Das einzige Review, das Prison Architect mit keinem Wort erwähnt.
Mir wurde einmal unterstellt, bei jedem Gespräch über Spiele, das lange genug andauert, irgendwann Dwarf Fortress zu erwähnen. Und ich muss zugeben: Das ist durchaus möglich, ist Dwarf Fortress doch eines der Spiele, das mich am intensivsten umtreibt. Ich liebe diese Komplexität, die keinen anderen Zweck erfüllt, als immer noch absurdere Sachen passieren zu lassen. Es ist fast schon alltäglich, dass ein Zwerg sich das Genick bricht, weil er auf dem Blut seiner erlegten Feinde ausrutscht und ich unsere Festung an einer ungünstigen Stelle abschüssig angelegt habe. Und die niedlichen Kätzchen, die sich zu Tode kotzen, weil sie in Tavernen Alkoholpfützen auflecken, waren vielleicht unerwünschtes Verhalten, aber trotzdem denkwürdig.
Merkwürdig ist es dann aber schon, dass ich niemandem empfehlen würde, Dwarf Fortress auch selbst zu spielen. Denn auch abgesehen von seiner sehr abstrakten ASCII-Grafik, die man übrigens mit herunterladbaren Tilesets ein wenig selbsterklärender gestalten kann, steuert sich Dwarf Fortress, nett ausgedrückt, gewöhnungsbedürftig. Mehr als ein Mal fühlte ich mich beim Spielen wie Sandra Bullock in Gravity, als sie plötzlich ein russisches Raumfahrzeug bedienen muss und nur eine ganz grobe Ahnung davon hat, welcher Knopf nun wofür gut ist. Es ist, simpel ausgedrückt, keine gute Software. Das ist diese seltsame Schlucht zwischen dem Produkt und dem Werk, die man bei Videospielen leider ständig zu spüren bekommt. Aber mit RimWorld bürdet sich ein Studio aus Kanada die Last auf, diese Schlucht überbrücken zu wollen.
Meine erste Kolonie trug den Namen Antioch. Dort gab es einen Sheriff namens Hooke, der leider wenig begabt in den meisten Dingen war, aber gut mit Tieren umgehen konnte. Als sich mir eines Tages ein Rudel Yorkshire Terrier freiwillig anschloss, tat ich, was jeder vernünftige Mensch getan hätte: Ich ließ sie von Hooke zu Kampfterriern ausbilden. Ihre Namen waren Nymph, Kinko, Critter, Twinkie, Jack, Isabelle, Warlock und Wild. Irgendwann griff eine Gruppe Piraten meine zu dem Zeitpunkt sowieso schon etwas angeschlagene Kolonie an und die Terrier verteidigten sie heldenhaft. Die Piraten hatten aber einen Granatwerfer dabei und Wild, Twinkie, Isabelle, Kinko und Warlock starben im Granatenhagel. Jack und Critter wurden verletzt, letztere hatte deshalb eine Fehlgeburt. Weil auch Casey, die Ärztin der Kolonie, beim Angriff verletzt wurde konnte sie sich nicht um die Hunde kümmern und schließlich starben alle außer Nymph. Casey erlag auch ihren Verletzungen, da es außer ihr keinen Arzt gab. Die Granaten hatten auch ein Loch in meine Kühlkammer gerissen, daher schickte ich Hooke mit Nymph auf die Jagd, um Essen zu finden. Die Hündin wurde beim Kampf mit einem Fuchs getötet, Hooke verlor seine linke Hand und seinen rechten Fuß an ein Wildschwein. Langsam verrückt, weil er all seinen Hundefreunden beim Sterben zusehen musste, legte er sich zu Caseys verwesender Leiche ins Bett, um sich zu erholen. Kurz bevor er verhungerte schleppte er sich durch blutverschmierte Korridore nach draußen, torkelte in den Wald und beobachtete die Sterne, bis auch er schließlich starb.
Die Verwandtschaft zu Dwarf Fortress leugnet das Studio nicht einmal: Auf der Website zum Spiel wird es bereits im zweiten Satz erwähnt. Das Fantasythema lässt RimWorld aber hinter sich und ersetzt es durch Western im Weltall. In einer fernen Zukunft, in der immer noch keine Möglichkeit zum Reisen mit Lichtgeschwindigkeit besteht, aber Raumfahrt aus Notwendigkeit alltäglich wurde, ist die Menschheit in Millionen von kleinen Kulturen auf verschiedenen Planeten zersplittert. Einige dieser Kulturen sind hoch technologisiert, auf der anderen Seite aber auch mindestens genauso viele wieder zu Stämmen zerfallen, die sich mit Tierfellen kleiden und die Maschinen anbeten. Im Standardspiel kontrolliert man eine Gruppe, die irgendwo dazwischen angesiedelt ist und mit ihrem Raumschiff in der Wildnis eines unbekannten Planeten abstürzt. Aus der Not heraus entschließt sie sich, eine Siedlung zu gründen. Zu überleben wäre schon schwer genug, aber natürlich ist man auch nicht alleine: Da gibt es alle möglichen Kolonien und Siedlungen in der Nähe, mit manchen kann man handeln, andere wiederum würden am liebsten alle anderen Menschen versklaven.
Mit seinen unfreiwilligen Siedlern baut man Häuser, jagt Tiere, pflanzt Mais an und produziert Kleidung. Wie auch in Dwarf Fortress ist die Steuerung sehr indirekt: Man vergibt nur Befehle, welche von den Bewohnern nach ihren Bedürfnissen, Fähigkeiten und Prioritäten erledigt werden … oder auch nicht. Die Kontrolle über seine Schützlinge zu behalten ist auch für gottgleiche Beobachter ein bisschen ein Verwaltungsakt. Da ist es fast ein bisschen befremdlich, wenn man in Kampfsituationen dann doch die direkte Kontrolle übernimmt und haarklein Positionen und Schusswinkel planen muss. Aber das lässt sich mit der Geschichte des Spiels erklären: Ursprünglich war es geplant als Strategiespiel in der Machart von Jagged Alliance und das komplexe Kampfsystem ist einfach nie verschwunden.
In der zweiten Kolonie, Hialeah, ist es immerhin etwas besser gelaufen. Abgesehen von einem kleinen Kannibalismus-Zwischenfall mit einem anschließenden, verlustreichen Kampf gegen ein Kaninchen hatte ich die Situation weitestgehend unter Kontrolle. Eines Tages drang eine Gruppe Superbiber in mein Gebiet vor und drohte, alle wertvollen Holzbestände zu vernichten. Ich wollte sie zügig auslöschen lassen und beim Kampf wurden drei meiner Kolonisten verletzt. Das wäre kein großes Problem gewesen, hätte nicht genau in dem Moment eine Gruppe Banditen angegriffen. Die Verletzten mussten die Kolonie verteidigen, statt sich versorgen zu lassen, und erlitten alle schwere Infektionen wegen ihrer unbehandelten Verletzungen. Sie schafften es, den Angriff abzuwehren und sich zur Krankenstation zu schleppen, als schließlich eine von ihnen, Lane, komplett austickte – sie hatte schon immer psychische Probleme, um die ich mich zu lange nicht geschert hatte. Sie stand mit einem Sturmgewehr vor der Krankenstation und beschoss jeden, der versuchte, die Kranken zu versorgen. Als schließlich die ganze Kolonie außer Lane und ihrer Mutter, Zippy, im Sterben lag, stürmte Lane nach draußen und starb selbst im Faustkampf mit einem Wildschwein. Zippy konnte niemanden mehr retten und ich ließ sie vorsichtshalber ein Grab zu viel ausheben.
Personen sind in RimWorld einer detaillierten Simulation unterworfen: Sie alle haben Bedürfnisse, Wünsche, Beziehungen untereinander, Verletzungen, Körperteile und Gefühle, die man genau inspizieren und anhand derer man planen kann. Eine besonders ausgefeilte Weltsimulation gibt es aber nicht, keine Jahrtausende zurückliegende Geschichte, die zu diesem einen Moment geführt hat, keine Stammbäume, keine Dynastien. Denn das Spiel denkt pragmatisch. Als Programmierer finde ich es es total spannend, wie Spiele wie Dwarf Fortress oder Ultima Ratio Regum Simulationen aufbauen, um eine spannende Welt zu erschaffen. Als Spieler ist mir das aber ehrlich gesagt egal. Ich interessiere mich weitaus mehr für das Endergebnis, die erlebbaren Geschichten, die daraus entstehen. Und für deren Qualität ist es irrelevant, wie viel Rechenleistung genutzt wurde, um sie zu erzeugen.
Ereignisse in RimWorld entstammen einem System, welches das Spiel AI Storyteller nennt. Eine personifizierte, künstliche Intelligenz, die darüber entscheidet, was als nächstes passiert. Ausschlaggebend ist nicht, was aufgrund einer Simulation am meisten Sinn ergibt, sondern nur, was am spannendsten zu spielen ist. Die Storyteller sorgen damit für Dichte: Anstatt willkürlich wirkender Ereignisse, deren genaue Ursache man aber erforschen könnte, passieren richtige Handlungsstränge, die zwar nicht erklärt werden können, dafür aber wirklich interessant sind. Puristen mögen kritisieren, dass es unrealistisch ist, dass ständig irgendjemand seiner verlorenen Schwester begegnet – ich würde gerne dagegen halten, dass Game of Thrones auch nicht viel mehr Sinn ergibt, wenn wir diesen Maßstab anlegen.
In meiner dritten Kolonie mit dem phantasievollen Namen Rimville versuchte ich es einmal anders: Lediglich ein einziger reicher, verzogener Berufssohn namens Carlos stürzte ab und versuchte sich alleine durchzuschlagen. Aber das hielt nicht lange an: Schnell schloss sich ihm die Kopfgeldjägerin Lumi an und beide verteidigten Giggles gegen die Banditen, vor denen er flüchtete, der dann auch unbedingt in der relativen Sicherheit der Kolonie leben wollte. Ich bin kurz in Panik verfallen, als ein Boomalope durchdrehte, ein Tier, das nach seinem Tod explodiert. Ich konnte verhindern, dass er in die Kolonie eindringt, aber die Explosion entzündete das trockene Gras. Selbst als Carlos und Giggles schon erschöpft zusammengebrochen waren versuchte Lumi immer noch, das Feuer aufzuhalten, bevor es meine Maisfarm erreichte, aber vergeblich. Doch wir hatten Glück: Seit Tagen fiel zum ersten Mal Regen und löschte das Feuer, bevor es größeren Schaden anrichten konnte! Kurz darauf schloss sich mir ein Sozialarbeitern namens Urist an. Was soll ich sagen? Den vier geht es auch nach Wochen noch gut. Vielleicht schaffe ich es ja dieses Mal wirklich, alle Katastrophe abzuwehren.
In RimWorld spielt man prozedural generierte Geschichten einer Kolonie nach. Würde man diese abschalten – und wenn man unbedingt möchte kann man das – bliebe nichts übrig als eine wenig spannende Aufbausimulation, in der man sehr schnell eine sich komplett selbst versorgende und unantastbare Festung aufgebaut hat. Je nachdem, was man in Spielen sucht, könnte es frustrierend sein zu wissen, dass einem gezielt Knüppel zwischen die Beine geworfen werden, um personalisierte Schwierigkeiten zu erleben. Es gibt zwar einen definierten Endpunkt, dieser begrenzt das Spiel aber eher zeitlich, als ein wirkliches Ziel darzustellen, sind die Arten, auf die man scheitert, doch so oft so viel spaßiger als zu gewinnen. Vielleicht schafft RimWorld es sogar, Dwarf Fortress als meine liebste Geschichtenerzählmaschine abzulösen. Ich bleibe auf jeden Fall bei dessen Leitspruch: Losing is fun!