Fluten zurück.
Keep my eyes opened, keep my ears sharpened
There’s nothing to fear but fear itself
Der Fluss durchzieht alle Schichten der amerikanischen Gesellschaft. Wellblechhütten treiben wie Papierbote im Wasser, die Kleinstädte der Mittelschicht verfallen und Industrieruinen erheben sich als beängstigende Schatten aus dem Nebel. “Alles, was wir sind, ist das, was wir zurücklassen” erinnert mich The Flame in the Flood schon im Trailer. Was zurückgeblieben ist, sind die Überbleibsel der Zivilisation. Es sind die Häuser; die entwurzelt wurden, nicht die Bäume am Ufer. Kirchen können nur kurz Zuflucht, aber keine Rettung bieten. Das vermögen weder die leeren Schulbusse, noch die Überreste anderer Institutionen. Letzten Endes bin ich auf mich allein gestellt, klettere wieder auf mein Floß und lasse die Ruinen hinter mir.
The trials and tales of old that cut me near
Will help keep my head above the water
Die inhaltliche Stärke von The Flame in the Flood wird von technischen Problemen verwässert. Entwickler The Molasses Flood finden keine Balance zwischen räumlichem und spielerischem Fortschritt. Einerseits muss ich auf der Suche nach Ressourcen ständig weiterreisen, andererseits muss ich ständig halten, um Werkzeuge zu bauen, Fallen aufzustellen und Hasen zu fangen, Wasser abzukochen und Maisbrot zu backen… Mechanismen, die beim langsameren Tempo eines The Long Dark den Überlebenskampf spielerisch darstellen, sind hier ein mühseliges Hindernis und schaffen mit überladenen Menüs eine unsichtbare Wand zwischen mir und der sinkenden Welt.
Wenn das Floß wieder an einer Klippe zerschellt, weil ich gerade damit beschäftigt war, die richtigen Zutaten für Löwenzahntee aus einem Untermenü des Inventars herauszusuchen, um eine plötzlich aufziehende Erkältung zu lindern, erzeugt das kein Gefühl der Dringlichkeit, sondern lediglich Frust. Die Einfachheit der Geschichte wird stellenweise von dem Videospiel erdrückt, das sie zuvor noch so greifbar inszeniert hat. Und wenn mich einer der zahlreichen Abstürze zurück in den Wohlstandsmüll meiner Steam-Bibliothek befördert, wird aus der unsichtbaren Wand eine fast unüberwindbare Barriere zwischen mir und The Flame in the Flood. Nach einem Neustart von RiverGame.exe klettert Scout erneut auf ihr Floß und setzt ihren Weg vom letzten Checkpoint aus fort.
Through the briers and the brambles in my tears
There’s no failure in true survival
The Flame in the Flood folgt dem Aufbau eines Songs. Jeder Landgang ist ein Vers, gefolgt vom treibenden Refrain des Flusses. Und immer, wenn der Soundtrack von Folkmusiker Chuck Ragan einsetzt, wenn der frickelige Überlebenskampf der melancholischen Schönheit weicht, liebe ich The Flame in the Flood. Doch die “AAA-Flüchtlinge” von The Molasses Flood machen den Fehler, zu sehr an alten Strukturen festzuhalten. Als weiteres, generisches Survivalspiel wird The Flame in the Flood bald in Vergessenheit geraten.
Was bleibt sind die Momente, in denen ich mit letzter Kraft eine Insel erreiche, nur um festzustellen, dass der Weg zum wärmenden Lagerfeuer von einem Wolf versperrt wird. Und so kehre ich um, in der Hoffnung neues Land zu finden… und manchmal, wenn die Gitarre erklingt, der Regen nachlässt und die Sonne am Horizont aufgeht, dann ist da dieser Funke Hoffnung, die Flamme in der Flut, selbst wenn ich weiß, dass ich letztendlich doch sterben muss. Meine Reise war nie umsonst, selbst wenn ich untergegangen bin, denn ich hinterlasse zumindest ein Glas Löwenzahntee für die nächste Reisende. Auch wenn der Weg hierhin nicht einfach war, werde ich bald erneut auf das Floß klettern, die Dissonanz vergessen und mich einfach weiter treiben lassen.