The Long Dark: In diesem Spiel frisst ein Wolf deine Hosen
Mit dem Ende des Early Access kommt auch der Story-Modus,
doch die besten Geschichten schreibt immer noch die Überlebenssimulation selbst.
Ein Wolf fraß meine Hosen. Und es folgte der beste Videospielmoment, den ich seit Monaten hatte: Eine panische Suche nach neuen Beinkleidern — schon ohne Apokalypse schwer genug! — in einem verlassenen Dorf, dessen Bewohner zwar liebend gerne Hemden in Schubladen vergraben, aber auf keinen Fall Hosen. The Long Dark hat mich dazu gebracht, für eine Hose zu beten.
Doch in dem Survival-Abenteuer sind Wölfe nur ein kleiner Teil des Gesamtproblems, den Rest macht die Natur. Im Tutorial des neuen Story-Modus stürzte ich von einer Klippe, weil die Nächte in der kanadischen Wildnis des Spiels so dunkel sind, dass man nur wenige Schritte voraus sehen kann. Im zweiten Versuch verblutete ich an einer tiefen Schnittwunde, weil ich nicht verstand, wie man einen behelfsmäßigen Verband bastelt. Im dritten dagegen, weil ich nicht begriff, dass man das Fleisch toter Tiere erst über einem Feuer erhitzen muss, bevor man es in sich hineinstopft. Es gibt hier so viele Wege, elendig zu verrecken, die wenigsten davon haben mit Wölfen zu tun — und keine mit Schrotflintenbanditen und Mutantenmonstern. Das unterscheidet The Long Dark von vielen anderen Survival-Spielen.
In Rust graben sich kreischende Mobs aus Mitspielern durch die Erde, um die Bewohner der mickrigsten Hütten niederzumachen, in DayZ kidnappen sadistische Gangs ihre Rivalen, um sie mit verschimmelten Orangen zu vergiften. In The Long Dark gibt es eigentlich nur das Wetter. Und das kann man, wie Nathan Grayson bei Kotaku so klug schreibt, nicht besiegen, um der Wolfskönig von Kanada zu werden — man kann bloß lernen, eine Weile lang mit der Natur auszukommen, bis sie am Ende doch wieder gewinnt und man hosenlos und erfroren im Schnee landet.
Das grundsätzliche Prinzip ist seit dem Start als Early-Access-Titel im Juni 2015 gleichgeblieben: Um in den verschneiten Landschaften möglichst lange zu überleben, müssen Grundbedürfnisse befriedigt werden: Hunger, Durst, Schlaf, Wärme. Eigentlich wie Sims, nur mit Wölfen als Nachbarn und nackter Verzweiflung statt wohligem Konsumkokon. The Long Dark schafft es nämlich, alle Bedürfnisse sehr clever zu verzahnen. Wer Essen will, muss raus in die Kälte zum Jagen. Das aber dauert lange, macht kalt und müde. Warm wird einem aber nur, wenn man daran gedacht hat, ins begrenzte Gepäck auch Feuerholz einzupacken. Daneben simuliert das Survival-Abenteuer zahlreiche andere Faktoren: Wer stürzt, verstaucht sich das Bein und humpelt fortan, ein Tierbiss kann sich entzünden und benötigt Heilmoos oder Disinfektionsmittel, das Lagerfeuer muss konstant mit Holz und Papier gefüttert werden. So gönnt The Long Dark keinen Moment der Ruhe. Das Überleben ist mühselig, kompliziert, so fordernd — man sollte sich einfach zum Sterben in den Schnee legen, tut es aber nicht, weil die Herausforderung doch so reizvoll ist.
Neben vielen kleinen und großen Änderungen, ist mit dem offiziellen Start auch der Story-Modus hinzugekommen. Die schlechte Nachricht: Die Story ist gar nicht mal so gut. Die Geschichte um den Buschpiloten Will, der nach einem Flugzeugabsturz seine Ex-Frau Astrid in der Wildnis sucht, wirkt oft wie das peinliche Imitat einer Hemingway-Kurzgeschichte. Wenn Will und Astrid miteinander sprechen, wird genau nichts gesagt, aber alles angedeutet, damit Spielerinnen und Spieler sich den Rest zusammenreimen. Was nach einer guten Idee klingt (Hey, für Hemingway war’s gut genug!), erweist sich im Spiel als bemüht und langweilig, weil es so offensichtlich ist, was Will und Astrid auseinandergebracht hat. Da, wo es dagegen spannend wird, selbst Leerstellen in der Geschichte auszufüllen, verrät The Long Dark die gesamte Geschichte in einem Dialog.
Wirklich schlimm ist das aber nicht. Die große Leistung der Episoden (fünf sollen es werden, zwei sind aktuell spielbar) ist es, mit der Rahmengeschichte um den grummeligen Protagonisten Will für geniale Spielmomente zu sorgen. Weil die Aufgaben der Geschichte immer wieder neue Ziele, neue, ungewohnte Taktiken erfordern, passieren so viele denkwürdige Momente in kurzer Zeit wie in wenigen anderen Spielen: Ich strandete auf der Suche nach Feuerholz in einer leeren Tankstelle, um mich eine Nacht lang vor Wölfen zu verstecken. Die Suche nach einem Schlüssel für ein Bankschließfach bereitete ich vor wie eine gefährliche Expedition. Die Hose! Und die Nacht, in der ich nur im Licht eines brennenden Streichholzes durch ein Dorfhaus stolperte, während draußen der Wind heulte.
Womöglich spricht da nur die deutsche Besessenheit für Funktionsjacken und Wanderstiefeln aus mir, aber mit seinem Fokus auf der Unbarmherzigkeit der Natur und den malerischen, kanadischen Landschaften ist The Long Dark das vielleicht beeindruckendste Survival-Dings, das ich je gespielt habe.