Viel Liebe für die falschen Details
Einen Plattformer auf den Markt zu bringen, ist ein bisschen wie im Kuhstall einen fahren zu lassen: Kann man schon machen, aber man muss da schon etwas Eindrucksvolles produziert haben, um irgendwie herauszustechen. Einmal gelingt das mit einer besonders stimmungsvollen Inszenierung, ein anderes Mal sorgen ständig neue Formen der Herausforderung für Kurzweil. Und ein paar Genre-Ikonen wie Donkey Kong punkten – neben viel Abwechslung und einer motivierend steilen Lernkurve – mit dem Nostalgie-Bonus.
Die Shantae-Spiele verlassen sich da in erster Linie auf die Verwandlungsfähigkeiten ihrer Heldin. Die quirlige, kleine Halb-Genie lernt an allen Ecken und Enden ihrer zweidimensionalen Zauberwelt Verwandlungstänze, mit deren Hilfe sie nach und nach ihren ganz persönlichen Streichelzoo eröffnen könnte. Das Äffchen kann besser springen und klettern, die Krabbe tauchen, der Elefant große Steine aus dem Weg räumen und so weiter. Sonderlich neu ist das Prinzip nicht. Aber es ist auch im vierten Teil der Reihe, Half-Genie Hero, solide genug umgesetzt, um eine Weile damit Spaß zu haben.
Die sich kontinuierlich anhäufenden neuen Fähigkeiten sind aber nicht die einzige Metroidvania-Anleihe. Mit gesammelten Edelsteinen kann sich Shantae neue Zaubersprüche, Heilmittel und Shampoos kaufen. Jaja, Shampoos. Immerhin schlägt sie ihre Feinde mit ihren Haaren. Da macht die richtige Haarpflege den entscheidenden Unterschied.
Auf jeden Fall muss mit den immer neuen Fähigkeiten jedes Level mehrfach durchlaufen werden, um noch den einen oder anderen versteckte Gegenstand abzugreifen, der für den Spielfortschritt unverzichtbar ist. Das Motivationslevel, das andere Genrevertreter so souverän hochhalten, strauchelt hier aber vor sich hin. Weil sich durch die neuen Bewegungsmöglichkeiten selten faszinierende neue Gebiete auftun, sondern Shantae eben jetzt die eine Plattform erreicht, auf der noch eine Truhe steht. Die enthält dann des Öfteren auch eine Fähigkeit, die man für kaum etwas gebrauchen kann und dafür hat die bauchtanzende Genie das Level jetzt schon zum dritten Mal absolviert.
Das wäre ein wenig erbaulicher, wenn sich die Entwickler beim Levelbau etwas mehr einfallen hätten lassen. Das ist zu viel Jump’n’Run-Standardkost, um beim zweiten und dritten Mal noch Spaß zu machen. Aufgrund der ohnehin simplen und durch die Verwandlungskünste zusätzlich entschärften Sprung-Passagen, leben die Levels in erster Linie von der Masse an Gegnern. Und Shantae ist nach kurzer Spielzeit und ein paar Besuchen beim PowerUp-Händler viel zu stark, um sich von irgendwem noch beeindrucken zu lassen. Wenn die Lebens-Leiste mehr Herzen hat als ein Tintenfisch und ein Kontakt mit einem Gegner ein Viertel-Herz kostet, gibt es keinen Grund mehr, sich Mühe zu geben. Und trotzdem hagelt es überall Heilmittel – Dass Shantae auch noch über magische Angriffe verfügt, kann getrost ignoriert werden.
So pendelt das Spiel dahin, zwischen kurzen Besuchen im Dorf, einer unzusammenhängenden und beliebig wirkenden Geschichte und einem Wechselspiel von bereits durchlaufenen und neuen Levels. Zur Auflockerung quellen den vielen kleinen Mädels ihre Brüste aus ihren spärlichen BHs. Und es gibt eine angekettete, halbnackte Meerjungfrau als Boss-Gegnerin, die Shantae bekämpft, obwohl die Genie sie zu befreien versucht. Da wurden die Prioritäten wohl zu Ungunsten eines nachvollziehbar in die Handlung eingebetteten Kampfes auf die aufreizende Wirkung angeketteter Frauen gesetzt.
Dem Plattformer-Genre mangelt es nun wirklich nicht an großartigen Titeln. Und Shantae sichert sich ihre Aufmerksamkeit wohl weniger durch das – gemessen an der hochklassigen Konkurrenz – uninspirierte und recht monotone Spielsystem, als durch viel nackte Haut und prominent in Szene gesetzte Rundungen. Wer also das Genre liebt, spiele zuerst Ori and the Blind Forest, Guacamelee, Owlboy, Rayman Legends und all die anderen. Wer lieber Brüsten beim Hüpfen zusehen will, ist mit dem auch spielerisch interessanteren Dragon’s Crown besser bedient.